Die Studie schätzt außerdem, dass in Florida* noch immer rund 900.000 Menschen von der Wahl ausgeschlossen sind, obwohl sie bereits ihre Strafe bereits verbüßt haben. Daran änderte offenbar auch eine Verfassungsänderung nichts, die im Jahr 2018 eine überwältigende Zustimmung der Wählerschaft erhielt und etwa 1,4 Millionen ehemaligen Straftätern die Möglichkeit gab, wieder zu wählen.
Der Grund hierfür ist ein Gesetz, welches vergangenes Jahr von dem republikanischen Gouverneur Ron DeSantis unterzeichnet wurde: Damit machte er die Wiedererlangung des Wahlrechts abhängig davon, dass ausstehende Restitutionen, Geldstrafen und Gebühren im Zusammenhang mit den Verurteilungen beglichen werden.
Ehemalige Straftäter verklagten daraufhin den Staat Florida. Ihr Argument: Das Gesetz schaffe ein sogenanntes pay to vote-System, also „zahlen, um zu wählen“ – das aber ähnele Wahlsteuern, genannt poll taxes. Dabei handelt es sich um Abgaben, die Wähler einst bezahlen mussten, um das Wahlrecht zu erhalten. Heute sind sie per Verfassung verboten, weil sie als diskriminierend gelten.
Ein Bundesberufungsgericht jedoch bestätigte das Gesetz von DeSantis am 11. September 2020 mit knapper Mehrheit. Als Reaktion darauf richteten Mitglieder der „Florida Rights Restoration Coalition“, der Gruppe hinter der Verfassungsänderung von 2018, einen Fonds für Geldbußen und Gebühren ein. Diese „Koalition zur Wiederherstellung der Rechte in Florida“ arbeitete mit Gerichtsbeamten in allen 67 Bezirken zusammen. Ihr Ziel: Ehemaligen Straftätern zu helfen, ihre Geldbußen auszurechnen und abzuzahlen oder Strafumwandlungen zu erwirken.
Die Organisation begann Ende 2019, die Bußgelder für Straftäter zu begleichen. Mehr als 86.000 Menschen spendeten seitdem mehr als 27 Millionen US-Dollar für den Fond, ein großer Teil davon ging nach der Gerichtsentscheidung im vergangenen Monat ein.
„Wir tun, was wir können, um für Menschen finanzielle Hürden zu beseitigen, die zu arm sind, um diese gerichtlichen Zahlungsverpflichtungen zu begleichen“, sagt Desmond Meade, geschäftsführender Direktor der Koalition, BuzzFeed News am Telefon.
Porter von Sentencing Project weist darauf hin, dass die Schätzung der Koalition zur Anzahl der Straftäter ohne Wahlrecht aus der Zeit vor der Gerichtsentscheidung vom 11. September stamme: „Zweifellos gibt es derzeit eine geringere Anzahl an Menschen, denen das Wahlrecht entzogen wurde, gemessen zu dem Zeitpunkt, als wir sie auf knapp 900.000 schätzten.“ Zum Zeitpunkt des Gerichtsbeschlusses gab die Koalition an, sie habe durch ihr Programm mehr als 4000 ehemaligen Straftätern geholfen. Vertreter der Koalition hatten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags noch nicht auf eine Anfrage bezüglich aktueller Zahlen reagiert.
Laut dem Politikwissenschaftlers Dan Smith von der University of Florida, der die Auswirkungen des Gesetzes untersucht hat, ist es schwer zu sagen, wie viele ehemalige Straftäter sich in Florida für die Wahl registriert haben. Der Bundesstaat erfasst diesbezüglich keine Daten. Zudem gibt es kein zentrales System, das angibt, wie viele Schulden Menschen haben – das erschwert es ehemaligen Straftätern überhaupt herauszufinden, ob sie ausstehenden finanziellen Verpflichtungen haben – und wählen dürfen, oder nicht.
„Das ist noch immer ein Problem“, sagt der Wahlrechtsaktivist Meade von der Koalition. „Deshalb ist unsere Arbeit so wichtig und notwendig: Dass wir das zusammen mit den Beamten durcharbeiten.“
Sogar Meade, seit einem Jahrzehnt Aktivist, fand erst Anfang des Jahres über sein letztes Gnadengesuch heraus, dass er noch 1200 Dollar Schulden hatte. Als er sich Jahre zuvor nach seinen Schulden erkundigte, hatte man ihm offenbar fälschlicherweise erzählt, er diese seien beglichen. „Ich konnte es mir leisten, das zu bezahlen“, sagt er. „Aber es zeigt, wie kompliziert dieses System ist. Und wenn einer Person wie mir so etwas passiert, naja, was bedeutet das für den Durchschnittsbürger?“
Für den 45-jährigen Dolce Bastien, der in den 1990er Jahren wegen einer Straftat verurteilt wurde, hat die Arbeit der Koalition all das vereinfacht. 2019 unterstütze ihn die Gruppe dabei, sicherzustellen, dass er all seine Schulden bei den Gerichten beglichen hatte. Diesen Herbst plant er zum ersten Mal in seinem Leben zu wählen. „Ich freue mich darauf“, sagte Bastien, der bei einer Einzelhandelskette in Jacksonville arbeitet.
Er erzählt BuzzFeed, es habe sich wie eine „ständige Bestrafung“ angefühlt, von der Wahl ausgeschlossen zu sein, obwohl er seine Strafe abgebüßt und sein Leben neu organisiert hatte.
„Nicht wählen zu können, lässt einen erneut spüren, dass man nicht mehr Teil der Gesellschaft ist“, sagte Bastien. Dass er jetzt den Eindruck habe, einen Unterschied bewirken zu können, fühle sich gut an: „Das Gefühl, wenn ich tatsächlich zur Wahl gehen und abstimmen kann, wird überwältigend sein.“
Porter von der Organisation Sentencing Project sagt, die Gesetzgebung in Florida sei „in vielerlei Hinsicht ein warnendes Beispiel“. Zugleich handele es sich bei der Verfassungsänderung des Bundesstaates um die weitreichendste Wiederherstellung des Wahlrechts der Geschichte und zeuge von einem wachsenden Kampf.
In den letzten Jahren erweiterten mehrere Staaten, darunter Iowa, Kentucky* und New Jersey, die Wahlrechte ehemaliger Straftäter. In Kalifornien etwa soll derzeit ein Volksentscheid entwickelt werden, der es ehemaligen Strafgefangenen ermöglichen würde, zu wählen, während sie auf Bewährung sind.
Um das Problem zu lösen, müsse man den Entzug des Wahlrechts bei Straftaten weiterhin anfechten, und darauf hinarbeiten, dass kein Bürger bei strafrechtlichen Auseinandersetzungen sein Wahlrecht verliere, so Porter. „Wir haben immer noch viel zu viele Menschen, die von der Wahl ausgeschlossen sind.“ *BuzzFeed News Deutschland und Merkur.de sind Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.
Stephanie K. Baer
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