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Söder und Ramelow im Clinch - Experten erklären sehr reales Corona-Phänomen

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Warum Söder und Ramelow komplett verschiedene Strategien fahren - Experten erklären ein Corona-Phänomen
Markus Söder (li.) und Bodo Ramelow haben sich zuletzt zu Gegenspielern im Ringen um den richtigen Corona-Kurs entwickelt. © dpa/Peter Kneffel/Martin Schutt

Hier der Lockerer, da der konservative Krisen-Manager: Bodo Ramelow und Markus Söder sind Gegenspieler in der Corona-Krise. Doch es gibt handfeste Gründe.

München/Erfurt - Schweres verbales Geschütz wurde in den vergangenen Tagen in der Corona-Krise aufgefahren. „Geschossen“ wurde ausgerechnet über eine Landesgrenze entlang des früheren Eisernen Vorhangs ... 

„Ich möchte nicht, dass Bayern noch mal infiziert wird durch eine unvorsichtige Politik, die in Thüringen gemacht wird.“ Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) machte keinen Hehl daraus, dass ihm die Lockerungsübungen seines thüringischen Amtskollegen Bodo Ramelow (Linke) in der Corona-Krise überhaupt nicht passen. 

Und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) drohte dem ostdeutschen Nachbarn gar mit Gegenmaßnahmen. „Wir werden sicher nicht tatenlos zusehen, wie Ramelow große Erfolge im Kampf gegen das hochgefährliche Coronavirus sorglos zunichtemacht.“ Nur politisches Kampfgetümmel, oder steckt mehr dahinter - womöglich handfeste Unterschiede beim Infektionsgeschehen in Ost und West?

Corona-Lockerungen in Deutschland: Bayern und Thüringen als Gegenspieler

Tatsache ist: Im Westen Deutschlands gibt es einige tausend Todesfälle, in Ostdeutschland einige hundert - allerdings bei deutlich weniger Einwohnern. Das Statistische Landesamt in Thüringen hat nun die Zahl der Corona-Infektionen der Bundesländer pro 100.000 Einwohner berechnet. Und da liegen die Werte in den ostdeutschen Bundesländern durchgängig unter denen der westdeutschen - mit Ausnahme von Schleswig-Holstein.

Thüringen kam beispielsweise mit Stand 25. Mai, als Ramelow den weitgehenden Ausstieg aus den allgemeinen Corona-Beschränkungen gegen bundesweite Kritik verteidigte, auf 134 Infizierte pro 100.000 Einwohner seit Beginn der Pandemie. In Bayern waren es danach 354 Infizierte, in Sachsen sowie Brandenburg jeweils 128 und in Nordrhein-Westfalen 208 Infizierte pro 100.000 Einwohner. Mit Abstand die niedrigsten Werte verzeichneten Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt mit 47 beziehungsweise 77 Infizierten pro 100 000 Einwohnern.

Corona-Lockerungen: Osten prescht vor - Reaktion auf die aktuellen Statistiken?

Fast alle ostdeutschen Ministerpräsidenten haben in den vergangenen Tagen weitreichende Lockerungen der Corona-Beschränkungen in Aussicht gestellt, wenn auch weniger lautstark als Thüringen. Auch bei Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) war - wie bei Ramelow - von Geboten anstelle von Verboten die Rede.

Möglicherweise geht Ramelow aber etwa weiter - er ließ sich per Protokollnotiz bei den von Bund und Ländern verhandelten neuen Kontaktbeschränkungen einen Sonderweg offen. Fast trotzig sagte er: „Weil ich kein Stück zurückrudere.“ „Staatliche Verordnungen sind Noteingriffe“, die nur berechtigt seien, wenn das Infektionsgeschehen das erfordere. „Diese Begründungspflicht liegt bei uns“, so Ramelow. Und: „Ich haben niemandem gesagt, reißt euch den Mundschutz runter.“

„Corona-Grenze“ in Deutschland? Experten nennen Gründe für die niedrigen Infektionszahlen im Osten

Aber warum ist die Situation im Osten anders als im Westen? Fachleute nennen mehrere Gründe: Die vergleichsweise niedrige Bevölkerungsdichte oder einen relativ hohen Anteil älterer Menschen - in Thüringen ist etwa jeder Dritte 60 Jahre und älter. Diese Menschen gehören zwar zur Risikogruppe, aber sie gelten als weniger mobil und könnten entschleunigend bei der Virus-Ausbreitung gewirkt haben, so eine Erklärung vom Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie.

