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Geplant oder unvermeidlich: Warum ist Jamaika gescheitert?

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Christian Lindner verlässt in der Nacht die Verhandlungen.
Christian Lindner verlässt in der Nacht die Verhandlungen. © AFP

Nach einer historischen Nacht bleiben mehr Fragen als Antworten. Warum hat die FDP so kurz vor dem Ziel die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition abgebrochen? Eine Rekonstruktion der Ereignisse.

Update vom 21. November 2017: Gibt es schon im Frühjahr eine Neuauflage der Bundestagswahl? Angeblich kursiert in Berlin schon ein geheimer Termin für Neuwahlen.

München - Mitten in der Nacht packten die Sondierer der FDP ihre Jacken zusammen und verließen den Raum - fluchtartig, berichtet der Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner später. Um 23.49 Uhr dann die offizielle Bestätigung von FDP-Fraktionssprecher Nils Droste. Die Gespräche über eine mögliche Jamaika-Regierung sind nach einem Monat Beratungszeit gescheitert. Eigentlich sollten die finalen Beratungen schon um 18 Uhr beendet sein - es wurde ein Showdown mitten in der Nacht.

Mit den Worten "Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren" tritt FDP-Chef Christian Lindner um Mitternacht vor die Presse und zementiert das Todesurteil der von vornherein schwierigen Koalitionsgespräche. Historische Worte in einer historischen Nacht, die ein politisch instabiles Deutschland zurücklässt. Wie konnte es so weit kommen?

Uneinigkeit und Kompromisslosigkeit: Die Gründe des Scheiterns der Jamaika-Koalition

In vielen Kernpunkten waren sich die vier Parteien im letzten Monat uneins. In einigen konnten Kompromisse erzielt werden, in anderen nicht. In der letzten Sondierungsnacht ging es unter anderem um das Thema Zuwanderung. Ein Thema, bei dem nicht die FDP unüberwindbare Differenzen zur Haltung der anderen Parteien gehabt haben dürfte, sondern die Grünen. 

Die wehrten sich nämlich entschieden dagegen, die Aussetzung des Familiennachzugs über März hinaus zu verlängern. CDU, CSU und FDP standen bei diesem Thema geschlossen zusammen. An dieser Stelle hätten die Grünen nur noch ihre Mitwirkung an der Koalition in die Waagschale werden können als Druckmittel. Dieser Tagesordnungspunkt könnte der Wendepunkt gewesen sein, an dem die Liberalen beschlossen haben, die Reißleine zu ziehen. Auch Lindner weist indirekt in seiner Abschlussrede darauf hin: Am Sonntag seien Rückschritte gemacht, erzielte Kompromisslinien erneut in Frage gestellt worden.

Die Uneinigkeit der letzten Nacht zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamten Verhandlungen. Immer wieder wurden Kompromisse vorgeschlagen, dann wieder abgelehnt und Konflikt-Themen vertagt. Sobald es einmal eine Annäherung zwischen der Union und den Grünen gegeben habe, sei die FDP immer dazwischengegrätscht, berichtet Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner.

Über all den einzelnen Streitpunkten schwebte die entscheidende Frage: Werden die mühsam errungenen Kompromisse für vier Jahre halten? Die FDP hat diese Frage für sich augenscheinlich mit „Nein“ beantwortet. 

Die Begründung der FDP für das Scheitern von Jamaika - ein Widerspruch in sich

Als Christian Lindner um kurz vor Mitternacht vor die Presse tritt wirkt er müde und genervt. Einige Male verhaspelt er sich, blickt immer wieder auf den Zettel in seiner Hand. Er spricht von einer gemeinsamen Vertrauensbasis, diese herzustellen sei nicht gelungen, wäre aber nötig für eine stabile Regierung. Er spricht explizit von allen drei Gesprächspartnern, ein Umstand der verwundert, denn die FDP hat sich in ihren Positionen nahezu völlig der Union angenähert. 

„Nach Wochen liegt heute ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor“, sagte der FDP-Chef weiter. Wo es Übereinkünfte gebe, seien diese mit viel Geld der Bürger oder Formelkompromissen erkauft worden, so Lindner. Er spricht von einem Papier, an dessen Erstellung die Liberalen maßgeblich beteiligt waren. Warum also der Rückzieher? Und warum erst jetzt? Eine Antwort darauf bleibt Lindner schuldig. 

War der FDP-Exit von langer Hand geplant?

Bundeskanzlerin Angela Merkel drückte nach den gescheiterten Gesprächen ihr Bedauern darüber aus. CSU-Chef Horst Seehofer fand es „schade“, dass nicht gelungen sei, was zum Greifen nah schien. Anders die Reaktionen aus dem grünen Lager: Es hagelte heftige Kritik am Gebaren der FDP. Doch was ist dran an der Vermutung, Lindner habe den Abgang seiner Partei von langer Hand geplant? 

Fest steht: Die FDP hatte nach der Bekanntgabe schnell eine Grafik zur Hand, auf der auch die wichtigste Aussage von Christian Lindner dargestellt ist. Gepostet wurde die Nachricht um 00.13 Uhr.

In den Kommentaren werden erste Vermutungen geäußert, dass der Abbruch der FDP nicht so spontan gewesen sein könne, wenn die PR-Abteilung so gut vorbereitet sei. 

Grünen-Politiker Robert Habeck unterstellt der FDP und Lindner wortwörtlich, den Eklat vorbereitet zu haben.

Die Kritik kommt allerdings auch aus anderen Lagern. Julia Klöckner, stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende spricht in ihrem Tweet von „geplanter Spontanität“. 

CDU-Bundestagsabgeordneter Kai Whittaker spricht von mangelndem Vertrauen schon vor den eigentlichen Verhandlungen. 

Lindner selbst rechtfertigt sich später via Twitter und schießt eine Spitze ab, die wohl in Richtung Grüne geht.

Es bleibt unklar, inwieweit die Anschuldigungen tatsächlich zutreffen oder nur Ausdruck von Enttäuschung von Seiten der gescheiterten Koalitionspartner sind. Auch diese Frage kann nur die FDP-Führung selbst beantworten.

Wie geht es jetzt weiter?

Nach dem Scheitern der Koalitionsgespräche ergeben sich mehrere Szenarien, wie es nun weitergehen könnte. Hier erfahren Sie mehr darüber. 

Das nächtliche Statement von Christian Lindner im Wortlaut

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