Die Frage, die über dieser Runde schwebt: Will die SPD die GroKo - ja oder nein? Die Antwort des neuen SPD-Duos bleibt vage. Die beiden wollen auf jeden Fall die „Revisionsklausel" anwenden und den Koalitionsvertrag mit der Union teils neu verhandeln. Und sie halten nichts von der Schwarzen Null (obwohl das Bundesfinanzministerium mit Olaf Scholz in Hand der SPD ist), sondern wollen Geld in die Hand nehmen, für marode Straßen, für marode Schulen oder das marode Klima. Sie nennen 450 Milliarden Euro für Investitionen für die nächsten zehn Jahre.
Ab Minute 20 attestiert der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet Walter-Borjans als NRW-Finanzminister einen verfassungswidrigen Haushalt: „Sie hatten hohe Steuereinnahmen, haben gesagt, die Schwarze Null sei ein Fetisch, und haben nicht das Ziel verfolgt, keine Schulden zu machen." Walter-Borjans, der kürzlich für eine amüsante Twitter-Diskussion sorgte, wehrt sich: „Wenn ich von einem bestimmten Schuldenstand komme und ich will zur Null, dann muss ich beides machen: Ich muss sicherstellen, das ich runterkomme von einer Verschuldung - das ist uns gelungen - aber nicht, dass ich all das aufgebe, was nötig ist an Investitionen in einem Land."
An dieser Stelle mischt sich Linken-Chefin Katja Kipping mit dem Hinweis ein, dass das Bundesverfassungsgericht der GroKo kürzlich Verstöße bei Hartz IV-Sanktionen bescheinigte. Als Kipping in der letzten Viertelstunde zwischen die zoffenden Laschet und Walter-Borjans gehen will, ist Anne Will über die Dynamik der Sendung sichtlich genervt: „Sie haben doch jetzt die ganze Zeit miteinander gestritten" sagt sie, und an die Linken-Chefin gewandt: „Frau Kipping, tatsächlich ist es nicht Ihre Sendung. Deshalb habe ich hier überall meinen Namen hingeschrieben. Meine. Und deshalb, lassen Sie mich..."
Kipping darauf: „Auch die der Zuschauer!“ Will rudert zurück: „Auch, auch, und noch viel mehr... die der Zuschauer.“ Und denen wolle sie jetzt einen Einspieler über Klimaschutz zeigen.
Durch Twitter geht nach dieser Szene ein quasi hörbares Raunen. Das eine Lager ist pro Will, das andere Lager pro Kipping: „Das war jetzt mal die @annewill, die wir sehen wollen! „Frau Kipping, nee, das ist nicht Ihre Sendung. Hab ich hier überall drangeschrieben!“ Nicht schlecht“, heißt es da.
Aber auch: „Ich komme da nicht drüber weg, dass Anne Will gestern „das ist meine Sendung, Frau Kipping“, sagte, aber Christoph Schwennicke nicht ein Mal zurechtwies, als der ständig Kipping und Esken unterbrach.“
Anne Will selbst steht dem neuen SPD-Führungsduo sichtlich skeptisch gegenüber. Laschet formuliert, was wohl viele in der Runde denken: „Wollen Sie drinbleiben - oder wollen Sie raus? Und ich finde, wenn man drin ist, dann muss man das auch ausstrahlen ‚Ich regiere gerne, ich will in diesem Land was verändern‘ - und nicht jede Woche darüber nachdenken 'wie komme ich möglichst schnell raus'.“
Zum Schluss möchte Will von der Politikwissenschaftlerin Ursula Münch wissen: „Ganz kurz: Wie lange geht das gut?“, und die antwortet: „Nicht mehr lange. Ich glaube, die Grundlagen fehlen dann doch." Worauf Esken erwidert: „Ich finde, wir vertragen uns eigentlich bestens“ und einen Schluck Wasser nimmt. „Das ist ein schöner Schlusssatz“, freut sich Will angesichts dieser recht zähen Runde.
München - Die SPD-Basis hat gewählt. Und könnte mit ihrem Votum pro Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans das Ende der in der Kritik stehenden Großen Koalition in die Wege geleitet haben. Das der Regierung in Berlin kritisch gegenüberstehende Duo soll auf dem Parteitag am kommenden Wochenende in der Hauptstadt zu den neuen Vorsitzenden bestimmt werden.
