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Neuer Vorstoß nach Skandalen: Vatikan warnt vor „Gender-Ideologien“

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Pfingstmesse im Vatikan
Vatikanstadt: Papst Franziskus geht nach der Pfingstmesse auf dem Petersplatz an Kardinälen vorbei. © dpa / Gregorio Borgia

Kaum sind die Debatten um Missbrauchsskandale abgeflaut, meldet sich der Vatikan mit einem neuen Vorstoß zum Sexualleben zu Wort - und rügt „Gender-Ideologien“.

Update vom 4. Mai 2020: Ex-Papst Benedikt macht erneut mit brisanten Äußerungen von sich reden. In einer frisch veröffentlichten Biografie äußert Josef Ratzinger den Vorwurf, man wolle „seine Stimme ausschalten“. Zugleich warnt er mit Blick auf weitreichenden Konsens in Sachen gleichgeschlechtlicher Ehe oder Abtreibung vor einer „weltweiten Diktatur“ und einem „antichristlichen Credo“.

Update vom 13. Februar 2020: Nach der überraschenden Erklärung von Papst Franziskus zum Zölibat muss er sich auch Kritik stellen. BR-Journalist Tilmann Kleinjung formuliert eine solche besonders scharf: Mit diesen Entscheidungen sei die „Kirche nicht zukunftsfähig“. Dabei spricht der Journalist vor allem noch ein anderes Thema an: Frauen in der Kirche

Update vom 5. Februar 2020: Paukenschlag im Vatikan! Wie die Zeitung "Tagespost" meldet, hat Papst Franziskus den Präfekten des Päpstlichen Hauses, Erzbischof Georg Gänswein, auf unbestimmte Zeit beurlaubt - und damit in diesem Amt entmachtet.

Update vom 10. September 2019: Kardinal Reinhard Marx äußert sich zum Zölibat. Er hält eine Lockerung der Regelung für möglich.

Update vom 29. Juli 2019: Nun hat sich Franziskus überraschend in einem Buch-Vorwort auch zum Thema Prostitution geäußert.

Update vom 10. Juni 2019: Nach den Debatten über Missbrauchsfälle und das Zölibat in der katholischen Kirche (siehe unten) hat sich der Vatikan nun mit einer anders gearteten Stellungnahme zum Sexualleben der Menschen zu Wort gemeldet. In der Schrift mit dem Titel „Als Mann und Frau schuf er sie“, äußert sich der Heilige Stuhl zur Gender-Theorie - und rügt insbesondere „Gender-Ideologien“.

So heißt es etwa, es würden in vielen Fällen „angeblich neutrale“ Konzepte vermittelt, deren Menschenbild aber „dem Glauben“, „der lauteren Vernunft“ und „der Natur“ widerspreche. Abgelehnt wird auch die Vorstellung, dass Menschen ihr Geschlecht wählen oder ändern können.

„In einer solchen Sichtweise werden das Verständnis von sexueller Identität wie das von Familie 'verflüssigt' oder 'verwässert', wie dies auch für andere Aspekte postmoderner Kultur gilt“, schreibt die Katholische Bildungskongregation in der Stellungnahme, aus der unter anderem der Deutschlandfunk zitiert. Sie soll katholischen Lehrern, Eltern, Schülern sowie Geistlichen Orientierung und Hilfe beim Umgang mit dem Thema geben.

In Sachen Gefühlsleben und Sexualität herrsche ein „wahrhaftiger Bildungsnotstand“, schreiben die Verfasser in ihrer Einleitung. Beim Thema Gender gebe es ein hohes Risiko für Missverständnisse und „ideologische Konflikte“, erklärte zudem der Leiter der Kongregation, Giuseppe Versaldi, in einem begleitenden Artikel. Man wolle deshalb zum Dialog einladen. 

Der Papst äußerte sich kürzlich auch zu aktuellen Reden von Politikern. Einige dieser Reden erinnerten ihn an Adolf Hitler, sagte der Papst. Außerdem warnte er vor Abschottung und Krieg. 

