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„Das ganze System in die Tonne treten!“ Jens Spahn wird bei Illner-Talk in die Mangel genommen

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Jens Spahn stand am Donnerstag bei Maybrit Illner Rede und Antwort.
Jens Spahn stand am Donnerstag bei Maybrit Illner Rede und Antwort. © Screenshot ZDF-Mediathek

Um ein Riesenproblem für die deutsche Gesellschaft ging es am Donnerstag bei Maybrit Illner: Den teils unwürdigen Zuständen in der Pflege. Betroffene nahmen Gesundheitsminister Spahn unter Beschuss.

Pflegebedürftige Menschen, die stundenlang in ihren eigenen Exkrementen liegen. Pflegekräfte, die kurz vor dem Burn-Out stehen und dabei lächerlich wenig verdienen. Pflegende Angehörige, die sich aufopfern und völlig allein gelassen fühlen. Das riesige gesellschaftliche Problem des Pflegenotstands in Deutschland war am Donnerstag Thema eines „Spezials“ der ZDF-Talkshow Maybitt Illner. Das Besondere: Außergewöhnlich viele „Normalos“ und Betroffene waren eingeladen. Sie konnten Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mit ihren Forderungen konfrontieren. Als Vertreterin der Opposition stand Katja Kipping (Linke) am Rednerpult.

Ein fast schon alter Bekannter war Pflege-Azubi Alexander Jordes (22). Er warf einst schon Angela Merkel in einer Diskussionsrunde vor, nichts für seine Branche zu tun. Spahn gewährte er zwar einen Welpenbonus (“Wir können Sie nicht dafür verantwortlich machen, was in den letzten 20 Jahren schief gelaufen ist“), doch auch ihn nahm er rhetorisch gewandt in die Mangel. 

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Pflegeazubi Jordes: „Wir mucken zu wenig auf!“

“Die Schichten sind so eng besetzt, dass es nur ein bis zwei Ausfälle braucht, und dann ist eine Versorgung, die Leben retten kann, nicht mehr gewährleistet“, schilderte er die Zustände angesichts eines Personalschlüssels von 1:13. Doch daran seien nicht zuletzt auch die Pflegekräfte selbst schuld. Wie bitte? „Wir mucken zu wenig auf!“, so Jordes. „Wenn viele freiwillig mehr arbeiten, wird keine neue Stelle geschaffen.“ Würde jeder nur genau das tun, für das er bezahlt werde, bliebe dem Arbeitgeber nichts mehr anderes übrig, als aufzustocken.

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Keine Ausreden von der Politik mehr hören wollte Martin Bollinger (36), dessen Mutter seit 18 Jahren in einem Pflegeheim lebt. Genauso lange werde immer nur von „Einzelfällen“ gesprochen, wenn es um verheerende Zustände in Heimen geht, kritisiert er. Dabei hake es überall: „Das gesamte System müsste von heute auf morgen in die Tonne getreten werden!“, schimpfte er in Richtung Spahn. Auch die so oft geforderte bessere Bezahlung für Pflegekräfte nütze da nichts: „Den Menschen geht‘s nicht nur um die Kohle.“ Ein Problem sei auch die viele Bürokratie, der endlose Papierkram. „Viele tausend Pflegekräfte müssen jeden Tag Dinge tun, die sie nie gelernt haben.“

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Rudi Asssauers Tochter: „Das letzte halbe Jahr war nicht mehr so schön“

Nicht weniger schwer ist die Situation für Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen. Mehrere Betroffene waren bei Maybrit Illner zu Gast. So auch Bettina Michel (52), die Tochter des legendären Ex-„Schalke“-Managers Rudi Assauer. Sie schmiss ihren Beruf als Hotelfachfrau hin, um ihren Vater zu pflegen. „Ich habe es ihm versprochen. Er wollte nie in ein Heim“, sagte sie. Sein vertrautes Umfeld zu haben, sei sehr wichtig für ihren dementen Vater. Lange hätte sie versucht, „Normalität in dieses schreckliche Leben zu bringen“: Sie gingen zu Fußballspielen, machten Urlaub, besuchten Bekannte. „Aber das letzte halbe Jahr war nicht mehr so schön“, so die 52-Jährige bedrückt.

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Linken-Politikerin Katja Kipping forderte für Menschen wie Michselsen, die ihren Job für die Pflege eines Angehörigen aufgeben, eine Lohnersatzleistung - ähnlich wie das Elterngeld. Spahn wich aus und wies stattdessen auf die Zahlungen der Pflegeversicherung in die Rentenkasse hin: Bei Pflegegrad 5 seien es 500 Euro. „Das ist so, als ob man 3000 Euro brutto verdient.“ Da platzte Kornelia Schmid, die seit 25 Jahren ihren kranken Ehemann pflegt, der Kragen: „Hören Sie auf mit den 3000 Euro!“, sagt Schmid sauer zu Spahn. „Wir Angehörige werden mittlerweile blöd angesprochen: Was wollt‘s denn, ihr kriegt‘s so viel!“ Solche Summen, wie Spahn sie nannte, würde nur ein winziger Bruchteil bekommen.

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