1. Startseite
  2. Politik

Bodo Ramelow vor Schicksalswahl: Ministerpräsident auf neuen Wegen oder tragische Figur?

KommentareDrucken

Regierungskrise in Thüringen
Regierungskrise in Thüringen: Bodo Ramelow mit Susanne Hennig-Wellsow © dpa / Martin Schutt

Bodo Ramelow ist seit 2014 Ministerpräsident von Thüringen. Auch nach der Landtagswahl 2019 will er im Amt bleiben. Das ist der Spitzenkandidat der Linken:

Erfurt - Bodo Ramelow ist seit 2014 Ministerpräsident von Thüringen - damals wurde Ramelow zum ersten Landes-Chef aus den Reihen der Linken, nur ein Jahr, nachdem der Verfassungsschutz die Beobachtung des Politikers einstellte. Nun, nach der umwälzenden Landtagswahl 2019, will er sein Amt verteidigen

Es drohte allerdings schon im ersten Anlauf eine turbulente Ministerpräsidentenwahl - und tatsächlich bestätigten sich die Befürchtungen. Ramelow fiel in einer traumatischen Wahlrunde durch, wie Merkur.de* berichtete. An seiner statt wurde der FDP-Politiker Thomas Kemmerich* gewählt. Trotz nur fünf Prozent FDP-Stimmenanteil bei der Landtagswahl - und mit den Stimmen der AfD. Es folgte ein bundespolitisches Beben

Ramelow gab allerdings nicht auf. Nach langwierigen Verhandlungen vor allem mit der CDU, stellt er sich im März einmal mehr zur Wahl.

Bodo Ramelow (Linke): Frau, Kinder, Thüringens Ministerpräsident

Aber wie tickt der Politiker der Linken außerhalb des Landtags? Einige Fakten sind bekannt: Ramelow ist in dritter Ehe seit 2006 mit der gebürtigen Italienerin Germana Alberti vom Hofe verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Der 63-Jährige ist evangelisch und lebt mit Gattin und Hund in Erfurt. Jack-Russell-Terrier Attila hat sogar einen eigenen Twitter-Account - und wurde schon mal zum Wahlkampf-Thema

Zur Mutter seiner Kinder hat Ramelow ein „sehr gutes Verhältnis“, trotz Scheidung, wie er in einem Interview zu seinem 60. Geburtstag betonte. „Ich war ein sehr strenger Vater. Inzwischen begegnen wir uns auf Augenhöhe“, sagte er über das Verhältnis zu seinen Söhnen Philip und Victor.

Mit einer persönlichen Einschränkung geht Ramelow offen um: Er ist Legastheniker. Er wolle den Menschen zeigen, „man kann Legastheniker sein und Ministerpräsident werden“, sagte er Anfang Oktober der Bild am Sonntag. Es habe ihn „verletzt“, dass seine Lehrer seine Lese- und Rechtschreib-Schwierigkeiten als Faulheit auslegten, zitierte vor einigen Jahren das Magazin Cicero Ramelow.

Die Religion nimmt der Linke-Politiker für den sehr säkular geprägten Osten ungewohnt ernst: Ramelow ist bekennender Kirchgänger. Ein politischer Kompass sei der Glaube für ihn zwar nicht, sagte der Politiker einmal der Stuttgarter Zeitung in einem Interview. Aber er habe „soziale Verantwortung“ aus seiner christlichen Erziehung mitgenommen. Hinter dem Berg hält Ramelow mit seinen Überzeugungen nicht: „Ich betone meine evangelische Bindung so stark, weil ich damit in Kombination mit meinem Parteibuch – das eine Rückbindung an die SED hat – eine Provokation bin.“

