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EU stößt Diskussion über Verteilung von Flüchtlingen an

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Die Diskussion über die Verteilung von Flüchtlingen beschäftigt die Politik weiterhin.
Die Diskussion über die Verteilung von Flüchtlingen beschäftigt die Politik weiterhin. © dpa

Berlin - London wehrt sich, Berlin hofft darauf: Die EU-Kommission hat am Mittwoch eine "gerechtere" Verteilung von Flüchtlingen anhand einer festen Quote vorgeschlagen und damit einen heftigen Streit eröffnet.

Großbritannien reagierte mit dem Vorschlag, Bootsflüchtlinge zurückzuschicken. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nannte die Einführung eines Quotensystems "richtig und gerecht". Nach dem von Brüssel vorgeschlagenen Schlüssel müsste Deutschland 18,4 Prozent der Asylbewerber aufnehmen - gut 30 Prozent waren es im vergangenen Jahr.

"Migration geht alle Mitgliedstaaten an, und alle Mitgliedstaaten sind nun aufgerufen, ihren Beitrag zur Bewältigung dieser historischen Herausforderung zu leisten", sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bei der Vorstellung der EU-Flüchtlings- und Migrationsstrategie. Die vielen tragischen Schiffsunglücke im Mittelmeer und die hohe Zahl an Flüchtlingen, die es an die Küsten der südlichen EU-Länder schaffen, haben die EU zum Handeln gezwungen.

Den Anteil an Migranten, den die Mitgliedstaaten künftig aufnehmen sollen, will die EU anhand von vier Kriterien festlegen: die Bevölkerungszahl des Landes, seine Wirtschaftskraft, die Anzahl der proportional zur Einwohnerzahl bereits aufgenommenen Flüchtlinge sowie die Arbeitslosenquote.

System soll ab Mai getestet werden

Für Deutschland ergäbe das einen Anteil von 18,4 Prozent. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 202.645 Asylanträge gestellt, das war rund ein Drittel der EU-weiten Zahl. Damit kamen 2,5 Bewerber auf tausend Einwohner. In Italien, das derzeit besonders über die hohe Zahl von Flüchtlingen klagt, waren es nur 1,1 Prozent. Der Staat müsste der EU-Quote zufolge künftig knapp zwölf Prozent aller Asylbewerber aufnehmen, Frankreich 14,2 Prozent.

Ab Mai soll das System getestet werden. Ende des Jahres soll ein Gesetzesvorschlag für ein dauerhaftes Quotensystem folgen. Dieses würde immer dann greifen, wenn irgendwo in der EU auf einen Schlag sehr viele Migranten eintreffen.

"Die Mitgliedstaaten müssen nun auf dieser Grundlage in konkrete Gespräche eintreten", forderte de Maizière in Berlin. "Alle Mitgliedstaaten tragen gemeinsame Verantwortung, Flüchtlinge aufzunehmen."

Kritik kommt aus Großbritannien und von Wohlfahrtsverbänden

Der schärfste Gegenwind kommt aus Großbritannien. Quoten würden "mehr Menschen dazu ermutigen, ihr Leben aufs Spiel zu setzen", schrieb Innenministerin Theresa May in der Zeitung "The Times". Sie schlug stattdessen vor, Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer zurückzuschicken. Die EU solle sich darum bemühen, "sichere Landeplätze in Nordafrika zu schaffen, unterstützt durch ein aktives Rückführungsprogramm".

Sollte London ausscheren, könnten die übrigen EU-Länder die Quoten zwar trotzdem einführen. Doch auch die Regierungen von Tschechien, Polen und Ungarn lehnen die Vorschläge ab. Auf dem nächsten EU-Gipfel Ende Juni dürfte darüber heftig gerungen werden.

Ähnlich wie die baltischen Staaten lehnt auch Polen eine Quotenregelung für EU-Staaten bei der Aufnahmen von Migranten ab. „Es wundert mich sehr, dass die Regierungschefs die klare Entscheidung trafen, dass die Aufnahme von Migranten völlig freiwillig erfolgen soll, und die EU-Kommission uns jetzt Quoten auflegen will. Dazu gibt es derzeit keinerlei Zustimmung“, betonte der stellvertretende polnische Außenminister Rafal Trzaskowski am Donnerstag im Nachrichtensender TVN24. Die EU-Staaten müssten selbst entscheiden, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen und welche Bedingungen sie zur Integration der Migranten schaffen könnten.

Ähnlich sieht das auch der Wohlfahrtsverband Diakonie. "Rein administrative Lösungen werden der Lebenswirklichkeit nicht gerecht", erklärte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie am Donnerstag. Es werde nicht gelingen, Asylsuchende mittels einer Quote "gegen ihren Willen auf EU-Länder zu verteilen, in denen sie keine Perspektive für sich sehen".

Lilie beklagte Unterschiede bei den Aufnahmestandards der einzelnen Länder, die den Bedürfnissen der Betroffenen oft nicht gerecht würden. "In einigen EU-Ländern müssen Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge ohne Wohnung und staatliche Hilfe überleben und sind zum Teil massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt", bemängelte er. Die Diakonie fordere deshalb eine freie Wahl des Landes, in dem das Asylverfahren eingeleitet werden solle.

Auch Rettung von Schiffsbrüchigen soll verstärkt werden

Die Migrationsstrategie ist aber nicht auf die Umverteilung von Flüchtlingen begrenzt. Schon vorher will die EU Schleppern ihr Geschäft erschweren. Es werde erwogen, Schleuserschiffe "systematisch zu ermitteln, aufzubringen und zu vernichten", heißt es in dem EU-Papier.

Auch die Rettung Schiffbrüchiger soll verstärkt werden. Für die Einsätze "Triton" und "Poseidon" im Mittelmeer ist eine Verdreifachung der Ressourcen in diesem und nächstem Jahr vorgesehen. Die Kommission will zudem das "Triton"-Einsatzgebiet ausweiten, um mehr Schiffbrüchige zu erreichen. Das will auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), aber viele andere EU-Staaten nicht.

Als weitere Sofortmaßnahme kündigte die EU-Behörde ein Neuansiedlungssystem an, das EU-weit Platz für 20.000 Flüchtlinge bieten soll. Neuansiedlung betrifft anders als das Quotensystem Menschen, die noch nicht in der EU sind, jedoch dringend eine neue Bleibe brauchen, etwa syrische Bürgerkriegsflüchtlinge im Libanon. Auf Deutschland käme nach den EU-Plänen ein Anteil von 15,4 Prozent zu, was gut 3000 Flüchtlingen entspräche.

AFP/dpa/sr

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