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Vor Heimrennen: Ferrari zwischen Mitleid und Spott

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Sebastian Vettel steckt mit Ferrari in der Krise. Foto: Francois Lenoir/POOL REUTERS/AP/dpa
Sebastian Vettel steckt mit Ferrari in der Krise. Foto: Francois Lenoir/POOL REUTERS/AP/dpa © Francois Lenoir

Es fing an mit der Ankündigung vom Vettel-Aus. Seitdem herrschen Missstimmungen, seitdem geht nichts bei Ferrari. Die Reise zu den Heimspielen wird kein Spaß. Die Fans sind wütend. Die Ferrari-Rennen Nummer 999 und 1000 drohen zu weiteren Offenbarungseiden zu werden.

Spa-Francorchamps (dpa) - Bei Ferrari wissen sie ziemlich genau, was sie den Tifosi antun. «Wir sind enttäuscht und wütend, genauso wie es zurecht unsere Fans sind», sagt Mattia Binotto. Der 50-Jährige ist der Teamchef der Scuderia.

Er führt den Formel-1-Rennstall, der in diesem Jahr eigentlich wieder um die Weltmeisterschaft kämpfen und mit Glanz und Gloria seine 1000. Grand-Prix-Teilnahme feiern wollte.

Stattdessen muss sich Binotto nach dem Großen Preis von Belgien mehr denn je die Frage gefallen lassen, ob er noch geeignet ist, das Team aus seiner schweren Krise zu holen. «Ob ich noch der richtige Mann bin, kann ich nicht beantworten», meinte Binotto, das müssten andere. Er sagt es - wie es seine Art ist - recht nüchtern und unaufgeregt.

Fakt ist, dass Ferrari ein erschreckendes Bild abgibt und die Plätze 13 für Sebastian Vettel und 14 für Charles Leclerc in Belgien keine Verkettung unglücklichster Umstände waren, sondern schlichtweg dem Leistungsstand entsprachen. Sogar im Live-Ticker der Formel 1 fiel die Bilanz verheerend aus: «Nicht mal mehr die Fahrer verstehen das Auto. Helfen wird das nicht.»

Nach den Dissonanzen wegen der Entscheidung gegen eine Verlängerung des Vettel-Vertrags habe sich diese Saison von schlecht zu noch schlechter für die Scuderia entwickelt, hieß es. Noch schlechter geht es mittlerweile kaum mehr. «Langsam, schäbig, unzuverlässig», ätzt «La Repubblica» aus Italien. Und die «Gazzetta dello Sport» urteilt: «Ferrari zeigt einen Mangel an Ideen und Mut. Es gibt reichlich Arbeit zu tun, aber auch vieles, über das nachgedacht werden muss.»

Auch wenn die österreichische «Kronen-Zeitung» die Darbietungen des einst so glorreichen Rennstalls «mitleiderregend» findet, regt sich bei den Mitbewerbern eher Unmut über den Absturz des Zugpferds. «Ferrari ist eine ikonische Marke. Sie sollten ganz vorne kämpfen», mahnt Toto Wolff. Der Teamchef von Branchenführer Mercedes macht sich Sorgen. Ein Krisenfall Ferrari schadet sportlich der Motorport-Königsklasse. Wolff sagt: «Es ist nicht gut für die Formel 1. Es ist nicht gut für den Kampf an der Spitze.»

Auf Kritik des höchst erfolgreichen Mercedes-Teamchefs, dass bei Entscheidungen innerhalb des Teams von einigen Leuten nicht die richtigen Prioritäten gesetzt worden seien, reagiert der bislang erfolglose Teamchef Binotto so: «Darauf müssen wir nicht antworten.» Seit 35 Jahren ist Binotto bei Ferrari, ein Ingenieur durch und durch. Eine Leidenschaft, wie sie die Tifosi leben, verkörpert Binotto nicht. Bei der Videopressekonferenz mit den beiden Fahrern nach dem sportlichen Desaster von Spa war er hier und da sogar noch zu kleinen Scherzen aufgelegt. Verwunderlich.

Dass am kommenden Wochenende keine Fans wegen der strengen Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen in den Königlichen Park von Monza kommen dürfen, schmerzt die Italiener. Viel besser als in Spa-Francorchamps dürften Vettel und Leclerc aber auch beim ersten Teil des Italien-Doppelpacks nicht abschneiden. Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke ist Motorkraft gefragt. Und daran hapert es in diesem Jahr besonders.

«Wenn wir die Wahl hätten, hätten wir gern Fans da», betont Vettel. «Ich glaube nicht, dass wir ausgebuht würden.» Dass die Fans leiden, weiß er aber auch. Dass er leidet, davon kann man ausgehen.

Angesprochen auf das, was ihn eigentlich noch antreibt, wenn ein einst so erfolgreicher Pilot, der schon 53 Rennen gewann, derzeit im hinteren Mittelfeld herumdümpelt, sagt Vettel: «Die Leute um mich herum, die Mechaniker, die Ingenieure in der Garage.» Es sei sicher nicht der ganz große Spaß, um Platz 13 zu kämpfen. «Ich bin aber Teil des Teams, nicht wegen des Vertrags, sondern auch aus dem Teamgeist heraus.» Es sei auch eine Sache des Respekts.

© dpa-infocom, dpa:200831-99-370539/2

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