S*x im Urlaub? Insider rüttelt mit Statement über Zölibat wach: „95 Prozent der Priester ...“ 

Update vom 5. Juni 2019: Der Berliner Therapeut und Zölibatsberater Joachim Reich glaubt, dass sich 95 Prozent der Priester nicht lebenslang an den Zölibat halten. „Es gibt Priester, die im Urlaub ganz viel Sex haben und den Rest des Jahres zölibatär verbringen. Andere führen konsequent ein Doppelleben. Haben eine feste Beziehung, gehen gewohnheitsmäßig ins Bordell oder behelfen sich mit Pornos“, so Reich in einem Interview mit der „Welt“ (Artikel hinter Bezahlschranke). 

Die katholische Kirche würde die Priester mit ihren Problemen alleine lassen, kritisiert Reich: Das Phänomen wird individualisiert, nach dem Motto: „Es ist dein Problem. Du hast dich dafür entschieden.“ Die Kirche lässt diese Menschen letztlich im Stich, und das fängt schon in der Priesterausbildung an: Zu mir kommen Priesterseminaristen, die darüber klagen, dass sie nicht wirklich und ernsthaft auf den Zölibat vorbereitet werden. Das entspricht der Logik der Kirche: Kleriker dürfen ohnehin keinen Sex haben, also müssen wir uns auch keine Gedanken über den Umgang mit Sex machen.“

Auf die Frage, ob der Zölibat mit den Missbrauchsfällen von Zusammenhang steht, antwortet Reich: „Es gibt in der Kirche – wie im Rest der Gesellschaft – eine sehr kleine Gruppe von Kernpädophilen. Und es gibt Geistliche, die sexuell unreif sind, weil sie teilweise unerfahren sind und unter dem Zölibat keine altersgerechte Sexualität entwickeln konnten. Wenn sexuell selbstunsichere Menschen in Kontakt mit Jugendlichen kommen, die genauso auf der Suche nach ihrer Sexualität sind, ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie Grenzen überschreiten.“

Missbrauch in Kirche: Papst gab 68ern die Schuld - Kardinal Marx wirbt für neuen Blick auf die Kirche

Update vom 31. Mai 2019: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hat Verständnis für die große Enttäuschung vieler Menschen über das Handeln Verantwortlicher in der Kirche. Angesichts von Missbrauchskrise und sinkenden Mitgliederzahlen müsse die katholische Kirche Probleme „intensiv“ anpacken und sich zugleich auf den Kernauftrag besinnen, so der Erzbischof von München und Freising in einem Radiobeitrag, der an diesem Samstag im Bayerischen Rundfunk gesendet wird. „Kirche ist da, um von Gott zu reden, und zwar zu allen Menschen. Kirche ist nicht für sich selbst da, sondern für die Welt, für die Menschen in der Nähe und in der Ferne.“ Die Kirche habe viel Vertrauen verloren, ihr Ansehen habe stark gelitten.

Kardinal Marx wirbt für neuen Blick auf die Kirche.
Kardinal Marx wirbt für neuen Blick auf die Kirche. © dpa / Julian Stratenschulte

Marx betonte das starke Engagement von Haupt- und Ehrenamtlichen wie Kirchenmusikern, Mesnern, Erziehern, Pflegekräften und Seelsorgern. Es sei bedauernswert, dass dieses Engagement oft in den Hintergrund gerate. Deshalb werde man auch „im geplanten Synodalen Weg gemeinsam überlegen, wozu die Kirche da ist und was wir überhaupt meinen, wenn wir von Kirche sprechen“, sagte der Erzbischof laut am Freitag verbreiteter Mitteilung weiter. Alle Menschen, die sich zu dieser Gemeinschaft bekennen, seien gleichermaßen Kirche. „Mir ist es wichtig, diese Perspektive wieder deutlicher zu machen. Dann können wir auch die konkreten Probleme besser angehen“, so Marx.

Bei Hannover beschäftigt der Missbrauchs-Skandal um einen Lehrer die Staatsanwaltschaft, wie nordbuzz.de* berichtet.

