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„Ich verstehe nicht, wie man nicht für eine multikulturelle Gesellschaft sein kann“

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Der König der Athleten: Niklas Kaul, Modellathlet mit Hang zur Perfektion.
Der König der Athleten: Niklas Kaul, Modellathlet mit Hang zur Perfektion. © Michael Kappeler/dpa

Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul über sein Leben fern der Tartanbahn, den Vorteil einer multikulturellen Gesellschaft und Weihnachten bei der Oma in Österreich.

Herr Kaul, Sie sind Weltmeister, Sie haben den Bambi im Regal stehen und sind nun auch noch zum Sportler des Jahres gekürt worden. Ist das größte Geschenk für Sie an Weihnachten, dass der Rummel endlich vorbei ist?

Ja, irgendwo schon. Es war jetzt aber auch nicht so, dass es keinen Spaß gemacht hätte. Das waren alles tolle Veranstaltungen und Termine, die ich wahrnehmen durfte. Aber es ist natürlich schon viel. Ich freue mich auf die Ruhe. An Weihnachten werde ich das alles sacken lassen und eine Woche lang mal gar keine E-Mails beantworten, weniger trainieren, Zeit mit der Familie verbringen und mich wieder auf meine nächste Klausurphase an der Uni vorbereiten.

Haben Sie sich eigentlich eine neue Vitrine für alle Ihre Auszeichnungen zugelegt?

Dafür fehlt noch der Platz. Ich bin im September nach Mainz gezogen, ich wohne relativ nah an der Uni. Da muss ich mich noch drum kümmern.

Kaul: Weihnachten bei der Oma

Wie feiern Sie Weihnachten?

Ich verbringe Weihnachten eigentlich immer in Österreich bei meiner Oma.

Die kocht dann für Sie?

Ja, es gibt immer Gemüsemayonnaise. Das Gericht kennt meine Oma noch aus der Nachkriegszeit. Das besteht aus Spargel, Erbsen und Schinken.

Apfelmus gibt es nicht? Der ist schließlich Ihr Leibgericht während des Zehnkampfs…

…nein, nein. Ich wundere mich sowieso, warum diese Geschichte rauf und runter lief. Es ist doch eigentlich ziemlich naheliegend im Wettkampf. Apfelmus ist relativ leicht verdaulich und liefert viel Energie.

Vor der WM in Doha galten Sie als hochtalentierter Zehnkämpfer, dem die Zukunft gehören wird, und plötzlich sind Sie ein Gesicht der deutschen Leichtathletik. Wie gehen Sie mit dieser veränderten Wahrnehmung um?

Ich selbst sehe mich nicht als eines der Gesichter der deutschen Leichtathletik. Es ist immer noch so, dass ich im Training und Wettkampf das mache, was mir wahnsinnig viel Spaß macht. Dass sich das jetzt mehr Leute angucken und ich die Faszination Zehnkampf mehr rüberbringen kann, freut mich natürlich. Und wenn ich es schaffe, dass dadurch Kinder animiert werden, mit der Leichtathletik anzufangen, dann habe ich schon alles geschafft, was ich erreichen wollte.

Kaul war Anfangs Speerwerfer

Wie ist das so als Weltmeister im Alltag? Werden Sie auf der Straße erkannt oder angesprochen?

Es passiert schon ein oder zwei Mal, dass ich in Mainz und Frankfurt angesprochen und um ein Autogramm gebeten werde. Aber es hält sich alles im Rahmen. Als Fußballer wäre das sicherlich häufiger der Fall.

Sind Sie eigentlich Fußballfan?

Als Mainzer muss ich natürlich für die Nullfünfer sein. Außerdem bin ich noch ein bisschen für den BVB. Als Kind habe ich selbst aber nur sechs Monate gespielt. Ich bin eher handballaffin, habe selbst lange gespielt – und das gar nicht mal so schlecht.

Rührt daher auch Ihre Stärke bei den Wurfdisziplinen?

Sicher. In jungen Jahren lernt man schon viele variable Würfe. Der Handball hat mir für die Leichtathletik viel geholfen, ich habe beide Sportarten lange parallel ausgeübt. Gerade wenn man jung ist, ich war damals 14, 15, dann schadet es überhaupt nicht, zwei Sportarten gleichzeitig zu machen, weil die sich durchaus ergänzen können. Eine zu frühe Spezialisierung ist da gar nicht nötig.

Hätten Sie es in die HandballBundesliga schaffen können?

