Erstmeldung: Berlin - Über den Corona-Sommer war der Kandidat ohne hohes politisches Amt etwas in den Hintergrund gerückt - doch Friedrich Merz* will nach wie vor CDU-Chef werden. Und vermutlich auch Kanzler. Doch im Rampenlicht hat es der wohl konservativste der christdemokratischen Vorsitzanwärter schwer.
Gleich zwei Aussagen Merz' aus einem Bild-Talk vom Sonntagabend haben zum Wochenstart für teils heftige Verstimmungen gesorgt - und für Rufe nach einer Entschuldigung. Dabei ging es um sehr unterschiedliche Themenfelder: Um Homosexualität einerseits, um Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit andererseits. Selbst Parteifreund Jens Spahn - zusammen mit Armin Laschet* ebenfalls indirekt im Rennen um den Platz an der Parteispitze, wollte Merz in ersterer Frage nicht beispringen.
Merz war im Format „Die richtigen Fragen“ gefragt worden, ob er Vorbehalte hätte, wenn heute ein Schwuler Bundeskanzler würde. „Nein“, sagte Merz. Auf die Nachfrage, ob das für ihn völlig normal wäre, fügte er hinzu: „Über die Frage der sexuellen Orientierung, das geht die Öffentlichkeit nichts an. Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft - an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht - ist das kein Thema für die öffentliche Diskussion.“
SPD-Vize Kevin Kühnert, der sich in der Vergangenheit über seine eigene Homosexualität geäußert hatte, kritisierte am Montag auf Twitter: „So laviert jemand, der nicht kaschieren kann, dass er mit der Normalisierung des Umgangs mit Homosexualität eigentlich nichts anfangen kann.“ Merz' Aussage schaffe ungefragt eine Assoziationskette zwischen Homosexualität und Kindesmissbrauch, betonte er.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil kommentierte: „Friedrich möchte aus dem letzten Jahrhundert abgeholt werden.“ Im Gespräch mit der Bild fügte er später hinzu: „Da ist eine deutliche Entschuldigung fällig.“ Auf eine weitere Nachfrage nach dem Szenario eines schwulen Bundeskanzlers hatte Merz allerdings auch betont: „Überhaupt kein Thema für mich, klar.“
Gegenüber der Zeitung Welt rechtfertigte sich Merz am Montag. Zur aufgekommenen Kritik sagte er, das sei ein „bösartig konstruierter Zusammenhang, der in keiner meiner Äußerungen vorkommt“. Die Toleranzgrenze sei „immer überschritten, wenn Kinder betroffen sind“. „Das werde ich so auch in Zukunft sagen, selbst wenn es offenbar dem einen oder anderen nicht gefällt.“
Gesundheitsminister Spahn*, selbst mit einem Mann verheiratet, sagte auf die Frage, was eine solche Aussage eines Parteikollegen bei ihm auslöse: „Naja, wenn die erste Assoziation bei Homosexualität Gesetzesfragen oder Pädophilie ist, dann müssen Sie eher Fragen an Friedrich Merz richten, würde ich sagen.“
Ebenfalls heftigen Gegenwind gab es für Merz' Äußerung zu den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit in Corona-Zeiten. „Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können“, sagte der frühere Aufsichtsratschef des US-Vermögensverwalters Blackrock: „Wir müssen zurück an die Arbeit.“
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) packte Merz in seiner Reaktion direkt an der Ehre, an der Frage der Wirtschaftskompetenz: Merz habe „entweder ökonomisch keine Ahnung oder ist sozial zynisch. Oder beides“, urteilte Heil in einem Tweet. Er verteidigte das Instrument Kurzarbeit - es sichere „Millionen von Arbeitsplätzen".
Auf heftige Reaktionen stieß die Passage auch bei Nutzern der sozialen Netzwerke. „Jeden einzelnen Tag davon hatte ich Angst, ob ich am Jahresende noch einen Job haben würde“, schilderte etwa ein Kommentator seine Wahrnehmung von vier Monaten Kurzarbeit. „Merz ist einfach nur zynisch und privilegiert“.
Eine kontroverse Einschätzung hatte Merz in dem Gespräch auch zu den Geflüchteten des griechischen Katastrophen-Lagers Moria geäußert. (dpa/fn/AFP) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.