Missbrauch in Kirche: Papst gab 68ern die Schuld - Bayerischer Bischof schlägt nun ganz andere Töne an

Update vom 29. April: Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke hält sich eigenen Worten zufolge für mitschuldig an der Vertuschung von Missbrauchstaten in der katholischen Kirche. Der Umgang mit den Missbrauchsfällen sei sicher ein Beleg dafür, „dass die Institution Kirche an der eigenen Selbstfixierung leidet“, schrieb Hanke in einem Gastkommentar für die „Herder Korrespondenz“. Es habe ein Bewusstsein gefehlt, wie verheerend ein falscher Umgang mit den Tätern sein könne. „Ich spreche hier kein Schuldurteil über andere, ich schließe mich selber ein“, betonte Hanke.

„Die Vertuschung hat ihre Ursache in diesem geschlossenen Kreis, in dem die Selbstkritik keinen Platz hat.“ Es habe daher nach den Missbrauchstaten zu oft ein Inner-Circle-Denken geherrscht. „Nach dem Motto: Junge, Du hast gesündigt, aber es wird schon wieder“, sagte Hanke und ergänzte: „Da kam das Opfer nicht vor.“

Sexueller Missbrauch durch Geistliche wurde in der Vergangenheit in vielerlei Hinsicht und in vielen Ländern kleingeredet oder vertuscht - auch in Deutschland. In einer von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen und im September 2018 veröffentlichten Studie waren etliche Missbrauchsfälle dokumentiert worden.

Missbrauch in Kirche: Papst gibt 68ern die Schuld - Passauer Bischof ist „sehr dankbar“ für Aufsatz

Update am 20. April 2019: In einem Aufsatz sieht Papst Benedikt in der 68er-Bewegung und der damit einhergehenden sexuellen Revolution eine Ursache für Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche. Durch die 68er habe sich „ein Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie ereignet, der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte“. Die vorher gelten Maßstäbe in Fragen der Sexualität seien „vollkommen weggebrochen“, es sei eine „Normlosigkeit entstanden“. 

Der Aufsatz im bayerischen Klerusblatt hatte für Empörung und zahlreiche kritische Reaktionen gesorgt. Nun meldete sich auch der Passauer Bischof Stefan Oster zu Wort - und verteidigte Papst Benedikt. Er sei dem Papst „sehr dankbar“ für den Aufsatz. Er lese den Text "schlicht als Ausdruck seines Mitgehens, Mitfühlens und Mitleidens mit der Kirche, mit der geschichtlichen Situation, in der wir stehen und in die wir gekommen sind, mit den Menschen, die in der Kirche handeln und mit denen, die von der Kirche misshandelt worden sind", schreibt Oster auf seiner Internetseite.

Papst Benedikt habe eine Gottlosigkeit und eine Entfremdung vom Glauben in der Gesellschaft beklagt. Oster sieht es genauso: "Wenn Gott nicht mehr als anwesend geglaubt wird, verlagert sich die Einschätzung dessen, was Sünde ist, vor allem in mein eigenes, subjektives Urteil.“ Eine aus seiner Sicht „gefährliche Bedrohung“.

Annegret Kramp-Karrenbauer fällt hartes Urteil zum Missbrauchs-Skandal der Kirche

Update vom 17. April, 7.30 Uhr: Angesichts der Enthüllungen über den sexuellen Missbrauch von Kindern durch katholische Geistliche erwartet die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ein stärkeres Gegensteuern der Kirche. „Die katholische Kirche trägt ohne Wenn und Aber Schuld daran, dass sie die Aufklärung dieser Verbrechen an den Kindern systemisch verhindert und damit auch den Missbrauch ermöglicht hat. Das ist die große Schuld, die die Kirche in sich trägt“, sagte sie der Zeitschrift „Publik-Forum“. „Die Bemühungen, die es jetzt gibt, reichen bei Weitem nicht aus, um dafür zu sorgen, dass sich ein solches Versagen der Institution Kirche nicht wiederholt.“

Überdies sprach sich Kramp-Karrenbauer, die dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken angehört, dafür aus, künftig auch Priesterinnen in der katholischen Kirche zuzulassen. „Ein erster Schritt wäre, Frauen zum Diakonat zuzulassen. Angesichts des Priestermangels wäre ein zweiter, den Pflichtzölibat aufzuheben. Dann wären mehr Männer bereit, Priester zu werden“, sagte sie.

