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Organspende: „Todesurteil“ und „schwarzer Tag“ - Ärzte reagieren teils drastisch auf neues Gesetz

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Der Bundestag hat am Donnerstag über ein neues Organspende-Gesetz entschieden. Für die Patienten und alle Bundesbürger ändert sich nun einiges.

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Update 14.45 Uhr: Quer durch die Fraktionen gingen die Positionsunterschiede bei der Organspende-Abstimmung am Donnerstag im Bundestag. Am Ende entschied sich das Parlament mit recht großer Mehrheit für die weniger weitreichende Lösung der Gruppe um Annalena Baerbock (Grüne) und Katja Kipping (Linke).

Eine recht klare Meinung scheint hingegen eine andere Gruppe zu haben: Die Ärzteschaft. Gleich mehrere Mediziner äußerten sich auf den Portalen watson.de und bild.de enttäuscht über die Ablehnung der Abgeordneten für Minister Jens Spahns „doppelte Widerspruchslösung“

Bundestag
Jens Spahn am Donnerstag im Bundestag - sein Gesetzentwurf zur Organspende fiel durch. © dpa / Kay Nietfeld

„Heute ist ein rabenschwarzer Tag für unsere Patienten“, schrieb der Leiter der Chirurgischen Poliklinik A der Uniklinik München, Helmut Arbogast, an watson: „Deutschland wird im Jammertal des Spendermangels verweilen“ - seine Enttäuschung sei „grenzenlos“. Hans-Joachim Schäfers, der Direktor der Klinik für Thorax- und Herz-Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums des Saarlandes, wies auf der Webseite auf die Misere von Lungen- und Leberpatienten hin: Für jene unter ihnen, die auf ein Spenderorgan warten, gebe es „keine Alternative zur Transplantation, außer dem Tod“.

Organspende-Gesetz: „Schäme mich für Deutschland“ - Ärzte reagieren teils heftig - Ärztekammer versöhnlich

Noch drastischer äußerte sich der Herzchirurg Reiner Körfer im Gespräch mit der Bild. „Ich schäme mich für Deutschland.“ Die Abgeordneten, die für die Zustimmungslösung votierten, seien sich offensichtlich „nicht der Tragweite dieser Abstimmung nicht bewusst“ gewesen. Für viele Patienten komme sie einem „Todesurteil“ gleich. Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte sich bereits vor Monaten für die Widerspruchslösung ausgesprochen, wie das Ärzteblatt berichtete.

Versöhnliche Stimmen gab es nun allerdings auch. „Wenn sich die Zustimmungslösung in der Bevölkerung umsetzen lässt und sich die Menschen mehr mit dem Thema beschäftigen, ist das ein großer Fortschritt“, erklärte der Direktor des Transplantationszentrums Marburg, Joachim Hoyer, watson. BÄK-Präsident Klaus Reinhardt erkannte am Donnerstag immerhin einen „Fortschritt gegenüber der bisherigen Regelung“ - „auch, wenn wir uns eine andere Entscheidung gewünscht hätten“.

Update vom 17. Januar 2019, 9.47 Uhr: Der Bundestag hat sich entschieden - und zwar gegen eine große Organspende-Reform. Über Für und Wider dieses Ergebnisses lässt sich trefflich streiten. Pro und Contra hat Merkur.de* in einem Artikel zusammengefasst.   

Video: Experten erklären alles, was Sie über Organspende wissen sollten

Organspende-Entscheidung im Bundestag: So haben die GroKo-Parteien abgestimmt

Update 18.42 Uhr: Bei der Entscheidung über die Organspende-Reform haben die meisten Abgeordneten von Union und SPD zunächst für die am Ende gescheiterte „doppelte Widerspruchslösung“ gestimmt. Über den Vorstoß einer Gruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wurde am Donnerstag im Bundestag zuerst entschieden. In namentlicher Abstimmung ohne Fraktionsvorgaben stimmten 146 Abgeordnete der Union dafür und 89 dagegen - bei der SPD 94 dafür und 48 dagegen. Insgesamt wurde der Vorstoß aber mit 379 Nein-Stimmen gegen 292 Ja-Stimmen abgelehnt.

