Lange hatten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und auch die Ministerpräsidenten geschwiegen. Nun ist Bewegung in die Debatte gekommen. Nach Auftritten von Kanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn, von den unterschiedlich gepolten Corona-Vorkämpfern Armin Laschet (alle CDU) und Markus Söder (CSU), nach neuen Daten von RKI-Chef Lothar Wieler, weiß das Land jetzt immerhin: Die Lage hat sich gebessert, die ominöse Zahl R ist gesunken, erste Lockerungen für Geschäfte, und im bislang besonders strikten Bayern auch für die Bevölkerung, sind auf dem Weg.
Doch nach langen Wochen des Rätselratens über die nächsten kleinen Schritte haben alle Äußerungen aus der Politik ganz besonderes Gewicht. Und - Lob aus den USA zum Trotz - die Bundesländer drohen nun sehr unterschiedliche Wege einzuschlagen. Weitere Verwirrung droht. Naht nun schnelle Erholung? Oder kommt doch eher eine noch härtere Zeit, wie etwa Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) fürchtet?
Einen ersten Alleingang hat am Freitag etwa Sachsen gewagt. Das Land von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) brachte eine Maskenpflicht auf den Weg. Die Regelung gelte von Montag an, sagte Kretschmer nach einer Sitzung des Landeskabinetts in Dresden. Zur Abdeckung von Nase und Mund müsse es keine teure FFP2-Maske sein, es reiche auch ein einfaches Tuch oder ein Schal, betonte der Regierungschef. Später am Abend folgte Mecklenburg-Vorpommern mit einer ähnlichen Regel.
Am anderen Ende der Eskalations-Skala befindet sich Schleswig-Holstein. Das ebenfalls CDU-geführte Land kündigte eine eigene Verordnung an - in der geregelt werden soll, wie Veranstaltungen von 4. Mai bis 31. August ermöglicht werden können. „Großveranstaltungen“, solche mit mehr als 1.000 Teilnehmern bleiben verboten, erklärte Ministerpräsident Daniel Günther. Dass es nun aber kurzfristige Regeln „für Konzerte, Theateraufführungen und Sportveranstaltungen“ geben soll, wie der NDR berichtet, erlaubt doch sehr konkrete Hoffnungen auf ein Stück „Normalität“.
Auch abseits dieser beiden Extreme bleibt viel Raum für Spekulationen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gilt eigentlich als Hardliner in Sachen Corona-Schutzmaßnahmen. Erst in dieser Woche wurde den Bayern erlaubt, im Freien auch Personen abseits der Bewohner ihres Haushalts zu treffen. Aber in Sachen Tourismus - für den Freistaat ein wichtiges Feld - befeuert auch Söder Hoffnungen.
Quasi im Nebensatz prophezeite der CSU-Chef einen Sommer-Run auf Urlaubsziele im Inland. Ein Szenario, das aktuell eigentlich recht fern scheint. Hier liegt Söder offenbar eher auf schleswig-holstein‘scher Linie. Amtskollege Günther erklärte dem NDR, es gebe Überlegungen zwischen Bund und Ländern ein touristisches „Sommergeschäft zu ermöglichen“. Auch an einem „Drei-Stufen-Plan“ wird in Deutschlands nördlichstem Bundesland offenbar schon gearbeitet.
Die Bundesregierung zeigt sich einstweilen gelassen. Man habe sich am Mittwoch mit den Ministerpräsidenten auf ein Maskengebot geeinigt, betonte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). „Dass es jetzt einzelne Abweichungen gibt, das haben wir in einigen Städten schon gesehen, ist immer Teil der föderalen Debatte“, sagte er am Freitag in Hamburg.
Wie ernst die Lage ist und wie schnell Besserung möglich ist, bleibt erstmal alsomehr oder minder der freien Deutung überlassen. Kanzlerin Angela Merkel sprach am Mittwoch von einem „zerbrechlichen Zwischenerfolg“. Spahn am Freitag von einem „beherrschbarer gewordenen“ Virus - eine möglicherweise folgenreiche Formulierung, wie Merkur.de* kommentiert.
Hoffnung könnten unterdessen erstaunliche Zahlen aus Jena - wo schon länger eine Mundschutzpflicht gilt - und mögliche Erfolge bei der Suche nach einem Covid-19-Medikament machen. Zugleich mangelt es nicht an Warnungen. Dass sich die Bundesregierung offenbar vor allem auf eine App verlassen will, sorgt im Netz für Sorge. Und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnt vor einer „schweren zweiten Welle“. Am Freitag erneuerte der Mediziner seine Mahnung.
Unübersichtlich ist die Lage auch an anderen Fronten. Welche Geschäfte in Deutschland öffnen dürfen und welche nicht, entwickelt sich zunehmend zum Flickenteppich: Nach den neuen Vorgaben von Bund und Ländern dürfen Geschäfte mit einer Fläche von bis zu 800 Quadratmetern ab Montag wieder öffnen, größere nicht - mit Ausnahme von Buchläden, Fahrradgeschäften und Autohäusern. Davon erhofft man sich ein bisschen mehr Normalität, ohne dass die Innenstädte direkt überquellen.
Die Justiz muss nun etwas Klarheit in den Dschungel der Regeln bringen: Die Kaufhauskette Galeria Karstadt Kaufhof mit bundesweit rund 170 Standorten und mehr als 28.000 Mitarbeitern will sich nicht damit abfinden, dass ihre Türen weiter geschlossen bleiben sollen - sie klagt.
fn (mit Material von dpa)
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