Auf die Frage, ob der Zölibat und die rigide Sexualmoral der Kirche den Missbrauch an Kindern begünstigt habe, sagte Kramp-Karrenbauer, vor allem habe dies mit jedem einzelnen Täter zu tun. „Kein Täter kann sagen, dass er ein Opfer der Umstände oder des Systems Kirche ist.“

Spitzentreffen der Kirche in Rom: Papst Franziskus besucht Benedikt

Update vom 16. April, 16.45 Uhr: Mit seiner provokanten Schrift hatte der ehemalige Papst Benedikt in den letzten Tagen für Furore gesorgt. Am Dienstag bekam er nun aber sicher in großer Mehrheit positive Anrufe, denn der emeritierte Papst feiert seinen 92. Geburtstag. Neben Papst Franziskus gratulierte unter anderem auch Benedikts leiblicher Bruder Georg. Allerdings sind Geburtstagsgeschenke zwischen den Brüdern nicht gängig. Georgs Haushälterin, Schwester Laurente erklärte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, dass für die beiden, der katholischen Tradition entsprechend, die Namenstage wichtiger seien. 

Besuch bekam Benedikt in Rom dafür vom aktuellen Pontifex Franziskus.

Harte Kritik an Benedikt kommt auch aus der Kirche - Papst Franziskus besucht ihn

Update vom 15. April 20.56 Uhr: Papst Franziskus hat seinem Vorgänger Benedikt im Vatikan einen Besuch aus doppeltem Anlass abgestattet. Der Pontifex habe dem gebürtigen Bayer am Montag seine Wünsche zu Ostern überbracht und die Gelegenheit genutzt, dem emeritierten Papst zum Geburtstag zu gratulieren, teilte Vatikansprecher Alessandro Gisotti mit. Benedikt wird am Dienstag 92 Jahre alt. Seit seinem spektakulären Rücktritt 2013 lebt er in weitgehender Abgeschiedenheit im Kloster Mater Ecclesiae in den vatikanischen Gärten.

14.33 Uhr: Auf dem theologischen Feuilleton-Portal feinschwarz.net haben sich Christof Breitsameter und Stephan Goertz, Sprecher der deutschen Arbeitsgemeinschaft Moraltheologie, zu den umstrittenen Thesen des ehemaligen Papstes geäußert. Benedikt sei ein „Gefangener seiner Vorurteile“ heißt es dort.

Vor allem die Aussage des ehemaligen Kirchenoberhaupts, seit den 1960er Jahren habe sich ein „Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie ereignet, der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte“, stößt Breitsameter und Goertz sauer auf. Sie bezeichnen diesen Vorwurf als diffamierend.

„Die Analyse von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. beruht auf einer Reihe von falschen Annahmen und wird von uns im Ganzen als ein misslungener und untauglicher Beitrag zur Aufarbeitung der Missbrauchskrise bewertet“, stellt das Duo in seinem Schreiben klar.

Dass Ratzinger Homosexualität indirekt als Ursache von Missbrauch darstelle, sei in seiner verzerrten Wahrnehmung begründet. Zu unterstellen, Homosexualität habe es in von sexueller Emanzipation unberührten katholischen Milieus nicht gegeben, führe in die Irre. „Die unhistorische Verklärung der Vergangenheit muss sich für die Opfer autoritärer oder patriarchaler Strukturen zynisch ausnehmen“, werfen Breitsameter und Goertz dem ehemaligen Oberhaupt der katholischen Kirche vor.

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Ex-Papst Benedikt sorgt für Entsetzen - Unterstützer aus der Kirche meldet sich zu Wort

Update vom 14. April: Der frühere Papst Benedikt hat im Streit um seine Analyse der Missbrauchsskandale in der katholischen Kirchen erneut Beistand erhalten - und zwar in äußerst markigen Worten. In einem Interview mit der Webseite kath.net attackierte der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller die Kritiker Benedikts auf das Heftigste.

