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Experte antwortet: ÖDP, Partei, Piraten und Co. - Lohnt sich eine Stimme für die Kleinparteien?

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Martin Sonneborn beim Wahlkampf-Auftakt der PARTEI im April in Berlin - lohnt sich die Stimme für die Kleinparteien?
Martin Sonneborn beim Wahlkampf-Auftakt der PARTEI im April in Berlin - lohnt sich die Stimme für die Kleinparteien? © dpa / Wolfgang Kumm

Bei der Europawahl geht es plötzlich nicht mehr nur um die sechs großen deutschen Parteien. Aber lohnt sich eine Stimme für die „Kleinen“? Ein Politikwissenschaftler gibt Auskunft.

München - Bei der Europawahl ist alles ein wenig anders: Während bei der Bundestagswahl maximal sechs Parteien Chancen auf den Einzug ins Parlament haben und ein Kreuzchen bei einer anderen Liste eigentlich getrost als verschenkte Stimme verbucht werden kann, bietet sich dem Wähler am 26. Mai ein buntes Panorama an Optionen. Denn bislang hat das Bundesverfassungsgericht Vorstöße für eine Prozenthürde bei der Europawahl stets gekippt. 

Leichter macht das die Wahl-Entscheidung allerdings nicht. Denn natürlich schaffen nicht alle Kleinparteien den Einzug ins Europaparlament. Und dann ist da auch noch eine nicht ganz unwesentliche weitere Frage: Kann ein einzelner Abgeordneter einer Partei im großen EU-Parlament überhaupt etwas ausrichten? Im Gespräch mit Merkur.de und der Ippen-Digital-Zentralredaktion hat der Politikwissenschaftler Klaus Goetz von der Ludwig-Maximilians-Universität München Antworten auf die drängendsten Fragen gegeben:

Europawahl 2019: Welche deutschen Kleinparteien haben überhaupt Chancen auf den Einzug ins Parlament?

Wahlumfragen gibt es zuhauf - auch zur Europawahl. Der Haken: Die meisten Institute fragen nur Daten zu den großen Parteien ab - also zu jenen, die auch im Bundestag vertreten sind. Selbst jene Demoskopen, die vor dem Urnengang im Mai ihr Spektrum erweitern, beschränken sich auf zwei bis drei weitere Parteien. Und dass das Potenzial der „Sonstigen“ aktuell meist auf elf bis zwölf Prozent taxiert wird, hilft bei der Entscheidung für eine konkrete Liste auch nicht weiter.

Wo hat das Kreuzchen also Aussicht auf Erfolg, welche Parteien könnten den Sprung nach Europa schaffen? „Beste Chancen“ spricht Goetz den Freien Wählern zu. Auch die PARTEI von Satiriker Martin Sonneborn liege „recht stabil bei ein bis zwei Prozent“, meint er. Umfragen aus Bayern legten zudem nahe, dass die ÖDP - im Freistaat bekannt für ihre Volksbegehren - den Sprung ins Europaparlament schaffen könnte. Auf drei bis vier Prozent taxieren die Demoskopen die Partei in Bayern. „Diese Größenordnung in Bayern könnte reichen, um auch deutschlandweit die Hürde für einen Sitz zu überspringen“, sagt Goetz.

Auch eine längst totgesagte Partei könnte noch einmal ins Europaparlament einziehen: „Überraschenderweise haben wohl auch die Piraten Chancen - obwohl ihre Abgeordnete Julia Reda von der Wahl abgeraten hat“, erklärt der Experte. Zu guter Letzt scheine durchaus möglich, dass auch die Tierschutzpartei ihr Mandat in der EU-weiten Volksvertretung verteidigt.

Europawahl 2019: Wie viele Stimmen wird eine Partei brauchen, um ins Europaparlament einzuziehen?

Eine Prozenthürde gibt es zwar nicht - dennoch sind die für Deutschland im EU-Parlament reservierten Sitze begrenzt. 96 Mandate gehen an Abgeordnete aus Deutschland. Daraus ergibt sich auch die faktische Hürde für den Einzug: Bei der vergangenen Europawahl schaffte die ÖDP mit 0,6 Prozent der Stimmen noch den Sprung ins Parlament. Sie erhielt ebenso einen Sitz wie die Piraten mit ihren damals 1,4 Prozent. Ähnlich werde die Größenordnung des nötigen Stimmanteils auch diesmal ausfallen, sagt Goetz - wobei kleinere Schwankungen möglich seien.

Dieser recht geringe Wert bringe auch mit sich, dass unerwartete Erfolge für Kleinparteien durchaus möglich sind. „Es könnte schon sein, dass es Überraschungen gibt“, sagt der Experte. Für die größeren Parteien werde in Umfragen ein „Spielraum von mehreren Prozent“ angegeben. Dementsprechend gebe es im „Ein-bis-zwei-Prozent-Bereich“ nicht die nötige Verlässlichkeit, um den Einzug einer Kleinpartei klar vorherzusagen oder auszuschließen.