Bei der abschließenden Abstimmung über den Gegenentwurf einer Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock für eine moderatere Neuregelung stimmten dann aus der Union 159 Abgeordnete dafür und 67 dagegen - bei der SPD 69 dafür und 70 dagegen. Insgesamt wurde der Vorstoß mit 432 Ja-Stimmen gegen 200 Nein-Stimmen angenommen.

Für eine Widerspruchslösung stimmten unter anderem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chefin Saskia Esken - dagegen beispielsweise Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Spahn stimmte zunächst für den eigenen Vorstoß und am Ende gegen den Vorstoß der anderen Abgeordnetengruppe.

Organspende: Bundestag entscheidet für Baerbock-Vorstoß - bittere Spahn-Pleite

Update 12.48 Uhr: Das Fazit der Organspende-Debatte im Bundestag: Die sogenannte Entscheidungs- oder erweiterte Zustimmungslösung kommt, die „doppelte Widerspruchslösung“ ist gescheitert, der Bundestag hat sich für die „erweiterte Zustimmungslösung“ entschieden. Mit 432 gegen 200 Stimmen stimmte das Parlament für den Gesetzentwurf, der von Grünen-Chefin Annalena Baerbock, Linken-Chefin Katja Kipping sowie Spahns Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) getragen wurde. 

Zuvor hatten sich 379 von 674 Abgeordneten gegen die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach geforderte „doppelte Widerspruchslösung“ ausgesprochen. Danach sollte künftig jeder Bürger als potenzieller Spender gelten - außer man widerspricht.

Da Spahn mit seinem Gesetzesvorschlag gescheitert ist, wird sich nun nicht allzu viel ändern. Wie bisher wird nach dem Tode nur zum Organspender, wer explizit seine Zustimmung gegeben hat. Aber: Wer ab 16 Jahren einen Personalausweis beantragt, ihn nach zehn Jahren verlängert oder sich einen Pass besorgt, soll auf dem Amt Info-Material bekommen. Beim Abholen soll man sich auch schon direkt vor Ort in ein neues Online-Register eintragen können - mit Ja oder Nein, Änderungen sind jederzeit möglich.

Alles Weitere dazu erfahren Sie in diesem Artikel.

Organspende: Spahn zeigt sich von Abstimmung über Gesetzesentwurf enttäuscht

Update 12.39 Uhr: Jens Spahn hat sich in einer ersten Reaktion enttäuscht geäußert, aber zugleich angekündigt, er werde das Organspende-Votum des Bundestags „natürlich akzeptieren“ - „auch wenn ich davon überzeugt bin, dass wir mit der Widerspruchslösung mehr hätten erreichen können“. Er danke für „die gute Debatte und den respektvollen Umgang miteinander“, twitterte der Gesundheitsminister aus Reihen der CDU am Donnerstagmittag. 

FDP-Chef Christian Lindner lobte das verabschiedete Gesetz als „angemessene Lösung“, rechnete aber auch mit weiteren Debatte: Er habe bereits am Donnerstag „einige weitere Verbesserungsoptionen gehört“.

Die christlichen Kirchen begrüßten die Entscheidung des Bundestags als richtigen Weg. „Wir glauben, dass das heute beschlossene Gesetz geeignet ist, die erfreulich große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung praktikabel und nachhaltig in eine individuelle Bereitschaft zur Organspende zu überführen“, hieß es am Donnerstag in einer weitgehend wortgleichen Erklärung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Update 12.01 Uhr: Jetzt ist es offiziell: Der Gesetzentwurf von Grünen-Chefin Annalena Baerbock zur Organspende ist angenommen. Auch in der zweiten Abstimmung erhielt das Programm eine Mehrheit: 669 Stimmen wurden von den Parlamentariern abgegeben, auf 432 Ja-Stimmen kamen 200 Nein-Voten und 37 Enthaltungen. Die Abstimmung über den Vorschlag der AfD entfällt damit.

Organspende-Entscheidung im Bundestag: Baerbock-Vorschlag bekommt Mehrheit

Update 11.46 Uhr: Das Ergebnis zum zweiten Vorschlag liegt vor: Bei 671 abgegebenen Stimmen haben 382 Abgeordnete mit Ja gestimmt. 261 lehnten den Vorschlag der erweiterten Zustimmungslösung ab, 28 Bundestagsmitglieder enthielten sich. Damit dürfte der Entwurf von Annalena Baerbock (Grüne), Katja Kipping (Linke) und Co. wohl in Kraft treten - zuvor ist allerdings noch eine Schlussabstimmung nötig. Dabei handelt es sich gleichwohl eher um eine Formalie.