„Das sind Leute, die weder glauben noch denken. Vor allem fehlt ihnen der geringste Anstand“, urteilte der frühere Bischof von Regensburg. „Von Kritikern kann man nicht sprechen“, sagte er. „Denn das Wort Kritik heißt, geistig anspruchsvolle Dinge zu unterscheiden, um damit einen Beitrag im Verständnis wichtiger Fragen zu leisten.“

Benedikts Schrift sei „die tiefgründigste Analyse der Genese der Glaubwürdigkeitskrise der Kirche in Fragen der Sexualmoral und intelligenter als alle Beiträge beim Gipfel der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zusammen“, erklärte Müller. Inhaltlich schloss sich der Kardinal Benedikt an: „Der Zusammenbruch der schon porös gewordenen bürgerlichen Moral in der ‚globalen sexuellen Revolution‘ und der missglückte Versuch einer katholischen Moralbegründung ohne das Naturrecht und die Offenbarung haben bei vielen zu einer Zerrüttung des sittlichen Gewissens geführt.“

Müller verurteilte die Kritiker des emeritierten Papstes und lastete ihnen „ideologische Verwüstungen“ an: „Man spricht von Erneuerung und Reform der Kirche und meint nur die Anpassung an die eigene Dekadenz“. „Den bisher formulierten katholischen Glauben qualifizieren sie als konservativ ab und meinen, nur ihre ‚progressive‘ Sicht wäre die Zukunft der Kirche so wie in den anderen von dieser Ideologie verwüsteten ehemaligen katholischen Ländern.“

Der emeritierte Papst Benedikt hatte die sexuelle Revolution der 68er Jahre und die Säkularisierung der westlichen Gesellschaft für den sexuellen Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche verantwortlich gemacht. Benedikt hatte Müller 2012 zum Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre berufen. Sein Nachfolger Franziskus verzichtete 2017 auf eine Verlängerung von Müllers Amtszeit.

Kirche: Theologe wirft Ex-Papst Ignoranz vor

Update vom 14. April: Der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet hat dem ehemaligen Papst Benedikt XVI. vorgeworfen, sich ignorant gegenüber neuerer Forschung zu verhalten. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kirche gebe es Tendenzen, sich über wissenschaftliche Untersuchungen hinwegsetzen zu wollen, sagte Prof. Striet am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Er bezog sich damit auf das jüngste Schreiben des emeritierten Papstes, in dem dieser die „68er Revolution“ als eine Ursache für den sexuellen Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche anführt.

„Wer meint, international vorgelegte Studien zu missbrauchsbegünstigenden Faktoren in der katholischen Kirche mit einer Handbewegung vom Tisch wischen zu können und stattdessen mit dem „alternativen Faktum“ aufwartet, die 68er seien es gewesen, ist verdammt nah dran an einem weltweit zu beobachtenden Zeitgeist, der sich alles so zurechtbiegt, wie es der eigenen Agenda entspricht“, kritisierte Striet.

Video: Der Glaube an Gerechtigkeit

News aus der Kirche vom 13. April: Ex-Papst sorgt mit Schreiben für Entsetzen - und erhält Zustimmung

15.54 Uhr: Ex-Papst Benedikt XVI. hat mit seinem umstrittenen Schreiben nach Ansicht des deutschen Kardinals Gerhard Ludwig Müller als Einziger etwas Sinnvolles zur Missbrauchsdebatte in der katholischen Kirche beigetragen. „Benedikt hat in seinem Schreiben die Eiterbeule aufgestochen“, sagte Müller am Samstag der Deutschen Presse-Agentur in Rom. „Mit seinen 92 Jahren hat Benedikt XVI. einen Text verfasst, der intelligenter ist als alle Beiträge auf dem römischen ‚Missbrauchsgipfel‘ und der neunmalklugen Moral-Experten bei der Deutschen Bischofskonferenz zusammen.“

Am Donnerstag hatten mehrere Medien einen Aufsatz des emeritierten Papstes veröffentlicht, in dem dieser die „68er Revolution“ als eine Ursache für den sexuellen Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche anführt. Mit seinem Schreiben meldete sich der gebürtige Bayer, der am Dienstag seinen 92. Geburtstag feiert, in einer äußerst heiklen Phase für seinen Nachfolger Franziskus zu Wort. Die Kirche steckt wegen des Skandals um sexuellen Missbrauch durch Geistliche in einer tiefen Krise. Papst Franziskus hatte im Februar die Bischöfe der Welt nach Rom eingeladen, um über das Problem zu beraten.

