Eine ähnliche Dynamik wie vor sieben Monaten, als Merkel mit der Entscheidung zum Verzicht auf den CDU-Vorsitz einem stärker werdenden internen Druck zuvorkam, könne es nun wieder geben. Schon beim Europawahl-Auftakt am 27. April in Münster, für den die Kanzlerin entgegen dem Wunsch des Adenauerhauses um Kramp-Karrenbauer abgesagt hatte, werde die CDU feststellen: Es gehe auch ohne Merkel, heißt es kühl.
Doch wie könnte ein Wechsel im Kanzleramt von Merkel zu AKK über die Bühne gehen - auch angesichts hoher verfassungsrechtlicher Hürden? Dass die Union den Weg über ein konstruktives Misstrauensvotum gehen könnte, bei dem CDU und CSU ihrer Kanzlerin das Vertrauen entzögen, wird für nahezu ausgeschlossen gehalten.
Als mögliche Varianten werden deswegen in Berlin zwei Auswege gehandelt: Eine «Amtsbeendigung» der Kanzlerin mit anschließender Wahl von Kramp-Karrenbauer im Bundestag ohne vorherige Neuwahl - also quasi ein Neuanlauf der vor eineinhalb Jahren gescheiterten Jamaika-Variante mit FDP und Grünen.
Das dürfte vor allem an den Grünen hängen. Deren strategische Ausgangslage: 8,9 Prozent bei der Bundestagswahl, kleinste Fraktion im Bundestag, aber satte 17 bis 20 Prozent in den Umfragen. Zu verdanken haben sie die dem neuen Führungsduo aus Robert Habeck und Annalena Baerbock, das keine Scheu vor linken Positionen hat, aber für eine Zusammenarbeit mit Union und FDP trotzdem offen wirkt.
Beide waren bei den gescheiterten Jamaika-Gesprächen zwar dabei, stehen aber für einen Neustart. Formelle Koalitionsverhandlungen mit Union und FDP auf Basis der Machtverhältnisse von 2017 gelten an der Grünen-Spitze aber inzwischen als undenkbar. Warum sollte man auf das wahrscheinliche Top-Ergebnis einer Neuwahl verzichten? Außerdem: Vor der nächsten Wahl - planmäßig im Herbst 2021 - bliebe kaum Zeit, wirklich zu regieren. Schmerzhafte Kompromisse mit Schwarz und Gelb gingen auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Das würde auch für eine Art Projektregierung gelten, wie auch immer die aussehen könnte.
Richtig ist: Es gibt bei den Grünen wichtige Köpfe, für die eine schnelle Regierungsbeteiligung die letzte Chance auf echte Macht sein könnte. Die Spitzenkandidaten von 2017 etwa, Ex-Parteichef Cem Özdemir und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Das Machtzentrum heißt aber Habeck/Baerbock - und die haben keine Eile. Nach einer Neuwahl scheint eine Koalition ohne Grün derzeit schwer denkbar.
In der Union wird zwar nicht ganz ausgeschlossen, dass es ein neues Jamaika-Bündnis geben könnte, beispielsweise mit der Verständigung auf einige wenige inhaltliche Top-Ziele für die verbleibenden zwei Jahre der Legislatur. Selbst die Möglichkeit, dass die SPD Kramp-Karrenbauer zur Kanzlerin mitwählen könnte, wird nicht ganz ausgeschlossen - obwohl SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil genau dies gerade erst getan hat. Als viel wahrscheinlicher wird aber ein anderer Ausweg gehandelt: Eine Minderheitsregierung der Union, vielleicht sogar mit Merkel an der Spitze - und womöglich eine vorgezogene Neuwahl am Termin der Landtagswahl in Thüringen, dem 27. Oktober.