Erstmeldung vom 4. August 2019: Kaschmir - Der seit 1947 schwelende Konflikt zwischen Indien und Pakistan um das Grenzgebiet Kaschmir erreicht eine neue Spitze der Eskalationsstufe. Die indische Armee soll im Neelum-Tal, ein Teil Kaschmirs im pakistanischen Hoheitsgebiet Streumunition gegen unschuldige Zivilisten eingesetzt haben, erklärte die pakistanische Armee am Samstag. Kurz darauf wurde im indischen Teil Kaschmirs eine Terrorwarnung ausgerufen. Touristen und Anwohner flüchten derzeit in Massen aus der bedrohten Region.
Die Regierung des Bundesstaates Jammu und Kaschmir in Indien hatte am Freitagabend Urlauber und Pilger aufgerufen, Kaschmir „umgehend“ zu verlassen. Es gebe neue Geheimdiensthinweise auf „Terrorgefahren“ für eine größere hinduistische Pilgerversammlung in der Region, hieß es zu Begründung. In einer weiteren Mitteilung wurde auch hunderten Studenten aus anderen indischen Bundesstaaten zur Ausreise geraten. Deutschland und Großbritannien haben Reisewarnungen für Jammu und Kaschmir ausgegeben.
Verzweifelt versuchen jetzt zahlreiche Menschen, darunter vor allem Touristen, Pilger und Studenten, Plätze in Flugzeugen oder Bussen zu ergattern, um Kaschmir zu verlassen. Auf den Flughafen von Srinagar strömten am Samstag scharenweise Menschen die schnell ausreisen wollten. Die meisten hatten allerdings kein gültiges Flugticket.
„Passagiere, die eigentlich erst in den kommenden Tagen abreisen sollten, sind in Panik zum Flughafen gekommen“, sagte der Manager einer Fluggesellschaft, die Flüge von Srinagar in die indische Hauptstadt Neu Delhi anbietet. „Es ist chaotisch und nicht viele werden Sitze ergattern, wenn es keine zusätzlichen Flüge gibt.“ Auch vor Tankstellen, Supermärkten und Geldautomaten in Kaschmir bildeten sich lange Schlangen.
Zeitgleich reisen seit Samstag tausende indische Soldaten ein - zur Unterstützung des bereits bestehenden Militäraufgebots im Grenzgebiet.
Pakistan hat am Samstag Indien beschuldigt Streumunition gegen Zivilisten einzusetzen. Bei einem Einsatz in der Nacht zum Mittwoch seien im pakistanischen Teil Kaschmirs zwei Menschen, darunter ein vierjähriger Junge getötet worden. Elf weitere Menschen seien bei dem Angriff durch die indische Armee schwer verletzt worden.
Streumunition verteilt beim Einsatz viele kleinere Sprengsätze über größere Flächen. Was nicht explodiert, bleibt als Blindgänger liegen und kann noch Jahre später Menschen in Fetzen reißen, wenn es längst keine Kampfhandlungen mehr in dem Gebiet gibt.
Das Neelum-Tal liegt entlang der sogenannten Kontrolllinie, der faktischen Grenze zwischen Indien und Pakistan. Der Konflikt besteht, seitdem die indische Kolonie Großbritanniens im Jahr 1947 unabhängig wurde. Im Zuge dieser Unabhängigkeit wurde die Kolonie in Indien und Pakistan geteilt. Seitdem besteht der Konflikt um die Herrschaft über das Himalaya-Gebiet. Auch die Volksrepublik China erhebt Anspruch auf Teile des Gebiets.
Indien verdächtigt Pakistan, islamistische Kämpfer im indischen Teil Kaschmirs zu unterstützen. Die pakistanische Regierung in Islambad bestreitet dies.
Im Februar ist in Kaschmir beben Bussen mit 2500 indischen Sicherheitskräften ein mit Hunderten Kilogramm Sprengstoff beladener Wagen explodiert. Der Bombenanschlag forderte mindestens 40 Menschenleben. Ende Februar attackierte die indische Luftwaffe Islamistenlager in Pakistan, nachdem Pakistan zwei indische Kampfflugzeuge abgeschossen hatte. Pakistan argumentierte, die Flugzeuge hätten sich im pakistanischen Luftraum bewegt. Indien behauptete, Pakistan habe mit dem Angriff den indischen Luftraum verletzt.
nai/dpa