„Man sucht überall nach Schuldigen, umschleicht aber wie die Katze den heißen Brei“, sagte Müller. „Und das ist das falsche materialistische Menschenbild mit der Reduktion der Sexualität auf eine Ware und egoistische Genussmittel.“

Ex-Papst Benedikt XVI. steht nach seinen umstrittenen Aussagen weiter in der Kritik.
Ex-Papst Benedikt XVI. steht nach seinen umstrittenen Aussagen weiter in der Kritik. (Archiv) © dpa / Claudio Peri

Der Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller hat dagegen den Beitrag Benedikts kritisiert. Es fehle darin die Rede von der Schuld, die im Umgang mit sexuellem Missbrauch auch Bischöfe betreffe, schreibt Müller in einer am Freitag in Würzburg veröffentlichten Stellungnahme. Nicht nur die Priester, die sexuelle Gewalt an Minderjährigen ausgeübt hätten, seien schuldig geworden, sondern auch die Bischöfe, darunter der einstige Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger. Sie seien „nicht angemessen“ mit den Tätern umgegangen. Sie hätten damit ermöglicht, dass diese weiter in der Kirche ihr missbräuchliches Verhalten ausüben konnten.

Die betroffenen Opfer, ihr Leid, seien nicht gehört worden, erinnert Müller. „Es fehlte die Sensibilität, die Empathie, das Mitleiden dafür.“ Der Theologe hätte sich gewünscht von dem Kirchenmann zu hören, dass er sich bei den Überlebenden sexualisierter Gewalt durch Kleriker dafür entschuldigt, „wo er, ganz sicher, ohne es zu wollen, zu deren Leid beigetragen hat“.

Lesen Sie auch den Kommentar von Merkur.de zum Schreiben des Ex-Papstes*: Benedikts Artikel ist wirklich unglaublich

Kirchen-News vom 12. April: Benedikt irritiert Missbrauchs-Opfer: „Am Ende ist der Teufel schuld“

20.15 Uhr: Auch die Opfer-Initiative „Eckiger Tisch“ hat sich ernüchtert über Papst Benedikts Schreiben zum Thema des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche geäußert. Strukturelle Ursachen blende Benedikt aus, kritisierte der Sprecher der Gruppe, Matthias Katsch, in einem Interview mit dem Radiosender Bayern2: "Stattdessen ist am Ende der Teufel Schuld dafür, dass das Böse in die Kirche eingedrungen ist.

Es handle sich um eine „vormoderne Sicht“, die zur Lösung des Problems nichts beitrage, erklärte Katsch in der Sendung „Radiowelt“. Die Analyse gehe völlig an der Sache vorbei. Dennoch blieb der Opfer-Vertreter gelassen: Gerade aufgrund ihrer Verfehltheit solle man die Äußerung des emeritierten Papstes „jetzt auch nicht zu wichtig nehmen“.

Benedikt: 68er Mitschuld an Skandal der Kirche - „Homosexuelle Clubs“ in Priesterseminaren

Update vom 11. April, 18.31 Uhr: Die vom ehemaligen Papst Benedikt verfasste Schrift sorgt weiter für Aufsehen in der Kirche und außerhalb dieser. Neben der gesellschaftlichen Umdeutung von Pädophilie, die laut Benedikt in den 60er Jahren stattgefunden habe, findet der Ex-Papst aber auch deutliche Worte und kritisiert Vorgänge in der Kirche selbst. 

Es sei zu einem Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie gekommen. Dieser habe auch die Kirche intern erreicht. In Bezug auf die Priesterseminare, in denen angehende Geistliche geschult werden sei ein „weitgehender Zusammenbruch der bisherigen Form dieser Vorbereitung festzustellen.“ 

Und diesen Zusammenbruch beschreibt Benedikt sehr detailliert: „In verschiedenen Priesterseminaren bildeten sich homosexuelle Clubs, die mehr oder weniger offen agierten und das Klima in den Seminaren deutlich veränderten.“ Zudem beklagt der ehemalige Papst, dass in einem Seminar in Deutschland Priesteramtskandidaten mit Kandidaten für das Amt des Pastoralreferenten zusammenlebten. Letzte sind nicht vom Zölibat betroffen und hätten ihre Frauen, Kinder und Teils Freundinnen mitgebracht. „Das Klima im Seminar konnte die Vorbereitung auf den Priesterberuf nicht unterstützen“, fasst Benedikt zusammen.  