Ich glaube, es war besser, dass ich Leichtathletik gemacht habe. Ich hatte sicher die Grundlagen, ein sehr guter Handballer zu werden. Ich wäre aber nicht annähernd so gut geworden wie in der Leichtathletik. Es war schon die richtige Entscheidung, auch wenn es immer noch in den Fingern juckt, wenn ich in der Halle stehe.

Kaul: Es gab nie dieses eine Konzept

Sie werden ab und an in Mannheim gesichtet…

…in den vergangenen Jahren bin ich immer mehr zum Fan der Rhein-Neckar Löwen geworden. Mein Herz hängt aber auch immer noch am THW Kiel. Das war der Verein, den ich als kleiner Junge gut fand. Ich hatte ein Nikola-Karabatic-Poster im Zimmer hängen. Er war damals Führungsspieler in Kiel und einer der Großen neben Marcus Ahlm und Dominik Klein. Als Klein 2007 Weltmeister wurde, habe ich mit Freunden alle Spiele im Fernsehen gesehen.

Haben Sie denn auch Vorbilder in der Leichtathletik?

Anfangs waren das die Speerwerfer, weil ich selbst relativ früh ziemlich gut war mit dem Speer. Olympiasieger Andreas Thorkildsen habe ich zwischen 2008 und 2012 intensiv verfolgt. Dann kam die Zeit von Zehnkampf-Olympiasieger Ashton Eaton. Er war und ist mein großes Vorbild. Nicht nur sportlich, auch menschlich – ich durfte ihn mal kennenlernen.

Wann war das?

2016 nach der U18-WM. Die IAAF lud damals fünf Athleten ein, die mit ihm nach Eugene kommen und ihn begleiten durften. Das war eine Woche vor der Hallen-Weltmeisterschaft in Portland. Wir durften mit ihm trainieren, und er hat uns erzählt, wie er sich auf große Wettkämpfe vorbereitet. Wir haben auch zusammen Bowling und Lasertag gespielt. Das war alles sehr entspannt. Zuletzt traf ich ihn in Doha.

Apropos Doha. Haben Sie sich Ihren Wettkampf eigentlich nochmal angesehen?

Ja, mittlerweile schon. Die besten Versuche auf jeden Fall. Den Speerwurf und die 1500 Meter auch ein paar Mal mehr (lacht).

Keine Ausrutscher nach unten

Sehen Sie da genau was Sie richtig oder falsch machen? Oder brauchen Sie einen Trainer, der Sie analysiert?

Nein, ich sehe direkt selbst, was mir gefällt und was nicht.

Fühlen Sie das auch während des Wettkampfs?

Ja. Das mache ich auch während des Trainings schon – und zwar seit mehreren Jahren. Im Wettkampf gehe ich nur noch zum Trainer und sage: „Hier, das war mein Gefühl“ – und muss mir nur noch eine Bestätigung abholen. Beim Stabhochsprung zum Beispiel: „War zu dicht und Stab war zu weich. Okay, Stab zwei Finger höher greifen, einen Schritt zurück.“ Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich Video geschaut habe, um mich und andere zu analysieren. Gerade im Speerwurf, um zu schauen, was man mal ausprobieren kann.

Ist das bei anderen Zehnkämpfern auch so?

Es gibt viele Zehnkämpfer, bei denen das so ist. Bei mir ist das vielleicht noch ein bisschen extremer, weil wir zu Hause ganz, ganz viel über Leichtathletik, den Zehnkampf und die einzelnen Disziplinen gesprochen haben. Wenn die Eltern auch die eigenen Trainer sind, dann spricht man auch in seiner freien Zeit darüber: Wie fühlt man sich im Training? Was hat gut gepasst? Was muss man technisch umstellen? Da sind wir alle irgendwie auch dran gewachsen. Es gab nie dieses eine Konzept, an dem wir uns orientiert hätten. Es war immer ein Austesten.

Niklas Kaul steht pünktlich wie verabredet inmitten des Mainzer Weihnachtsmarkts, einen Kugelstoß entfernt vom Staatstheater. Der Trubel um ihn herum stört ihn nicht. Und die Glühweinschlürfenden stören sich nicht an ihm, den 21 Jahre alten Zehnkampf-Weltmeister, der noch immer ziemlich unbehelligt durch die Welt spazieren kann. Dabei ist der Student vom USC Mainz längst aufgestiegen in den deutschen Sportolymp. 

Bei der Leichtathletik-WM in Doha krönte sich Kaul Anfang Oktober mit 8691 Punkten zum bislang jüngsten Weltmeister der Zehnkampf-Geschichte. Seither sammelt der Modellathlet (1,90 Meter groß, 90 Kilogramm schwer) Ehrungen wie andere Panini-Bildchen. Kurz vor Weihnachten wählten ihn rund 2300 Sportjournalisten zum Sportler des Jahres 2019. „Es ist der wichtigste Preis, den es für Sportler in Deutschland gibt“, sagt Kaul voller Stolz. 

