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Münchner Polizei macht „Ausnahme für Migranten, die seit 2015 gekommen sind“ - jetzt hagelt es Kritik

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Schießerei in München
Marcus da Gloria Martins bei einem Pressestatement. © dpa / Lukas Schulze

Soll stets mitgeteilt werden, welche Nationalität ein Tatverdächtiger hat? Eine bundesweit gültige Antwort der Politik gibt es nicht. Die Münchner Polizei stößt mit ihrer Lösung nun auf Kritik.

München - Seit dem Amoklauf im Olympia-Einkaufszentrum 2016 gilt die Öffentlichkeitsarbeit der Münchner Polizei eigentlich als mustergültig. Ein ohnehin schwer umstrittenes Thema bringt jetzt aber auch Sprecher Marcus da Gloria Martins und seine Kollegen in die Kritik:

Es geht um die Frage, ob und wann die Nationalitäten von Tatverdächtigen veröffentlicht werden sollten. Selbst die Innenministerkonferenz ist kürzlich an einer Einigung gescheitert - eine einheitliche Linie ließ sich offenbar nicht finden. Insofern bleiben die Polizeien der Länder in dieser Frage auf sich gestellt. Oder letztlich gar jener Beamte, der den Pressebericht erstellt.

Polizei München: Im Grundsatz keine Angaben zur Nationalität von Verdächtigen - doch es gibt mehrere „Aber“

Da Gloria Martins hat nun in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das übliche Vorgehen der Münchner Polizei geschildert. Seinen Worten nach zu urteilen gibt es zwar klare Regeln für die Nennung der Herkunft von Verdächtigen und Tätern. In ein allgemeingültiges Schema nach dem Prinzip „vor dem Gesetz sind alle gleich“ lassen sie sich aber eher nicht einordnen. Und genau das sorgt nun im Netz für teils heftige Kritik.

„Wir machen als Grundsatz erst mal keine Angaben zur Nationalität von Tatverdächtigen, nur zu Alter und Geschlecht“, sagte da Gloria Martins dem Blatt. Er nannte allerdings auch Ausnahmen.  

Da Gloria Martins erklärt Vorgehen der Polizei: Interesse an Nationalität Geflüchteter „nicht nur in Randgruppen“

Sonderregelungen gebe es etwa im Fall von Touristen, Durchreisenden oder Obdachlosen. Letztere hätten in München häufig einen „südosteuropäischen Bezug“, erklärte der Polizeisprecher, das müsse der Leser einordnen können - „und die Ausnahme gilt auch für Migranten, die seit 2015 im Zuge der großen Flüchtlingsbewegung nach München gekommen sind.“

Video: Flüchtlingsankunft führte in München zu Welle von Hilfsbereitschaft

Auf Nachfrage, warum gerade diese Gruppe ausgeklammert sei, lieferte da Gloria Martins eine durchaus brisante Erklärung: „Es besteht unbestritten ein sehr großes öffentliches Interesse an dieser Gruppe, nicht nur in ideologischen Randgruppen“, zitiert ihn die FAZ. Die Bürger wollten wissen, ob diese Personen „vermehrt Straftaten“ begehen, meinte der Sprecher. Und fügte hinzu, das Interesse komme „aus der Mitte der Gesellschaft, das können wir nicht ignorieren“.

„Wir wollen mit der Nennung der Nationalität dokumentieren, dass nichts vertuscht wird“, betonte da Gloria Martins. Klar werde bei Ansicht des Pressearchivs auch, dass Asylbewerber lange nicht so häufig in den Polizeiberichten auftauchten, „wie es von manchen Interessengruppen behauptet wird“. Zugleich räumte er ein, es handle sich um keine Lösung, die alle Seiten zufriedenstelle. 

Polizei-Streit um Nennung von Nationalitäten: „Beschlossen, Rassismus verstärken“ - Polizei München in der Kritik

Kritik regte sich schnell - unter anderem vonseiten von Journalisten, jener Gruppe also, die mit den Angaben der Polizei arbeitet. „Wie soll euer Publikum denn wissen, ob diese Menschen ‚vermehrt Straftaten begehen‘, wenn ihr nur diese Gruppe heraushebt, alle anderen aber nicht?“, erkundigte sich Buzzfeed-Reporter Marcus Engert auf Twitter. 

Correctiv-Chefredakteur Daniel Drepper warf der Polizei München gar vor, „bewusst und absichtlich“ Verzerrungen zu Ungunsten einer verletzlichen Bevölkerungsgruppe zu produzieren. In einem anderen Tweet wurde er drastischer: „Ich übersetze das mal: Weil die Leute rassistisch sind, hat die Polizei München beschlossen, diesen Rassismus mit ihren Pressemitteilungen noch weiter zu verstärken.“

München: Stadtratskandidatin kritisiert Polizei - „normale Leut‘“ als „ideologische Randgruppe“?

Zu Wort meldeten sich aber bereits kurz nach Veröffentlichung des Interviews auch Münchner Kommunalpolitiker. Die SPD-Stadtratskandidatin Lena Odell etwa forderte von der Polizei eine tägliche Pressemitteilung „mit der genauen Anzahl ‚dieser Migranten‘, die an dem Tag keine Straftat begangen haben“. „Dafür interessiert sich meine ideologische Randgruppe, die normalen Leut“, twitterte sie mit sarkastischem Unterton. 

„Alleine schon die Diskriminierung nach Einwanderungsjahr ist rechtswidrig“, monierte ein anderer User. Eine Kommentatorin forderte mit Blick auf das Interview in einem Tweet „deutschlandweite Vorschriften“. „Die Polizei München scheint ob der vielen Wünsche der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft doch überfordert, wie eine neutrale Berichterstattung der staatlichen Exekutive aussehen sollte“, erklärte sie. 

Zoff um Leitlinie der Münchner Polizei: „Begründetes Interesse“?

Tatsächlich gibt es zum Thema bereits eine - wenn auch vage - Richtlinie. Im Pressekodex heißt es, die Erwähnung der Zugehörigkeit zu einer Minderheit dürfte nicht „zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens“ führen. „Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse.“

Der Pressekodex ist allerdings zum einen nur eine freiwillige Selbstverpflichtung. Zum anderen gilt er in erster Linie für Medien und nicht für die Polizei. Gefragt sein könnte also tatsächlich die Politik. Denn die Abwägung zwischen „begründetem öffentlichem Interesse“ und einer drohenden „diskriminierenden Verallgemeinerung“ - sie ist offensichtlich keine ganz triviale.

Polizei: Nationalität von Tatverdächtigen nennen? Mehrere Bundesländer gehen in die Offensive

Mittlerweile haben zumindest mehrere Landespolizeien klare Richtlinien erlassen. In Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen soll künftig stets die Nationalität von Tatverdächtigen mitgeteilt werden. Nordrhein-Westfalen plante zuletzt an einer solchen Regelung.

Damit wäre immerhin ein klares Gesamtbild ohne „Verzerrungen“ garantiert. Auch, wenn die Frage bleibt, ob die Vorteile die Nachteile dieser Praxis überwiegen. Einen Überblick über die Verteilung von Straftaten und Bevölkerungsgruppen bieten schließlich auch die amtlichen Kriminalitätsstatistiken. Die geben auch detaillierteste Informationen her - teils mit überraschenden Ergebnissen für Anfragesteller.

fn

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