Letztlich wurde die Maßnahme für Kinder von Bundeskanzlerin Angela Merkel* (CDU) und den Ministerpräsidenten der Länder nicht beschlossen. Im Raum steht sie dennoch. Viele Experten warnen jetzt vehement vor einem solchen Schritt. Generell treffen Kontaktbeschränkungen jüngere Menschen härter als ältere, sagt die Diplom-Psychologin Ulrike Scheuermann der Deutschen Presse-Agentur. „Da gibt es inzwischen auch verschiedene Studien dazu, dass generell jüngere Menschen mehr mitgenommen sind durch die Kontaktbeschränkungen.“ Besonders bei Jugendlichen könnten solche Einschnitte zum Problem werden, erklärt sie weiter. Denn gerade Freunde seien in diesem Alter für die Identitätsentwicklung von zentraler Bedeutung.
Einen ganz anderen - aber ebenso problematischen - Aspekt dieser Art von Kontaktbeschränkung* schildert Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort gegenüber der Zeit. Wenn Kinder in ihren Kontakten so eingeschränkt würden, müssten sie entscheiden, wen sie sehen wollen und wem sie absagen. Der Experte nennt das „unverhältnismäßig“ und gibt zu bedenken: „Von Kindern zu erwarten, solche Entscheidungen zu treffen und festzulegen, mit wem sie in Kontakt bleiben möchten und mit wem nicht, geht völlig an dem vorbei, was sie in ihrer Entwicklungsphase verkraften können. Man muss sich nur einmal vorstellen: Es bleiben immer Kinder übrig, die keiner als einzigen Freund ausgewählt hat.“
Besonders in Schulklassen könne dies zu Konflikten führen, bei denen die nicht ausgewählten „psychische Verletzungen“ erleiden könnten. Zudem seien Kinder von solchen Situationen überfordert. „Die Kinder sind deshalb überfordert, weil sie jemanden zurückweisen müssen, ohne dafür einen eigenen inneren Antrieb zu haben. Kinder weisen ohnehin niemanden gern zurück, das ist immer schwer für sie. Wenn sie das dann trotzdem machen müssen, bekommen sie Schuldgefühle, hadern mit sich“, so Schulte-Markwort.
Scharfe Kritik an dem Vorschlag der Bundesregierung kommt auch von Kinderschutzverbänden. „Soziale Interaktion ist sehr wichtig, gerade für Jugendliche ist sie das zentrale Entwicklungsmoment“, so Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks (DKHW), gegenüber Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Es sei völlig unverhältnismäßig und kinderfeindlich, das auf einen Kontakt zu beschränken, führt er weiter aus.
Auch andere Verbände wie der Deutsche Kinderschutzbund oder die Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie begegnen dem Vorstoß mit Sorge. Trotz der harschen Kritik hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) die vom Bundeskanzleramt vorgeschlagene Regel verteidigt. „Die Maßnahme ist bisher nicht beschlossen worden“, äußerte sie sich gegenüber dem Tagesspiegel. „Wenn, dann ginge es ja nur um die Freizeit und die Kinder hätten trotzdem weiterhin Kontakte in Kita und Schule - oft sind das die wichtigsten Freundinnen und Freunde“, so die Ministerin weiter. (mam/dpa) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerkes