Es wird das letzte Turnier von Joachim Löw als Bundestrainer. Was halten Sie von ihm?
Rossi: Er hat soviel Erfolg gehabt als Nationaltrainer und das 15 Jahre lang, das kann ich mir gar nicht vorstellen (lacht). Zuletzt hat er vielleicht nicht immer die richtigen Ergebnisse geholt, aber er musste über die Jahre hinweg auch mehrmals einen Generationenwechsel vollziehen. Für mich gehört er ohne Zweifel zu den erfolgreichsten Nationaltrainern der Welt. Die Fakten sprechen für ihn.
Könnten Sie sich vorstellen, 15 Jahre Trainer in Ungarn zu bleiben und der ungarische Joachim Löw zu werden?
Rossi: Das wäre sehr, sehr schwierig (lacht). Der ungarische Verband hat mir schon großes Vertrauen geschenkt, indem er mir einen Vertrag bis Dezember 2025 gegeben hat. Ich weiß nicht, ob ich bis zum Vertragsende hier sein werde, nicht, weil ich nicht will, sondern weil jedes Ergebnis mit der Nationalmannschaft zählt. Wir müssen in den nächsten vier Jahren gute Leistungen und gute Ergebnisse liefern, damit ich bis zum Ende meines Vertrags bleiben kann.
Joachim Löw hat die zuvor aussortierten Thomas Müller und Mats Hummels zurückgeholt. Wie bewerten Sie diesen Entschluss?
Rossi: Sie sind zwar nicht mehr die jüngsten Spieler, sie sind aber Spitzenspieler in ihrer Mannschaft. Müller hatte unter Trainer Niko Kovac beim FC Bayern eine schwierige Zeit, unter Hansi Flick hat er aber wieder regelmäßig gespielt und dann alle Titel abgeräumt. Und Hummels ist ein unglaublicher Spieler. Er ist groß und ein technisch starker Verteidiger. Löw hat beide zurückgeholt, weil sie immer noch Extraklasse darstellen.
In Peter Gulacsi, Willi Orban (beide RB Leipzig), Adam Szalai (FSV Mainz 05) und Roland Sallai (SC Freiburg) haben Sie vier Bundesliga-Profis in Ihrem Aufgebot. Wie wichtig ist diese deutsche Achse?
Rossi: Es ist ganz wichtig, dass wir auf diese vier Spieler zählen können. In Dominik Szoboszlai müssen wir leider auf einen fünften Spieler aus Deutschland verzichten. Diese Vier spielen aber auf höchstem Niveau, sie sind sicherlich unsere Schlüsselspieler.
Wie schwer wiegt der Ausfall vom Leipziger Dominik Szoboszlai?
Rossi: Dominik gehört zu unseren technisch besten Spielern. Mit seinen erst 20 Jahren ist er auf dem Weg zu einem internationalen Ausnahmespieler, für uns ist er das längst. Dass wir nicht auf ihn zählen können, macht für uns einen großen Unterschied.
Sehen Sie Gulacsi auf dem Niveau von Deutschlands Nationaltorwart Manuel Neuer?
Rossi: Er hat in den vergangenen Jahren auf einem absoluten Top-Niveau gespielt und das auch im internationalen Wettbewerb gegen die besten Mannschaften in Europa bewiesen. Daher denke ich, dass man ihn absolut auf dem gleichen Niveau wie Manuel Neuer sehen muss. Neuer ist aber schon eine Legende. Ich hoffe, dass Peter am Ende seiner Karriere zu einer Legende in Leipzig werden kann.
Sie selbst haben eine deutsche Vergangenheit. 1996/1997 haben Sie eine Saison beim damaligen Zweitligisten Eintracht Frankfurt gespielt. Was für Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Rossi: Ich habe mir am Ende dieser Saison eine kleine Verletzung zugezogen, habe aber gute Erinnerungen an diese Zeit. Wir hatten eine wirklich gute Mannschaft und einen sehr sympathischen Trainer in Dragoslav Stepanovic, nur leider nicht den gewünschten Erfolg. Ich hätte damals einen Dreijahresvertrag in Frankfurt unterschreiben können, obwohl ich schon 32 Jahre alt war, bin dann aber nach Italien zurückgekehrt, was keine so gute Entscheidung war (lacht).
Wer wird für Sie der Star dieser EM?
Rossi: Sie spielen ja fast alle in unserer Gruppe (lacht). Man muss sich nur einmal ansehen, dass wir auf ungefähr 20 Spieler von den vier Champions-League-Halbfinalisten Real Madrid, FC Chelsea, Manchester City und Paris Saint-Germain in der Vorrunde treffen. Wir reden hier also von absoluter Spitzenklasse. Unter den Mannschaften sehe ich England, Italien, Spanien, Belgien, Deutschland, Frankreich und Portugal weit vorne.
Wann kann man von einem glücklichen Marco Rossi nach der EM sprechen?
Rossi: Um glücklich zu sein, müssen wir einige Punkte holen. Wir müssen mindestens ein Unentschieden und einen Sieg holen, dann wäre ich sogar mehr als glücklich. Das ist aber wohl nicht realistisch, sondern mehr ein Traum. Ich könnte auch glücklich sein, wenn ich von meinen Spielern die richtige Einstellung, die richtige Persönlichkeit auf dem Platz sehe, um unsere taktischen Vorgaben umzusetzen. Das könnte mich sehr glücklich machen.
ZUR PERSON: Marco Rossi (56) ist seit Juni 2018 Nationaltrainer Ungarns. Er löste den Belgier Georges Leekens ab. Zuvor betreute der Italiener Rossi mehrere Jahre Honved FC aus Budapest.
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