Auch die Parteilinke Hilde Mattheis zeigte sich "fassungslos". Es habe einen regelrechten "Coupcharakter", Personalentscheidungen mit Inhalten des Koalitionsvertrags zu vermengen, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete. Sie glaube nicht, dass das Ergebnis die Mitglieder überzeugen werde.
"Die Gemengelage ist für die Mitglieder eine große Zumutung", sagte Mattheis. Die Basis müsse jetzt gleichzeitig darüber entscheiden, ob Schulz Außenminister werden solle, ob es richtig sei, dass er auf den Parteivorsitz verzichte und ob der Koalitionsvertrag tragfähig sei. Auch andere Parteilinke zeigten sich nicht überzeugt von dem mit der Union ausgehandelten Koalitionsvertrag.
Drei konkrete Aufträge zur Nachbesserung erteilte der SPD-Sonderparteitag der Parteispitze für die Koalitionsverhandlungen mit der Union. Die wurden nur teilweise erreicht:
SACHGRUNDLOSE BEFRISTUNGEN:
"Befristete Arbeitsverhältnisse müssen die Ausnahme sein", forderte der SPD-Sonderparteitag.
Im Koalitionsvertrag konnten die Sozialdemokraten sachgrundlose Befristungen nicht komplett abschaffen, aber immerhin eindämmen.
ZWEI-KLASSEN-MEDIZIN:
Die SPD-Delegierten verlangten auch, das "Ende der Zwei-Klassen-Medizin" einzuleiten. Gemeint ist damit die Ungleichbehandlung von gesetzlich und privat Versicherten.
Als Kompromiss einigten sich CDU, CSU und SPD in den Koalitionsverhandlungen auf die Einsetzung einer Kommission, die Vorschläge für eine Reform der Arzthonorare für Kassen- und Privatpatienten erarbeiten und bis Ende 2019 vorlegen soll. "Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, wird danach entschieden", heißt es allerdings im Koalitionsvertrag.
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FAMILIENNACHZUG FÜR SUBSIDIÄR GESCHÜTZTE FLÜCHTLINGE:
Schließlich forderte der SPD-Parteitag "eine weitergehende Härtefallregelung für den Familiennachzug, um Familien das Zusammenleben zu ermöglichen". Bei den Sondierungsgesprächen hatten sich die Spitzen von Union und SPD verständigt, Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz den Nachzug der Kernfamilie wieder zu erlauben, die Zahl aber auf 1000 Menschen pro Monat stark zu begrenzen.
Das Flüchtlingsthema wurde schon früh in den Koalitionsverhandlungen entschieden. Ab August sollen die vereinbarten 1000 Angehörigen pro Monat nach Deutschland kommen, die nach bestimmten Vorgaben ausgewählt werden sollen. Den genauen Kriterienkatalog soll ein noch zu erlassendes Bundesgesetz regeln.
Über dieses Kontingent hinaus soll eine bereits bestehende Härtefallregelung angewendet werden, im vergangenen Jahr gab es aber nur einige Dutzend dieser Fälle. Die Sozialdemokraten hoffen zwar auf eine Ausweitung, etwa durch Entscheidungen auf Landesebene. Eine Garantie gibt es dafür aber nicht. Das vom Parteitag verlangte Signal für eine humanitäre Flüchtlingspolitik fällt also eher schwach aus.
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Aber immerhin sechs Ministerien sollen an die SPD gehen: die Schlüsselressorts Außen, Finanzen und Arbeit/Soziales sowie die Ministerien für Justiz/Verbraucherschutz, Familie und Umwelt.
Gerade mal 56,4 Prozent sprachen sich am SPD-Parteitag für Koalitionsverhandlungen aus. Ob es bei der Mitgliederbefragung so knapp wie beim Parteitag wird oder sich die Basis gar gegen eine GroKo entscheidet, ist nicht abzusehen - zumal auch völlig unklar ist, wie sich die zahlreichen Neueintritte auswirken.
Eine erste Umfrage Anfang Februar aber besagt: Etwa 60 Prozent der SPD-Anhänger wünschen sich einer Umfrage zufolge das Zustandekommen der großen Koalition. Ein Drittel der Befragten sprach sich gegen die "GroKo" aus, wie am Donnerstag aus der Befragung des Meinungsforschungsinstituts Civey für das Nachrichtenportal "t-online" hervorging.
Die Umfrage ergab ebenfalls, dass 57 Prozent aller Befragten will, dass die SPD-Basis die Koalition bei dem Mitgliederentscheid verhindert. Civey befragte nach dem Bekanntwerden der Einigung von Union und SPD am Mittwoch 5.127 Menschen.
Das Mitgliedervotum der SPD darf wie geplant stattfinden. Das Bundesverfassungsgericht hat fünf Anträge gegen den geplanten Mitgliederentscheid der SPD zum Koalitionsvertrag mit der Union zurückgewiesen. Sie seien ohne Begründung nicht angenommen worden, sagte ein Sprecher am Mittwoch in Karlsruhe.
Sagen die SPD-Mitglieder nein, bleiben als Alternativen wohl nur noch Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung. Letztere Alternative präferieren vor allem die Jusos. Allerdings könnten sich auch viele Spitzenkräfte der Partei damit anfreunden. Das Votum der Mitglieder ist verbindlich. Der Vorstand kann sich nicht darüber hinwegsetzen.
Wenn es kommenden Sonntag spannend wird und sich entscheidet, ob die SPD-Mitglieder grünes Licht für die GroKo geben, dann berichten wir in unserem GroKo-News-Ticker auch davon. Bei uns bekommen Sie alle Infos rund um den Mitgliederentscheid der SPD.
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