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Abschied vom Sommermärchen? Affäre kratzt am Image

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Für Richard David Precht ist klar: Freuen darf man sich über die WM 2006 noch immer. Foto: Jens Kalaene
Für Richard David Precht ist klar: Freuen darf man sich über die WM 2006 noch immer. Foto: Jens Kalaene © Jens Kalaene

Die Fußball-WM 2006 hat auch das Deutschland-Bild in der Welt verändert. Nun steht der böse Verdacht im Raum, dass das «Sommermärchen» mit Schmiergeld erkauft war. Dürfen wir uns im Nachhinein nicht mehr über den WM-Sommer 2006 freuen?

Düsseldorf (dpa) - Bunt, weltoffen und locker präsentierte sich ein anderes Deutschland 2006 bei der Fußball-WM. Schwarz-Rot-Gold waren die Farben des «Sommermärchens», das Deutschland ein neues Image in der Welt bescherte. Das damalige Motto: «Die Welt zu Gast bei Freunden.»

Knapp zehn Jahre später stellt sich angesichts einer Affäre um schwarze Kassen die Frage: Hat sich Deutschland sein buntes Fußball-Sommermärchen 2006 mit einem groben Foul erkauft? Bleibt jetzt nur noch ein fader Nachgeschmack vom schönen Fußball-Sommer 2006?

Doch, man darf das Sommermärchen trotz des Korruptionsverdachts in guter Erinnerung behalten, finden Philosophen. «Das war eine Art Selbsterleben, eine echte Weiterentwicklung unserer Mentalität», sagt Professor Michael Quante, Professor für Praktische Philosophie der Uni Münster. Damals habe von den Fans auch niemand gewusst, dass die Fußball-WM womöglich auf nicht korrekte Weise nach Deutschland gekommen sei.

«Wir dürfen uns weiter darüber freuen, dass wir bei diesem Ereignis etwas über uns erfahren haben und uns der Welt zeigen konnten», sagt Quante. Nur leider sei die Freude nun «nicht mehr ungetrübt». Denn man stelle nun fest, «dass man sich ohne eigenes Verschulden an etwas gefreut hat, was durch eine Spielregelverletzung zustande gekommen ist». Als Fan fühle man sich «irgendwie betrogen», sagt Quante. «Aber die Ehrlichkeit der damaligen Gefühle ist nicht infrage gestellt.»

Auch der Philosoph und Bestseller-Autor Richard David Precht sagt: «Das Sommermärchen geht nicht dadurch kaputt, dass sich herausstellt, dass es vermutlich gekauft worden ist.» Weder Precht noch Quante wollen die mögliche Bestechung bei der WM-Vergabe damit rechtfertigen. «Ich entschulde die damit moralisch nicht, das ist klar», sagt Precht. «Deutschland hätte aber damals vielleicht aus moralischen Gründen darauf verzichten müssen, das Sommermärchen zu haben.»

Die Sommermärchen-Affäre, der Skandal um manipulierte Abgaswerte bei dem als zuverlässig geltenden Volkswagen-Konzern, Plagiatsvorwürfe gegen hochrangige Politiker und eine Reihe von Skandalen bei der Deutschen Bank drohen am guten Image Deutschlands kratzen. «Wieso sollte Deutschland so viel ehrlicher sein als andere Länder der Welt?», sagt Precht. «Wir sollten nicht so tun, als ob wir in einer durch und durch ehrlichen Kultur leben, aber das glaubt ja auch keiner.»

Auf der anderen Seite nimmt Deutschland derzeit Hunderttausende Flüchtlinge auf - getreu dem WM-Motto von 2006, dass wir gute Gastgeber sein wollen und auch können. Auch das trägt zum Image eines offenen Landes bei, doch nach Meinung der Philosophen ist noch nicht eindeutig, in welche Richtung es geht.

«Natürlich beschädigen die Montagsdemonstrationen von Nationalisten den Ruf Deutschlands und rufen bittere Erinnerungen hervor», sagt Quante. «Aber die gelebte Solidarität mit den Flüchtlingen vor Ort korrigiert das wieder.» Quante treibt die Sorge um, «dass politikinteressierte Gruppen Ängste der Deutschen jetzt mobilisieren». «Gegen Brandstifter müssen wir uns wehren», sagt er. «Das ist ein Gesicht von Deutschland, das wir nicht haben wollen.»

Wie sich das Flüchtlingsthema auf das Deutschland-Bild in der Welt auswirken wird, steht auch nach Meinung Prechts noch nicht fest. «Dass die Flüchtlinge Deutschland insgesamt noch toleranter machen, würde ich sagen, steht fifty-fifty.» Es könne aber auch sein, dass sich in Deutschland die ablehnenden Kräfte radikalisieren.

«Wir reden immer so, als gebe es das einheitliche Deutschland», sagte Quante. «Doch in Wirklichkeit verhält es sich mit einer Nation wie mit allen Menschen, beispielsweise unseren Nachbarn. Diese können auch in einer Hinsicht nette, in anderer Hinsicht aber auch wieder nicht so umgängliche Menschen sein.»

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