Der Entwurf ist wesentlich weniger weitgehend als der von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er sieht vor allem mehr Beratung bei Behörden, sowie ein zentrales Spenderregister vor. Ohne ausdrückliche Zustimmung des Verstorbenen soll es aber weiterhin keine Organentnahme geben.

Update 11.35 Uhr: Jens Spahns Gesetzentwurf zur Organspende ist abgelehnt - es wird keine sogenannte „Widerspruchslösung“ geben: 674 Stimmen wurden von den Bundestagsabgeordneten abgegeben, nur 292 Abgeordnete stimmten mit Ja, 379 mit Nein. Bei Verkündung des Ergebnisses brandet zunächst Jubel auf, Bundestagsvizepräsident Kubicki fordert die Abgeordneten aber auf, „von Beifallsbekundungen Abstand zu nehmen“.

Organspenden bleiben in Deutschland damit weiterhin nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt. Abgestimmt wird nun über den zweiten Vorschlag. Er sieht vor, alle Bürger mindestens alle zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das Thema Organspende anzusprechen. Dabei soll auch auf die Möglichkeit hingewiesen werden, eine Entscheidung dazu in ein neues zentrales Online-Register einzutragen. Auch Hausärzte sollen bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren.

Update 11.21 Uhr: Die Debatte zur Organspende ist nun beendet. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) verkündet das Prozedere: Erst wird über die „Widerspruchslösung“ abgestimmt, dann über die „Zustimmungslösung“ der Gruppe um die Grünen-Chefin Baerbock. Zuletzt wird über einen Antrag der AfD befunden - alle Abstimmungen werden namentlich durchgeführt.

Organspende-Entscheidung im Bundestag: Jens Spahn verteidigt seinen Vorschlag

Update 11.16 Uhr: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) argumentiert nun im Plenum für seine Widerspruchslösung. Es handle sich um eine „gesellschaftliche Zustimmungslösung“, sie sende das Signal aus, „ja, wir wollen eine Kultur der Organspende“, betont er.  „Ist das eine Zumutung? Ja, aber eine die Menschenleben rettet“, sagt Spahn mit Blick auf die von ihm geforderte Variante, die ein bewusstes „Nein“ für nicht-organspendewillige Bürger erfordert, weiter. „Jeder von uns ist potenzieller Organempfänger.“

Update 11.00 Uhr: Heiß umstritten ist in der Debatte unterdessen immer wieder auch die Deutung von statistischen Daten aus anderen Ländern. Der SPD-Abgeordnete Matthias Bartke betonte etwa, Deutschland sei bei der Organspende massiv auf die Unterstützung der Organisation Eurotransplant und auf Spenden aus anderen Ländern angewiesen - das höhere Spendenaufkommen liege auch an anderslautenden Regelungen in diesen Staaten. Andere Redner bezweifeln das. Bestimmend sei die Methodik der Todesfeststellung ist immer wieder zu hören.

Während der Reden ist auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Arbeit zu beobachten: Sie hatte zuletzt unter anderem Grünen-Chefin Annalena Baerbock zu einem Gespräch gebeten. Eine Konversation führte sie aber auch mit dem SPD-Politiker Karamba Diaby, auf dessen Bürgerbüro ein Anschlag verübt worden war.

Organspende-Debatte im Bundestag: Unions-Fraktionsvize appelliert emotional an Abgeordnete

Update 10.27 Uhr: Unions-Fraktionsvize Gitta Connemann wirbt mit einem sehr persönlichen Statement für eine Widerspruchslösung. Ein Mitarbeiter sei aufgrund einer fehlenden Organspende verstorben, berichtete sie. „Deshalb bitte ich Sie inständig, heute für die Widerspruchslösung zu stimmen“, erklärt sie. „Für alle, die noch warten. Für Lebenszeit.“

Bundestag
Gitta Connemann bei ihrer Rede im Bundestag © dpa / Kay Nietfeld

Die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther zeigt sich hingegen entsetzt über die Perspektive einer Widerspruchslösung: Bei einer Impfung oder auch nur einem Newsletter-Versand müsse der betroffene Mensch erst zustimmen - „zurecht!“, ruft Kappert-Gonther. „Bei etwas so zutiefst persönlichem, wie der Frage, ob ich nach meinem Tod Organspenderin sein will, soll Schweigen auf einmal Zustimmung bedeuten? Das kann doch nicht sein“, meint die Gesundheits-Expertin der Partei. 