Am Sonntagabend sind Esken und Walter-Borjans aber erst einmal zu Gast bei Anne Will. Der gleichnamige Polit-Talk der ARD-Moderatorin steht am ersten Adventssonntag unter dem Motto: „Die SPD wählt linke Spitze - zerbricht jetzt die GroKo?“.
Neben den beiden Sozialdemokraten diskutieren darüber ab 21.45 Uhr zwei weitere Politiker: der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet und Katja Kipping, die seit 2012 gemeinsam mit Bernd Riexinger die Doppelspitze der Linken bildet. Die Runde wird komplettiert von Christoph Schwennicke, Chefredakteur des Magazins „Cicero“, sowie von der Politikwissenschaftlerin Ursula Münch.
Esken und Walter-Borjans hatten sich bei der Stichwahl gegen die Mitbewerber Klara Geywitz und Olaf Scholz, seines Zeichens Finanzminister und Vize-Kanzler, behauptet. 54 Prozent der Stimmen waren bei der Urwahl auf das Duo aus dem linken Lager entfallen - was schon fast ein politisches Beben ausgelöst hatte. So erwarten diverse Parteien - natürlich vor allem die aus der Opposition - baldige Neuwahlen.
Die zuletzt alles andere als vereinte SPD hingegen hofft auf Zusammenhalt in der gebeutelten Partei, deren Schlingerkurs sie im Grunde den Zusatz Volkspartei gekostet hat. Allerdings könnte ebenso eine noch größere Spaltung drohen.
Vor allem an dem zuletzt geschnürten Klimapaket, das schon viel Kritik hervorgerufen hat, arbeiten sich die designierten Vorsitzenden ab. „Wir sind einfach der Auffassung, dass die SPD sich in den letzten 20 Jahren mit ihrer Politik sehr stark dem neoliberalen Geist zugewendet hat“, monierte das Duo die allgemeine Entwicklung seit der Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder.
Einen sofortigen Ausstieg aus der GroKo forderte die künftige Parteispitze nicht direkt. „Ich will es an den Inhalten festmachen“, sagte Esken, die auf Nachverhandlungen mit der CDU setzt. Diese hatte auf ihrem Parteitag jüngst jedoch keinerlei Anzeichen gezeigt, vom eingeschlagenen Weg abrücken zu wollen.
Anne-Will-Gast Laschet, der Walter-Borjans aus dem NRW-Landtag bestens kennt, sieht in der Wahl der SPD-Mitglieder „auch Frust über Berlin“. Den ehemaligen NRW-Finanzminister betitelt der Ministerpräsident im Interview mit dem „Deutschlandfunk“ als „die Figur, die gegen die Amtierenden stand“.
Eventuellen GroKo-Anpassungen erteilt Laschet zugleich eine Absage: „Der Koalitionsvertrag gilt. (…) Und der ist verhandelt worden - ich war ja in Teilen mit dabei - in vielen Tagen und Nächten, wo viele, viele Kompromisse gemacht wurden, so dass am Ende ein gutes Werk auf dem Tisch lag.“ Und eben jenes gelte „bis zum Ende der Periode. Und man kann jetzt nicht nur, weil Parteivorsitzende wechseln, den Koalitionsvertrag neu machen.“ Auch darüber wird bei Anne Will sicher diskutiert werden.
In einem Interview auf merkur.de* teilte Walter-Borjans gegen Parteigrößen aus - ihm zufolge herrsche in Berlin „Sorge vor Veränderung“.
Nur wenige Wochen nach der Wahl zur SPD-Vorsitzenden erhebt die ARD-Reihe „Kontraste“ schwere Vorwürfe gegen Saskia Esken. Walter-Borjans überrascht mit dem Vorschlag für eine neue Steuer - und erntet prompt einen Shitstorm auf Twitter. Doch einige Argumente der Kritiker gehen am Thema vorbei. Als es im ARD bei „Anne Will“ um „Klimaschutz und Kohleausstieg“, geht, gibt es zuvor Ärger auf Twitter.
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mg