Zweiterer hatte zuletzt auch eine düstere Warnung von Kanzlerin Angela Merkel relativiert*: „20.000 Neuinfektionen pro Tag, das klingt erstmal nach Apokalypse. Das sind enorme Zahlen. Aber im Grunde sollte uns das keine Angst machen“, sagte er. Milde Verläufe spielten keine so große Rolle im Infektionsgeschehen. Merkel hatte modellhaft einen Anstieg der Fallzahlen bis Weihnachten vorgerechnet.
Auch das kritisierte Wolfgang Merkel: Apokalyptik lasse auf Dauer nicht durchhalten, warnte er. „Wenn die Kanzlerin sich hinstellt und vorrechnet, wo genau die Infektionszahlen an Weihnachten liegen könnten, dann suggeriert sie damit eine Präzision und eine Eindeutigkeit, die es gar nicht geben kann.“ Ungeachtet dessen könne der Wissenschaft auf Dauer eine Rolle zukommen, die „undemokratisch wird“, warnte er. Politik könnte aus dem „Modus der Repräsentation“ in den „Modus der Wahrheit“ wechseln: „Als gäbe es nur eine wissenschaftliche Wahrheit.“
Den am Mittwoch ausgefochtenen Streit um das - seiner Ansicht nach unsinnige - Beherbergungsverbot wertete der Politologe Merkel als Chance für den Wechsel in eine „nüchternere Corona-Politik, die wieder den besten Argumenten folgt und nicht der größten Furcht“. Zumindest diese konkrete Regel stieß tatsächlich auch bei Mahnern in der Corona-Krise auf Widerstand - auf Basis wissenschaftlicher Argumente: „Keine Studie zeigt, dass das Reisen innerhalb Deutschlands ein Pandemietreiber ist. Ich löse mit diesen Regeln also kein Problem, weil es da kein Problem gibt“, sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der Süddeutschen Zeitung.
Lauterbach warnte auch, die Regelung könne Akzeptanz für wichtigere Maßnahmen kosten. Der aktuelle Streit könnte das unterstreichen. Was genau die besten Argumente sind, dürfte allerdings im Auge der Betrachter liegen. Eine handfeste Bewertung des Ringens um den richtigen Corona-Kurs wird wohl erst die Rückschau bringen - und mit Menschenleben steht ein hoher Preis auf dem Spiel.
Unterdessen erstarken jedenfalls Forderungen nach mehr Mitbestimmung durch die Parlamente. „Es wird allerhöchste Zeit für demokratische Legitimierung der Corona-Politik“, sagte Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Über die Grundlinien der Corona-Maßnahmen müsse im Bundestag diskutiert und entschieden werden, nicht nur in den Staatskanzleien, sagte der Linksfraktionschef. „Es wird zu viel verkündet und kaum noch etwas begründet“, betonte er. (fn) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.