Bodo Ramelow: Ein Wessi als Ost-Ministerpräsident Thüringens

Aufgewachsen ist Ramelow ohnehin im Westen, im niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck, gut 25 Kilometer von Bremen entfernt - ein Fakt, der bisweilen von den politischen Gegnern in Thüringen als Argument gegen Ramelow ins Feld geführt wird. Seine Mutter war studierte Hauswirtschafterin, sein Vater entstammte einer alten Kaufmannsfamilie, kehrte allerdings schwer krank aus dem Zweiten Weltkrieg zurück. Ein Schicksalsschlag folgte: Ramelows Vater starb früh - daraufhin zog die Familie nach Rheinhessen, später an die Lahn zwischen Marburg und Gießen. In der Schule sei er der „Klassenclown“ gewesen, erzählte Ramelow einmal der Bild.

Ramelow machte eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und beendete die Schule an der Fachoberschule Marburg mit der kaufmännischen Fachhochschulreife. Daraufhin absolvierte er eine Prüfung zum Ausbilder und arbeitete bei einer Kaufhauskette und einer Supermarktkette in Marburg. Später wurde er Filialleiter bei einer Vertriebs-GmbH in Marburg. Davon berichtet er auf seiner Website.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke): Von der Gewerkschaft zur PDS

Ramelow hat außerdem eine Karriere als Gewerkschafter hinter sich. Von 1981 bis 1990 arbeitete er als Gewerkschaftssekretär in Mittelhessen. "Er hat seine Sache immer mit 100 Prozent vertreten, auch mit ganz harten Bandagen“, erinnerte sich der Gießener Karstadt-Chef Wilfried Behrens vor einiger Zeit auf Anfrage der Gießener Allgemeine

1990 kehrte Ramelow Hessen den Rücken und ging nach Thüringen, um „beim Aufbau der neuen Gewerkschaftsstrukturen“ zu helfen, wie es auf seiner Website heißt.

In Thüringen war Ramelow dann bis 1999 Landesvorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Im selben Jahr ging er in die Politik und wurde Mitglied bei der PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus), die nach der Wende aus der SED hervorgegangen war. 

Bodo Ramelow: Thüringens Ministerpräsident wirbt für neue Nationalhymne

Bodo Ramelow: Ministerpräsident-Spitzenkandidat in Thüringen

Im Februar 2004 wurde Ramelow zum Spitzenkandidaten der PDS für die Landtagswahl in Thüringen gewählt. Das Direktmandat seines Wahlkreises Erfurt I gewann er - den Ministerpräsidenten stellte aber die CDU, die die absolute Mehrheit holte. Sein Mandat als Landtagsabgeordneter legte Ramelow 2005 nieder, weil er über die Thüringer Landesliste der Linkspartei in den vorzeitig neugewählten Bundestag einzog. Dort wurde er zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Linken.

Auch bei der Landtagswahl 2009 ging Ramelow als Spitzenkandidat der Thüringer Linken ins Rennen. 2014 wurde Ramelow schließlich zum Ministerpräsident Thüringens gewählt. Bei der Wahl 2019 will er seinen Posten verteidigen*.

Ramelow wurde, wie andere Spitzenpolitiker der Linken, jahrelang vom Verfassungsschutz beobachtet. 2013 entschied das Bundesverfassungsgericht schließlich, dass Ramelow keiner antidemokratischen Bestrebung verdächtig sei. 

Bodo Ramelow politisch: Pragmatiker aus den Reihen der Linken

In der Linken - die heftige Flügelkämpfe kennt - gilt Ramelow als Pragmatiker. Der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel lobte Ramelow nach der Thüringen-Wahl 2014 implizit als Typus eines Linken-Politikers, der auch als Koalitionspartner für die Sozialdemokraten in Frage kommt: „Es ist doch auch Unsinn, ständig so zu tun, als ob Herr Ramelow die Rückkehr zum DDR-Sozialismus plant“, sagte er zum damals schwelenden Streit über die rot-rot-grüne Thüringer Regierung.

