Gerade Scheuer werden dabei heftige Vorwürfe gemacht. Schon seit längerem wird gemutmaßt, der CSU-Minister könnte das Projekt trotz großer Risiken vor dem Urteil durchgepeitscht haben, um eine bessere Wahlkampf-Position zu schaffen. Laut einem Bericht des Spiegel könnte Scheuer nun aber tatsächlich final über die Affäre stolpern. Angeblich sind neue Erkenntnisse angetan, "rote Linien" überschreiten, die der GroKo-Partner SPD gezogen hat.
Konkret: Interne Sitzungsprotokolle offenbarten „unlauteres Handeln“ des Ministers in mehreren Punkten, schreibt das Magazin in seiner aktuellen Ausgabe. Und es stellt eine klare Frage in den Raum: „Hat der Bundesverkehrsminister beim Einfädeln des Deals gelogen?“ Am Donnerstag (1. Oktober) soll Scheuer vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen. Dann könnten heikle Fragen drohen - wohl noch eine Spur brisanter als unlängst bei Finanzminister Olaf Scholz.
Am wohl gewichtigsten ist der im Bericht thematisierte Verdacht, Scheuer haben den Bundestag belogen. Der Minister verneinte bei einer Befragung, dass es ein Angebot des Eventim-Chefs Klaus-Peter Schulenberg - der Tickethändler Eventim war Teil eines Bieterkonsortiums - gegeben habe, die Mautverträge erst nach dem Urteilsspruch des EuGH zu unterzeichnen. Dieses Vorgehen hätte dem Bund letztlich wohl riesige Summen gespart. „Nein, dieses Angebot gab es nicht", sagte Scheuer aber.
Anderes geht nach Recherchen des Spiegel aus einem „Gedächtnisprotokoll“ des Geschäftsführers des Maut-Konsortiums „Autoticket“ hervor. Er notierte, was ihm seine Mitarbeiter von einem „Frühstück“ mit Scheuer berichteten. Demnach gab es das Angebot der Betreiber doch - Scheuer habe abgelehnt, weil die Maut „noch im Jahr 2020 eingeführt werden solle“. Der FDP-Abgeordnete Oliver Luksic hatte schon 2019 angedeutet, er habe „starke Hinweise dafür“, dass es ein solches Angebot gab.
Damit hätte Scheuer womöglich Finanzrisiken in Kauf genommen, um die CSU im Wahlkampf zu stärken. Zugleich soll er aber auch „optionale Leistungen“ in Aussicht gestellt haben, um den Preis des Angebots zu drücken. Solche hätten aber ausgeschrieben werden müssen. Nicht zuletzt aber: Stimmt die Darstellung, hätte Scheuer tatsächlich im Parlament die Unwahrheit gesagt.
Genau das könnte für die SPD die rote Linie sein. Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann sagte laut einem Bericht der Zeit schon im Januar: Scheuer sei nicht mehr im Amt zu halten, wenn er nachweislich das Parlament belogen oder gegen Haushaltsrecht verstoßen habe. „Wer mit Steuergeld Roulette spielt und das Parlament belügt, darf nicht Minister sein“, wetterte am Freitag auch schon der Linke-Abgeordnete Victor Perli auf Twitter.
Im Raum steht auch ein weiterer Vorwurf: Angeblich soll Scheuer die Mautbetreiber mit einer Drohung unter Druck gesetzt haben, sich öffentlich in seinem Sinne zu äußern. Laut einem weiteren Protokoll der Unternehmen hat der Minister erklärt, seine Aussage zu den Kündigungsgründen des Betreibervertrags im Verkehrsausschuss könne „so oder so“ ausfallen.
Die Interpretation des Magazins: Hätten die Firmen sein Argument gestützt, wonach der Vertragsabschluss noch vor dem EuGH-Urteil „nötig" sei, hätte Scheuer womöglich darauf verzichtet, die Vertragskündigung auf "Mängel" zurückzuführen, wie er es letztlich tat. All das geht freilich aus Notizen einer der Konfliktparteien im millionenschweren Streit zurück. Ein handfester Beweis liegt also nicht vor.
Dennoch: Auch bei CSU-Chef Markus Söder könnte die Geduld mit Scheuer nahezu ausgereizt sein. Sollte es in den Aussagen des Ministers „auch nur eine Unstimmigkeit“ geben könnte Scheuer nicht länger Minister sein, zitiert der Spiegel einen nicht namentlich genannten Informanten, „der Söder lange kennt". Zunächst wird sich Söder aber wohl dem CSU-Parteitag widmen.
Und es sind nicht einzigen neuen Vorwürfe gegen Scheuer im Maut-Debakel. So berichtete die Welt im September, der Minister habe auch die verstaatlichte Lkw-Maut-Firma Toll Collect mit in die Affäre hereingezogen - mit der Verpflichtung, ihre Zahlstellen für die privatwirtschaftlich organisierte Pkw-Maut zur Verfügung zu stellen, ohne dafür marktübliche Preise zu verlangen. Den Recherchen zufolge hätte dies mit 250 Millionen Euro Kosten für den Steuerzahler zu Buche schlagen können. Der Schritt sei ohne Zustimmung des Bundestags erfolgt und erwecke den Verdacht des Verstoßes gegen Haushaltsrecht.
Unterdessen ist auch klar: Die Pkw-Maut hat den Bund mittlerweile 79,3 Millionen Euro gekostet. Darunter sind 7 Millionen Euro, die bisher in diesem Jahr bis zum 18. September anfielen, wie das Verkehrsministerium auf eine Grünen-Anfrage antwortete. Zuerst berichteten die Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft darüber. Allein 5,2 Millionen Euro fielen demnach in diesem Jahr bisher für Sachverständige und Gerichtskosten an. Die seit 2014 insgesamt entstandenen Kosten erhöhen sich damit weiter. Mitte Juni hatte das Ministerium eine Summe von 76,7 Millionen Euro genannt.
Der Grünen-Verkehrspolitiker Stephan Kühn urteilte, die Pkw-Maut sei „einer der teuersten Rohrkrepierer der bayerischen Regionalpartei CSU“ - und Scheuers. (fn mit Material der dpa) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.