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Beben in SPD: Sieg für GroKo-Kritiker Walter-Borjans/Esken

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Die neue SPD-Spitze: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken freuen sich über das Ergebnis. Foto: Jörg Carstensen/dpa
Die neue SPD-Spitze: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken freuen sich über das Ergebnis. Foto: Jörg Carstensen/dpa © Jörg Carstensen

Das war eindeutig: Die SPD-Mitglieder wollen einen Neuanfang. Ist das das Ende für die schwarz-rote Regierung? Die designierten Parteichefs Walter-Borjans und Esken schlagen erste Pflöcke ein.

Berlin (dpa) - Mit der Wahl zweier GroKo-Kritiker beim Mitgliederentscheid für die Parteispitze stellt die SPD-Basis den Bestand des schwarz-roten Regierungsbündnisses in Frage.

Der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans und die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken gewannen die Stichwahl mit 53,06 Prozent, wie Interims-Parteichefin Malu Dreyer am Samstag mitteilte.

Für ihre Konkurrenten, die GroKo-Befürworter Vizekanzler Olaf Scholz und die Brandenburger Politikerin Klara Geywitz, gab es eine deutliche Klatsche: Sie kamen nur auf 45,33 Prozent. Offiziell gewählt ist die neue Doppelspitze allerdings noch nicht: Der Parteitag in der kommenden Woche muss sie noch bestätigen, was allerdings als sicher gilt.

Mit dem Votum der Mitglieder sind die Überlebenschancen für die große Koalition aus CDU, CSU und SPD deutlich gesunken. Walter-Borjans und Esken wollen zwar keinen überstürzten Ausstieg aus dem Bündnis. Sie wollen aber den Koalitionsvertrag neu verhandeln, das machten sie am Samstagabend gleich deutlich.

Auf dem Parteitag wollten sie inhaltliche Punkte benennen und die Delegierten darüber entscheiden lassen, «was jetzt so dringend umgesetzt wird, dass wir daran auch die Koalitionsfrage stellen», sagte Walter-Borjans. Esken betonte, es brauche neue Vorhaben, wenn die Koalition fortgeführt werden solle. Konkret verlangte sie mehr Einsatz für den Klimaschutz, etwa einen deutlich höheren CO2-Preis von 40 statt 10 Euro. Am Kompromiss über die geplante Grundrente wolle sie dagegen festhalten.

Zieht die Union bei der Neuverhandlung nicht mit, wie Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer bereits angedeutet hat, wollen Walter-Borjans und Esken der Partei den Ausstieg aus der GroKo empfehlen. Dann könnte es im kommenden Jahr Neuwahlen geben oder - zumindest für eine Zeit - eine Minderheitsregierung der Union unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel. Dabei muss Merkel auch beachten, dass Deutschland im zweiten Halbjahr 2020 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.

In Koalitionskreisen wird davon ausgegangen, dass es schnell nach dem SPD-Parteitag einen Koalitionsausschuss geben wird. Die Spitzen von CDU, CSU und SPD würden sich dann mit der neuen Lage bei den Sozialdemokraten befassen, hieß es am Samstagabend in Berlin. Möglich ist, dass die Koalitionsspitzen direkt am Sonntag nach dem Parteitag zusammenkommen (8. Dezember). Eine denkbare Alternative wäre der folgende Dienstagabend (10. Dezember).

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak betonte, die CDU freue sich auf «eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle unseres Landes». Zugleich verwies er auf den Koalitionsvertrag als Grundlage für die Arbeit des Regierungsbündnisses. «An dieser Grundlage hat sich auch durch die Entscheidung heute nichts verändert», sagte er. Mehrere Unionspolitiker, darunter CSU-Generalsekretär Markus Blume und der scheidende EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU), warnten die SPD vor einem Ausstieg.

Für die Sozialdemokraten endet mit dem Mitgliedervotum eine halbjährige Suche nach einer neuen Führung. Im Sommer war die bisherige Parteichefin Andrea Nahles nach internen Machtkämpfen zurückgetreten. Die designierten neuen Parteichefs forderten nun zum Zusammenhalt auf. «Uns ist sehr bewusst, dass das hier nicht eine Frage von Sieg oder Niederlage ist, sondern dass das eine Frage ist, diese eine großartige sozialdemokratische Partei zusammenzuhalten und da, wo sie schon mal ein bisschen auseinanderstrebt, zusammenzuführen», sagte Walter-Borjans.

Scholz und Geywitz sicherten der designierten Doppelspitze ihre Unterstützung zu. Hinter der neuen Parteiführung müssten sich alle versammeln, sagte Scholz. Ziel bleibe, die SPD wieder stark zu machen, das sei gemeinsame Sache.

Interims-Parteichefin Malu Dreyer betonte: «Wir brauchen euch alle vier, alle bleiben wichtig für uns in der SPD. Wir sind uns einig, wir bleiben zusammen.» Scholz will trotz der deutlichen Niederlage auch Vizekanzler und Finanzminister bleiben, wie die Deutschen Presse-Agentur aus Parteikreisen erfuhr. Darauf setzt auch seine Konkurrentin Esken: «Ich hoffe sehr, dass er sich nicht zurückzieht», sagte sie.

Juso-Chef Kevin Kühnert, der Walter-Borjans und Esken im Wahlkampf unterstützt hatte, rief ebenfalls zum Zusammenhalt auf. «Unsere Gegner wollen, dass es uns zerreißt. Diesen Gefallen werden wir ihnen nicht tun», schrieb er auf Twitter.

Fraktionschef Rolf Mützenich forderte, die SPD müsse jetzt nach vorne schauen und alle Kraft sammeln, um gestärkt aus der Abstimmung hervor zu gehen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) wünschte Walter-Borjans und Esken eine glückliche Hand. «Am Ende entscheiden in der Demokratie Mehrheiten und Minderheiten müssen eine solche Entscheidung akzeptieren», sagte er.

Spitzenpolitiker anderer Parteien zeigten sich von dem Ergebnis überrascht. «Ich bin völlig baff», schrieb FDP-Chef Christian Lindner auf Twitter. FPD-Fraktionsvize Michael Theurer sah den Linksruck der SPD und das Ende der Koalition besiegelt. «Deutschland steht vor Neuwahlen oder einer Minderheitsregierung», sagte er. Die FDP stehe bereit, Verantwortung zu übernehmen «sofern inhaltliche Kernforderungen umgesetzt werden können». Auch die Grünen-Spitze betonte, sie freue sich «auf eine faire, sachliche und konstruktive Zusammenarbeit».

Die Linken wittern Chancen für neue Mehrheiten. Esken und Walter-Borjans hätten jetzt die Aufgabe, «die gute alte Dame Sozialdemokratie wieder auf Trab zu bringen», erklärte Parteichefin Katja Kipping. Mehrheiten links der Union funktionierten nur mit einer «schwungvollen SPD als auch einer starken Linken». Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte betonte: «Die Chancen für eine Mitte-Links-Politik nach der nächsten Bundestagswahl sind gestiegen.»

SPD zur Wahl der neuen Parteispitze

Antragsbuch SPD-Parteitag

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