Update 10.05 Uhr: Eine weitere Stimme aus der SPD für die Widerspruchslösung: Durch sie würde die Organspende Normalität - „das wird auch einen Mentalitätswechsel zur Folge haben“, sagt der SPD-Politiker und Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann. Eine Regelung, die „das Recht in Ruhe gelassen zu werden absolut setzt“, verhindere, „dass sich bei uns eine Kultur der Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe entfalten kann“, kritisiert er mit Blick auf die aktuelle Regelung.

Bundestag entscheidet über Organspende - Spahn setzt ungewöhnliches Zeichen

Update 9.46 Uhr: Dass die Fronten in der Organspende auch quer durch die Parteien verlaufen, zeigt sich bereits jetzt. Die FDP-Abgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus argumentiert heftig gegen die Widerspruchslösung - kurz zuvor hatte ihr Fraktionskollege Hermann Otto Sollms noch für die Gegenseite Partei ergriffen. 

Die Bürger seien verunsichert, sagte Aschenberg-Dugnus - „in einer solchen Situation kann man doch Schweigen nicht als Zustimmung werten“. Die Widerspruchslösung ermutige alle Deutschen, „sich aktiv mit dieser wichtigen Frage auseinanderzusetzen“ und sei „keine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit“, hatte zuvor Sollms gesagt. Auch die SPD-Abgeordnete Hilde Mattheis widersprach ihrem Genossen Karl Lauterbach: „Eine Spende muss eine Spende bleiben, ein aktiver freiwilliger und selbstbestimmter Akt“, erklärte sie.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) greift unterdessen zu einem ungewöhnlichen Schritt, um die ethische Bedeutung der Debatte zu unterstreichen: Er verfolgt die Debatte im Plenum in den Reihen der CDU und nicht etwa von der Ministerbank aus. Zeigen soll das wohl, dass sein Vorschlag sich nicht auf ministerielle Autorität stützen, sondern offen diskutiert werden soll.

Ausgang völlig offen: Bundestag entscheidet über Organspende - Spahn setzt ungewöhnliches Zeichen
Jens Spahn am Donnerstag in den Reihen der CDU-Fraktion statt auf der Ministerbank. © Screenshot: Phoenix

Organspende-Debatte im Bundestag - Baerbock: „Mensch gehört nicht dem Staat“

Update 9.38 Uhr: „Wir haben das gleiche Ziel: Leben retten“, sagt Grünen-Chefin Annalena Baerbock in der laufenden Debatte. „Wir stimmen heute über eine hochethische Frage ab“ - darüber, wie mehr Menschenleben gerettet werden können, betont sie. „Wir stimmen aber auch darüber ab, wem gehört der Mensch. In unseren Augen gehört er nicht dem Staat, nicht der Gesellschaft, er gehört sich selbst.“

Ihr Antrag liefere etwa über die Möglichkeit zu einer Online-Registrierung als Organspender einen wichtigen Fortschritt, sagt Baerbock. Ärzte könnten sofort auf Daten zugreifen. „Damit ändert sich in der Realität wirklich etwas“.“

Bundestag
Annalena Baerbock im Bundestag © dpa / Kay Nietfeld

Update 9.35 Uhr: Der Bundestag hat mit der Debatte über eine Neuregelung von Organspenden in Deutschland begonnen. Als erster Redner wies der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach darauf hin, dass die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zwar hoch, die Zahl der Spenden aber niedrig sei. „Es fehlt eine einfache, unbürokratische Regelung, wie man zum Spender wird“, sagte er. Diese einfache Regel sei die Widerspruchslösung.