Und wahrscheinlich haben weniger Ostdeutsche in Skigebieten wie Ischgl in Österreich Urlaub gemacht und das Virus eingeschleppt. Als die Beschränkungen in Deutschland begannen, gab es zwischen Ostsee und Thüringer Wald erst verhältnismäßig wenige Infektionen. Die Corona-Prävention wirkte damit in einer frühen Phase, glauben Experten.

Corona-Vorschlag auf dem Prüfstand: Thüringer Kabinett entscheidet über Ramelows Pläne

Ob sich Ramelow, dessen Corona-Alleingang auch in seiner rot-rot-grünen Koalition in Erfurt für Irritationen sorgt, durchsetzen kann, werden die nächsten Tage zeigen. An diesem Dienstag (2. Juni) will sich das Kabinett mit den Vorschlägen des Regierungschefs befassen, nach denen nur noch das Abstandsgebot und die Maskenpflicht* in öffentlichen Verkehrsmitteln bliebe. Zudem soll ein Grenzwert von 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner pro Woche gelten - ist er erreicht, gibt es regionale Beschränkungen.

Ein Problem für Ramelow bleibt der Landkreis Sonneberg direkt an der Grenze zu Bayern, auf den auch Söder schaut. Dort gibt es nach wie vor Corona-Ausbrüche - zuletzt vor Pfingsten in einem Pflegeheim mit hochbetagten Bewohnern.

Am Wochenende legte der Thüringer Ministerpräsident in einem Beitrag auf seiner Homepage nach. „Ich möchte den Menschen gute Empfehlungen für den Umgang im Privaten geben, nicht aber Verbote erlassen, die am Ende zu polizeilichen und ordnungsrechtlichen Maßnahmen führen“, betonte er. Das Virus lasse sich nicht „verhaften“ - und auch nicht mit Angst bekämpfen. Mit Blick auf Söder erklärte Ramelow, nötig seien nicht „Drohgebärden“, sondern gemeinsame Maßnahmen.

Corona-Maßnahmen in Deutschland: Söder profitiert vom harten Kurs - Zahlen sind aber weniger klar

Sollte sich Ramelow durchsetzen, könnte er als Öffner in der Corona-Krise gelten, während Söder vor allem mit seinem restriktiven Kurs* gepunktet hat. Der bayerische Ministerpräsident hat sich mit seiner Politik der erhöhten Vorsicht auf der Beliebtheitsskala deutscher Politiker weit nach oben katapultiert. Im jüngsten ZDF-Politbarometer lag der als solider Krisenmanager wahrgenommene Franke auf Rang zwei hinter Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Mittlerweile wird sogar lauter über Kanzler-Pläne Söders spekuliert.

Dabei sind die Erfolge Söders gar nicht so eindeutig. Mit Rosenheim, Regensburg und dem Landkreis Coburg liefert Bayern seit Wochen den jeweiligen bundesweiten Spitzenreiter bei den wöchentlichen Neuansteckungen im Verhältnis zur Bevölkerung. In Thüringen waren es tagelang die Kreise Greiz und Sonneberg.

Nach einer neuen Umfrage hat Ramelow mit seinem Kurs nur jeden Vierten hinter sich: Seine radikalen Lockerungspläne werden laut ZDF-Politbarometer von 72 Prozent der Deutschen abgelehnt.

dpa/fn

Zieht es Söder „in den Norden“? Der Münchner Merkur* sieht in den aktuellen Plänen des bayerischen Ministerpräsidenten ein Indiz für Kanzlerambitionen - hier geht es zum Kommentar.

*Merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.

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