Benedikt hat provokante These über Missbrauch in der Kirche - Theologen sind entsetzt

Rom - Für den emeritierten Papst Benedikt sind die 68er Jahre eine Ursache für den sexuellen Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche. „Zu der Physiognomie der 68er-Revolution gehörte, dass nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde“, schrieb Benedikt in einem Aufsatz, den unter anderen das katholische Nachrichtennetzwerk CNA am Donnerstag veröffentlichte. Unabhängig davon hätte sich zeitgleich „ein Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie ereignet, der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte“.

Benedikt: „Geltende Maßstäbe vollkommen weggebrochen“ - Kirche

Grund für die Krise der katholischen Kirche sei auch eine „Gottlosigkeit“. „Wieso konnte Pädophilie ein solches Ausmaß erreichen? Im letzten liegt der Grund in der Abwesenheit Gottes“, schreibt der deutsche Ex-Papst, der nächste Woche 92 Jahre alt wird. Nach Rücksprache mit seinem Nachfolger Franziskus habe er den Text für das bayerische Klerusblatt geschrieben. Darin heißt es: In den Jahren von 1960 bis 1980 seien „die bisher geltenden Maßstäbe in Fragen Sexualität vollkommen weggebrochen“ und eine „Normlosigkeit entstanden, die man inzwischen abzufangen sich gemüht hat“.

Der ehemalige Papst Benedikt warnt in seinem Schreiben auch davor, die Probleme der Katholischen Kirche mit einer Erneuerung der Institution zu lösen. „Die Krise, die durch die vielen Fälle von Missbrauch durch Priester verursacht wurde, drängt dazu, die Kirche geradezu als etwas Missratenes anzusehen, das wir nun gründlich selbst neu in die Hand nehmen und neu gestalten müssen. Aber eine von uns selbst gemachte Kirche kann keine Hoffnung sein.“

Kirche: Theologen über Benedikt empört: „Ein beschämendes Schreiben“

Katholische Theologen äußerten Kritik. Es sei „verblüffend“, „eine freizügige Kultur und progressive Theologie für ein internes und strukturelles Problem verantwortlich zu machen“, erklärte Julie Hanlon Rubio, Professorin an der kalifornischen Privatuniversität Santa Clara, auf Twitter. Sie bezeichnete Benedikts Analyse als „zutiefst fehlerhaft“ und „zutiefst beunruhigend“.

Brian Flanagan, Dozent an der Marymount University im amerikanischen Virginia, twitterte: „Das ist ein beschämendes Schreiben.“ Die Annahme, dass der Missbrauch von Kindern durch Geistliche ein Ergebnis der 1960er Jahre und eines angeblichen Zusammenbruchs der Moraltheologie sei, sei eine „peinliche, falsche Erklärung für den systematischen Missbrauch von Kindern und dessen Verschleierung“.

Benedikt war von 2005 bis zu seinem spektakulären Rücktritt 2013 Papst. In seiner Amtszeit kam ans Licht, dass weltweit massenweise Kinder von Geistlichen missbraucht wurden. Angesichts der schweren Krise hatte Papst Franziskus im Februar zu einem Anti-Missbrauchs-Gipfel im Vatikan eingeladen. Franziskus weist immer wieder darauf hin, dass der Grund für Missbrauch auch die Machtstrukturen der Kirche sind. Der deutsche Kardinal Reinhard Marx hatte zuletzt eine „offene Debatte“ über das Thema gefordert, wie Merkur.de* berichtete.

Papst Franziskus hat eine Meldepflicht bei sexuellem Missbrauch für Geistliche erlassen. Die Kirche will so gegen Vertuschungen vorgehen.

dpa/fn

*Merkur.de und nordbuzz.de sind Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks

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