Helfen könnte einigen kleineren Parteien auch ihre explizite Werbung mit der fehlenden Fünfprozenthürde, sagt Goetz. „Das könnte für viele Wähler, die sich von den großen Parteien nicht angesprochen fühlen, ein zusätzlicher Anreiz sein zu sagen: ‚Okay, meine Stimme ist nicht verloren, wenn ich eine kleine Partei wähle‘.“ 

Stützen könnte diese These auch der generell große Anteil der „Sonstigen“ in den Wahlumfragen: „Die zwölf Prozent, die dort aktuell gemessen werden sind schon recht viel“, erklärt der Politikwissenschaftler.

Europawahl 2019: Kleine Parteien im Europaparlament - wie viel können sie überhaupt ausrichten?

Stellt sich eine weitere Frage: Kann eine deutsche Kleinpartei im Europaparlament überhaupt etwas ausrichten, wenn sie nur mit ein bis zwei Abgeordneten in der großen Volksvertretung mitmischen kann? Oder wird eine Stimme für die „Kleinen“ spätestens im Parlamentsalltag wertlos?

In dieser Hinsicht beruhigt Goetz die Sympathisanten der meisten kleinen Parteien. Entscheidend sei nicht die Gesamtzahl ihrer Sitze - sondern die Frage, ob die Abgeordneten der jeweiligen Parteien „in der Lage sind, sich einer der großen Fraktionen anzuschließen“. Denn diese seien der Hebel zur Mitwirkung an der Gesetzgebung. Dasselbe gelte etwa auch für Abgeordnete aus kleineren EU-Ländern, die ohnehin häufig nur wenige Abgeordnete je Partei ins Parlament entsenden.

Über die Fraktionen könnten auch Einzelkämpfer an einflussreiche Positionen geraten, sagt Goetz. Als positives Beispiel in diesem Sinne nennt er die Ex-Piratin Reda, die als einzige deutsche Abgeordnete ihrer Partei nicht nur stellvertretende Chefin der europäischen Grünen-Fraktion, sondern auch Berichterstatterin des Parlaments in Sachen der umstrittene Urheberrechtsreform wurde - und der so eine „große Mobilisierung“ bei dem Thema gelungen sei. Wenn auch letztlich weitgehend erfolglos.

European Parliament in Strasbourg
Julia Reda im Europaparlament in Straßburg. 2019 tritt die Ex-Piratin nicht mehr zur Wahl an. © picture alliance / dpa / Patrick Seeger

In ähnlicher Weise haben sich nach der Europawahl 2014 auch die Vertreter von ÖDP (bei den Grünen), Freie Wähler (bei den Liberalen), Tierschutzpartei (bei den Linken) und Familienpartei (bei der nationalkonservativen EKR) im Europaparlament eingeordnet. Da es im EU-Parlament keine strikte Unterscheidung zwischen Opposition und Regierung gebe und die Konsensfindung hohen Wert habe, gebe es realistische Einflussmöglichkeiten nahezu für jede Fraktion, sagt Goetz.

Anders hielten es zuletzt nur die Vertreter von PARTEI und die NPD, Martin Sonneborn und Udo Voigt - sie saßen als fraktionslose Abgeordnete in Brüssel und Straßburg. Ihr Vorgehen sieht Goetz kritisch. „Ohne Zugehörigkeit zu einer Fraktion ist die Möglichkeit, Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen, gering“, sagt er. „In diesen Fällen geht es eher darum, eine Bühne für das eigene Anliegen zu finden.“ Zumindest dem PARTEI-Abgeordneten Martin Sonneborn war in der vergangenen Legislatur-Periode ein paar Mal der Sprung in die Schlagzeilen gelungen - zuletzt mit einem Wahlwerbespot.

Goetz‘ Tipp für die Wahl: „Man sollte sich schlau machen, ob und welcher Fraktion sich die Kandidaten bei einem Einzug ins Europaparlament anschließen wollen.“

Europawahl 2019: Letzte Chance für die Kleinparteien?

Dass die Kleinparteien auch 2019 noch einmal die reelle Chance auf einen Einzug ins Europaparlament haben, ist übrigens dem Bundesverfassungsgericht zu verdanken. 2014 kippten die Karlsruher Richter eine Drei-Prozent-Klausel. 2018 einigten sich die EU-Staaten auf eine verpflichtende Hürde bei der Europawahl für all jene Länder, die mehr als 35 Abgeordnete stellen - allerdings wurde eine entsprechende Regelung in Deutschland nicht mehr umgesetzt. Die Grünen lehnten eine Änderung mit Blick auf eine europäische Konvention, ein Jahr vor einem Urnengang auf Änderungen am Wahlrecht zu verzichten, ab. Somit kam nicht die nötige Zweidrittel-Mehrheit in Bundesrat und Bundestag zusammen.

Trotz der EU-Entscheidung ist für Goetz noch nicht ausgemacht, ob 2024 wirklich das Licht für die deutschen Kleinparteien im EU-Parlament ausgehen wird. „Ich denke, eine Neuregelung wird unweigerlich wieder ein Fall für das Bundesverfassungsgericht“, sagt er - es sei stark davon auszugehen, dass eine der betroffenen Parteien Klage einreichen werde. Wie das Verfahren dann ausgehe? Da wagt Goetz keine Prognose. 

„Mietpreise an die Maßpreise koppeln“ - Merkur.de* erläutert, womit „Die Partei“ bei der Kommunalwahl in München 2020 auf Stimmenfang geht.

fn

*Merkur.de ist ein Angebot des bundesweiten Ippen Digital Redaktionsnetzwerks

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