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„Unverantwortlich“: Heftige Kritik an Strategie von Söder, Drosten und Lauterbach

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Walter Plassmann spricht auf einer Pressekonferenz.
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) kritisiert die aktuelle Corona-Politik in einigen Punkten. So hält er den Inzidenzwert für einen politischen und keinen wissenschaftlichen Wert. © Markus Scholz/dpa

In einem Interview kritisiert der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) - Walter Plassmann - den aktuellen Umgang der Bundesregierung mit der Corona-Pandemie.

Hamburg - Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) Walter Plassmann prangert in einem Interview mit Focus online den alarmistischen Umgang der Politik mit der Corona-Pandemie* an. In diesem Zusammenhang nennt er mehrere Gründe. Er führt zum einen in dem Interview aus, dass die Wahrscheinlichkeit, bei einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu erkranken, aktuell geringer ist als noch im Frühjahr.

Das Gleiche gelte für die Gefahr, bei einer Erkrankung an Covid-19 zu sterben. Zum anderen machte er darauf aufmerksam, dass die aktuellen Zahlen in Relation zu der Zahl der Testungen gesetzt werden müsse. Diese haben nämlich im Vergleich zum Frühjahr deutlich zugenommen.

Auch die Zählung der Todesfälle kritisiert er. In Hamburg werden nur die Menschen als Todesfälle gezählt, bei denen durch eine Obduktion festgestellt werden konnte, dass sie an Covid-19 gestorben sind. Das RKI zählt jedoch Tote mit Covid-19, ohne zu überprüfen, ob die Viruserkrankung zum Tod geführt hat. Die Statistiken sind deswegen verfälscht. Es werden so wenige Obduktionen von Covid-Toten durchgeführt, da man auf diese Weise die Rechtsmediziner schützen möchte. Plassmann hält diesen Grund jedoch für nicht nachvollziehbar, da Pathologen darin geschult sind, sich vor Infektionen zu schützen.

Kritik an Corona-Politik: „Wir sind keine statistische Menschen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut“

Darüber hinaus falle die Zahl der Todesfälle trotz Anstieg niedriger als erwartet aus. Das sei laut Plassmann ein guter Indikator für eine bessere Behandlung von Patienten: Die Ärzte würden nun besser agieren und die Folgen von Viruserkrankungen besser eindämmen als zu Beginn der Pandemie. Den Inzidenzwert* sollte laut Plassmann als ein politischer und nicht als wissenschaftlicher Wert betrachtet werden. Seine Funktion bestehe darin, der Bevölkerung eine Marke zu geben, ab der schärfere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Wissenschaftliche gestützt sei er allerdings nicht. Dies liege zum einen daran, dass zwar die Zahl der Testungen zugenommen hat, die Grenzwerte aber seit dem Ausbruch der Pandemie gleichgeblieben sind. Niemand könne aktuell beurteilen, ab welchem Grenzwert ein politisches Eingreifen nötig wäre.

Eine sinnvollere Alternative wäre laut Plassmann ein Index aus Werten wie Infizierte, Zahl der Testungen, Intensivpatienten und Mortalität. Diese Entscheidung solle vor allem unbedingt von einem Gremium getroffen werden, in dem auch praktizierende Ärzte und Psychotherapeuten vertreten sind. Er bemängelt, dass aktuell der ärztliche Sachverstand aus der täglichen Arbeit mit Patienten nicht ausreichend einbezogen werde. Die Debatte sei viel von Infektiologen, Epidemiologen und Physikern dominiert, die ihre Aussagen unter statistischen Gesichtspunkten treffen: „Wir sind aber keine statistischen Menschen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut.“

Corona-Pandemie Ausblick: „Niemand weiß, was an Weihnachten ist“

In Bezug auf die Äußerungen von Markus Söder, Christian Drosten und Karl Lauterbach kommentiert Plassmann, dass sie ihre „Melodie“ nicht aufgegeben hätten: „Es ist noch immer alles schwarz, schwarz, schwarz.“ Er selbst will sich diesem Ausblick nicht anschließen, denn „niemand weiß, was an Weihnachten ist“. Gleichzeitig findet er es erfreulich, dass sich die „Tonalität“ in den vergangenen Wochen verändert habe. So sagt er beispielhaft, dass der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Prof. Dr. Lothar Wieler, betont, dass die Lage noch unter Kontrolle sei. Auch die Medien würden differenzierter über die aktuelle Lage berichten.

Die überzeugte Aussage, dass wir das schlimmste noch vor uns hätten, hält Plassmann für unverantwortlich, weil es niemand voraussagen könne. Wenn dies nämlich der Fall wäre, könnte man die Verbreitung unterbinden. Genau daran würden wir aber scheitern. Einen Sündenbock zu suchen, mache seiner Meinung nach auch keinen Sinn. So könne man die aktuelle Lage nicht auf die junge Generation und Partys schieben, denn auch ohne Partys wären die Zahlen gestiegen, da das Virus* „in die Gesellschaft diffundiert“.

Walter Plassmann zu Corona-Politik: Absurde Vorschriften unbedingt vermeiden

Den alarmistischen Ton, dessen sich besonders Politiker bedienen, hält Plassmann aus mehreren Gründen für problematisch: Er führe dazu, dass die Menschen sich zurückziehen oder sich wehren. Beide Optionen seien nicht gut. Er ist der Meinung, dass Vorsicht geboten ist und die aktuellen Regeln - wie die Einhaltung des Mindestabstands - notwendig seien. Absurde Vorschriften sollten aber vermieden werden, weil sie auch zu Widerstand bei den notwendigen Regeln führen würden.

Als Beispiel nennt er, dass Personen, die auf dem leeren Marienplatz in München keine Maske tragen, ein Bußgeld in Höhe von 250 Euro zahlen müssen. Dies sei nicht verhältnismäßig. Die Politiker sollten der Bevölkerung vielmehr zutrauen, „Verantwortung zu übernehmen“. Denn auch auf die emotionale Lage der Menschen müsse Rücksicht genommen werden: „Wer Verständnis für notwendige Maßnahmen erzeugt, schafft Akzeptanz, wer nur droht, schafft Reaktanz.“ at *Merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerkes

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