Lauterbach bestritt, dass diese eine Pflicht zur Spende beinhalte. Es gebe nur eine „Pflicht, Nein zu sagen“, wenn man kein Organ spenden wolle. „Es ist unethisch, ein Organ zu nehmen, aber nicht, zumindest Nein zu sagen.“

Vorschau: Bundestag streitet über Organspende-Regeln

Das Ziel ist klar: Angesichts Tausender todkranker Menschen auf den Wartelisten sollen in Deutschland dauerhaft mehr Organe gespendet werden. Doch wie soll das gelingen? Nach monatelangen Diskussionen will der Bundestag am Donnerstag die Grundsatzfrage klären, ob dafür ein radikaler Neustart kommen soll, wie ihn eine Abgeordnetengruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will. Oder ob mehr Nachdruck im bestehenden Rahmen reicht.

Organspende in Deutschland: Spahn wirbt für Widerspruchslösung - „nur eine kleine Einschränkung“

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte kurz vor der Abstimmung im ZDF-"Morgenmagazin", die von ihm vertretene sogenannte doppelte Widerspruchslösung sei nur eine "kleine Einschränkung" der individuellen Freiheit. "Es gibt keine Verfügung des Staates über den Körper, sondern es gibt eine Verpflichtung, sich zu entscheiden."

Anders sieht das Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Sie vertritt einen anderslautenden Gesetzentwurf. Sie und ihre Gruppe glaubten, dass das Modell des Gesundheitsministers dem Grundrecht auf Unversehrtheit des Körpers widerspreche, erklärte Baerbock im „Morgenmagazin“. Deshalb habe ihre Gruppe einen Alternativvorschlag vorgelegt, der beinhalte, dass der Staat viel aktiver auf die Menschen zugehe und deren Bereitschaft zur Organspende abfrage.

Organspende-Entscheidung im Bundestag: Mehrheitsverhältnisse unklar

Über die beiden Gesetzentwürfe und einen AfD-Antrag soll im Plenum zunächst debattiert werden. Bei der Abstimmung gibt es keine sonst üblichen Fraktionsvorgaben. Zuerst soll über den Entwurf der Gruppe um Spahn entschieden werden, der die weitestgehende Veränderung bedeuten würde. Bekommt er die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wäre die Widerspruchslösung beschlossen. Ansonsten soll dann als Nächstes über den Entwurf der Gruppe um Baerbock abgestimmt werden. Gemeinsam haben beide Vorstöße, dass sie ein zentrales Register anstreben. Dort sollen Ärzte Organspende-Erklärungen gezielt abfragen können.

Die Mehrheitsverhältnisse sind schwer einzuschätzen. Bei einer ersten offenen Debatte waren breite Vorbehalte gegen eine Widerspruchslösung deutlich geworden. Als im Sommer 2019 die Gesetzentwürfe eingebracht wurden, hatte die Gruppe um Spahn vorab 222 Unterstützer, darunter Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Entwurf der Baerbock-Gruppe hatte 191 Unterschriften. Insgesamt gibt es aber 709 Abgeordnete.

Organspende-Streit im Bundestag: Kardinal gegen Widerspruchslösung

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hat sich ebenfalls gegen eine Widerspruchslösung ausgesprochen. „Die Organspende muss freiwillig sein“, sagte der Chef des größten deutschen Bistums in einem Videostatement. „Die Würde des Menschen ist auch im Sterben und sogar über den Tod hinaus unantastbar. Die Freiheit bei dieser Entscheidung darf deshalb nicht beschnitten werden.“

Die Widerspruchslösung habe den großen Nachteil, dass sie Menschen instrumentalisieren könne. Das gelte erst recht, wenn im Zweifelsfall nicht mehr die Angehörigen entscheiden sollten. Gleichzeitig betonte Woelki aber auch: Wer sich für die Organspende entscheide, verdiene die Hochachtung aller.

Organspende: Keine pauschale Altersgrenze

Mehrere Politiker betonten bereits im Vorfeld der Debatte, es gebe in der Bevölkerung viele Unklarheiten beim Thema Organspende. Dazu gehört auch die Frage nach einer Altersgrenze. Eine solche gibt es nicht: „Nur wenige Erkrankungen schließen eine Organspende nach dem Tod aus - auch gibt es kein Höchstalter, bis zu dem eine Spende möglich ist“, heißt es auf der Homepage organspende-info.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

In einem Interview mit dem Münchner Merkur* hat sich eine Fachärztin zu offenen Fragen rund um die Organspende geäußert.

dpa/AFP/fn

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