1. Startseite
  2. Politik

Ban Ki Moon: „Haben die Menschen in Syrien hängen lassen“

KommentareDrucken

Aleppo - Mehrere Monate waren die Viertel im Osten der Stadt von der Außenwelt abgeschnitten. Jetzt hat das syrische Regime wieder das Sagen - und der Westen versagt.

Die syrischen Regierungstruppen haben nach einem erbitterten Kampf wieder die Kontrolle über die Großstadt Aleppo übernommen. Die Gefechte im Osten der Stadt seien beendet, sagte Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin am Dienstag in New York. Die Rebellen hatten sich mit dem syrischen Regime von Präsident Baschar al-Assad auf einen Abzug aus den verbliebenen Stadtvierteln im Osten Aleppos verständigt. Wie es aus syrischen Regierungskreisen hieß, soll der Abzug am Mittwochmorgen beginnen.

Nahezu seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien vor gut vier Jahren war die frühere Handelsmetropole Aleppo geteilt zwischen Regierungstruppen im Westen und der Opposition im Osten. Im Sommer kappte die syrische Armee dann zunächst die letzten Versorgungswege in die Rebellengebiete, vor einem Monat begann sie eine Großoffensive mit Hilfe russischer Kampfflugzeuge. Die humanitäre Lage in der Stadt war nach Angaben von Hilfsorganisationen katastrophal. Mehr als 40 000 Menschen flohen in den vergangenen Tagen vor den Kämpfen.

„Wir alle haben die Menschen in Syrien bislang kollektiv hängen lassen“

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte seiner Organisation angesichts der Situation Kapitalversagen bei der Lösung des Konflikts in Syrien attestiert. „Wir alle haben die Menschen in Syrien bislang kollektiv hängen lassen“, sagte Ban bei einer kurzfristig einberufenen Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats am Dienstag in New York. „Dieses Versagen zwingt uns, mehr zu tun, um den Menschen in Aleppo jetzt unsere Solidarität zu zeigen.

Sicherheitsexperten und Verteidigungspolitiker warfen dem Westen schwere Verfehlungen im Syrien-Konflikt vor. „Man kann nicht die Absetzung eines Diktators fordern, dann die Hände in den Schoß legen und hoffen, dass er freiwillig abtritt: mit dem Verlust seiner Glaubwürdigkeit hat der Westen auch die Fähigkeit verspielt, der syrischen Bevölkerung zu Hilfe zu kommen“, sagte der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, zur „Bild“-Zeitung (Mittwoch). Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, kritisierte eine verspätete Reaktion des Westens. „Der Westen hat nicht nach Syrien geschaut, als es 250 000 Tote gab, sondern erst, als die ersten 10 000 Flüchtlinge kamen“, sagte Nouripour dem Blatt. „Diese Ignoranz hat ein Vakuum geschaffen, das (Russlands Präsident Wladimir) Putin mit Bomben gefüllt hat.“

Merkel und Putin telefonieren

Der russische Chefdiplomat Sergej Lawrow beriet mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in einem Telefonat über die Lage in Aleppo. Dabei sei es auch um humanitäre Hilfe für die Menschen in der Stadt gegangen, teilte das Ministerium in Moskau mit. Ein Sprecher der Bundesregierung bestätigte, dass auch Kanzlerin Angela Merkel mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert und mit ihm über die katastrophale Lage im Osten Aleppos gesprochen habe.

Zuvor hatte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, die Verbündeten Russland, Iran und Syrien für die Gräueltaten in Aleppo verantwortlich gemacht. Zudem zeigten sie keinerlei Gnade für die Zivilisten, sagte sie. Die Vereinten Nationen hatten regierungstreuen Truppen vorgeworfen, in den vergangenen Tagen der Offensive mindestens 82 Zivilisten getötet zu haben.

Wichtiger Sieg für die syrische Regierung

Die Einigung über den Abzug aus der Stadt kam offenbar unter Vermittlung von Russland als Verbündetem der syrischen Regierung und der Türkei als Unterstützer der Rebellen zustande. Nach Angaben der türkischen Regierung sollen sie die Umsetzung des Abkommens garantieren. Unklar war zunächst, ob auch die Al-Kaida-nahe Fatah-al-Scham-Front (früher: Al-Nusra) abzieht und Teil der Abmachung ist.

Der anstehende Abzug bedeutet einen wichtigen Sieg für die syrische Regierung im fast sechs Jahre dauernden Bürgerkrieg. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad kontrolliert damit wieder alle großen Städte des Landes. Beobachter rechnen trotzdem nicht damit, dass der Bürgerkrieg bald endet. Rebellen beherrschen unter anderem die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat im Norden und Osten Syriens noch große Gebiete unter Kontrolle.

dpa

Auch interessant

Kommentare