Als Ministerpräsident und Chef einer ungewohnten Koalition, die zudem nur eine hauchdünne Mehrheit von einem Mandat besaß, hatte Ramelow in den vergangenen Jahren keine ganz einfache Aufgabe inne. Letztlich brachte der 63-Jährige das potenziell brüchige Bündnis ins Ziel - wenn es auch heikle Situationen und gewisse Kollateralschäden zu verkraften gab. Auch Kritik aus dem linken Flügel der Linken musste sich Ramelow in der zu Ende gehenden Legislatur anhören.

Helfen mag dem Politiker eine gewisse - nach eigenen Angaben erst im Laufe der Jahre erlangte - Ruhe. In Hintergrundgesprächen mit Journalisten greift Ramelow bewusst zu ruhigen Tönen und betont klar strukturierten Argumenten. Möglich, dass es der Thüringer Ministerpräsident am Kabinettstisch genauso hält. Allerdings kann Ramelow auf Twitter auch ordentlich austeilen und galt einst als aufbrausender Redner. 

Und eben jener Pragmatismus und die nach außen zumeist ausgleichende Art des Regierungschefs sorgen auch für Spott. Vermutlich würde Ramelow, wenn das helfen würde, ihn, Mohring, auch noch mit einem Ministerium betrauen, zitierte die Zeit im Jahr 2015 den CDU-Oppositionsführer Mike Mohring.

Bodo Ramelow: Erfolge und Niederlagen

Als seinen größten Erfolg bezeichnet er die Fusion von PDS und WASG zur Partei die Linke und den Wahlerfolg bei den Bundestagswahlen 2005. Damals war Ramelow Wahlkampfleiter in Hessen, Niedersachsen, Bremen und Hamburg. Die „Linkspartei.PDS“ holte damals 8,7 Prozent. Bei der vorangegangenen Wahl im Jahr 2002 war die PDS noch an der Fünfprozenthürde gescheitert.

Kartoffelernte
Ramelow beim Kartoffeln ernten in Thüringen. © dpa / Michael Reichel

Ramelows größte Niederlage war nach eigener Einschätzung hingegen ein Einzelhandelsstreik in Gießen im Jahr 1989. Dieser sei zu einer „traumatischen Erfahrung für die Beschäftigten“ geworden, weil er „leichtfertig und prahlerisch ausgeplaudert“ worden sei, schreibt Ramelow selbst auf seiner Homepage. Er habe die Verantwortung für diesen Streik getragen.

Eine zwiespältige Rolle in Ramelows Biografie spielte zunächst die Landtagswahl im Herbst 2019. Einerseits wurde Ramelows Linke mit Abstand stärkste Kraft. Andererseits wurde der klare Wahlsieg heftig getrübt - für seine rot-rot-grüne Koalition gab es keine Mehrheit mehr. Sollte Ramelow dennoch im zweiten Anlauf zum Ministerpräsidenten gekürt werden und erfolgreich eine Minderheitsregierung führen, er hätte einen kleinen Platz in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik sicher. Platzt die Wiederwahl erneut, könnte Ramelow zur tragischen Figur werden. Aufdrängen könnte sich dann auch die Frage, ob es ein politischer Fehler war, trotz fehlender Mehrheit zweimal die Ministerpräsidentenwahl zu riskieren.

Bodo Ramelow wartet übrigens immer noch darauf, mit Jan Böhmermann Pilze sammeln zu gehen, seit dieser sich in einer Folge seines Podcasts über ihn lustig gemacht hat. Alle weiteren Neuigkeiten zur Landtagswahl gibt es zudem in unserem News-Ticker - und hier finden Sie die wichtigsten Reaktionen und Stimmen zum Ergebnis der Thüringen-Wahl.

Thomas Kemmerich (FDP) ist der neue Thüringer Ministerpräsident. Ein Portrait.

*Merkur.de ist ein Angebot des bundesweiten Ippen Digital Redaktionsnetzwerks

Auch interessant

Kommentare