In einem Bistro direkt am Mainzer Gutenbergplatz nahm sich Niklas Kaul kurz vor den Festtagen Zeit für das FR-Interview. Knapp 70 Minuten zwischen zwei Trainingseinheiten – bei einem Sandwich Pastrami und hausgemachter Zitronenlimonade. (hu)

Der 100-Meter-Lauf oder der Weitsprung zählen nicht gerade zu ihren Sahnedisziplinen. Was haben Sie sich denn auf dem Weg nach Tokio überlegt, um Ihre Schnellkraft zu verbessern?

Das ist die Lieblingsfrage von allen (lacht). Wir werden den Weg jetzt so weitergehen, wie wir ihn begonnen haben. Es wird keine Experimente geben. Das Schlimmste, was man jetzt machen könnte, wäre, in Aktionismus zu verfallen. Denn dann wäre ich in neun Monaten kaputt. Ich könnte zum Beispiel über Sprünge oder Krafttraining ganz viel rausholen. Das birgt aber das Risiko, dass dir alles auseinanderfliegen kann. Das kannst du vor Olympischen Spielen nicht gebrauchen. Also baue ich auf das vorhandene Fundament und versuche, das Bestmögliche rauszuholen. Wenn es pro Disziplin 20 Punkte mehr sind, kommen am Ende auch 200 Punkte zusammen. Drei Zentimeter höher im Hochsprung sind beispielsweise gleich 30 Punkte mehr…

…das Punktesystem im Zehnkampf erscheint einem Laien nicht immer gerecht…

…das stimmt: Ein Meter im Kugelstoßen sind 65 Punkte. Das ist nicht viel. Das ist vergleichbar mit sechs Zentimetern im Hochsprung oder drei Zehnteln über 100 Meter oder drei Metern mit dem Diskus. Es ist immer auch ein Abwägen. Verbessere ich mich im Sprint, könnte sich das unter Umständen auf meine Leistung in den Wurfdisziplinen auswirken. Ich habe in Doha einige persönliche Bestleistungen aufgestellt, im Hochsprung allerdings bin ich sieben Zentimeter drunter geblieben. Wenn ich da wieder rankäme, würde mir das schon reichen. Was auf dem Weg zu den Olympischen Spielen nicht passieren darf, sind die Ausrutscher nach unten.

Wie reagiert so ein Umfeld auf so einen Erfolg?

Sie haben in Doha das Feld von hinten aufgerollt. Nach der ersten Disziplin waren Sie 21., zur Halbzeit gerade mal 11. Kennen Sie eigentlich das Gefühl, den ersten Wettkampftag eines Zehnkampfes als Führender zu beenden?

Nee, ich war noch nie vorne, auch nicht im Jugend- oder Juniorenbereich.

Das macht die Sache für Sie deutlich entspannter. Sie gehen nie mit dem Druck des Ersten in den zweiten Tag…

…das macht es sowas von entspannt. Es ist psychologisch einfacher, wenn du weißt, am Ende kommen meine Disziplinen, hinten hole ich auf, anstatt nach zwei Disziplinen zu führen und es geht von da an nur noch darum, in den kommenden acht Disziplinen nicht mehr eingeholt zu werden.

Sie haben in Doha 8691 Punkte eingesammelt – persönliche Bestleistung! Haben Sie ein langfristiges Ziel, eine Punktzahl, die Sie mal erreichen wollen?

Da kann man sich viel ausrechnen, viel in den Zehnkampfrechner eingeben. Aber am Ende kann man das langfristig nicht definieren. Das geht allenfalls zu Beginn einer Saison, wenn ich weiß, in welcher Form ich bin, was realistisch sein könnte. Erst dann ist es möglich, einen Bereich zu definieren, den ich in diesem Jahr erreichen möchte. Aber selbst das ist schwierig. Du musst nur mal dumm über eine Hürde fallen… Kreuzbandriss… tschö. Dann sind die nächsten beiden Jahre auch gleich weg. Aber das ist auf der anderen Seite auch das Spannende im Sport. Es ist nichts planbar. Deshalb konzentriere ich mich nur auf den Moment, den du dann auch mehr genießt, wenn es gut gelaufen ist.

Ich kann perfekt performen, wenn ich mich ganz normal ernähre

Wie sieht es mit dem Druck vor Tokio aus? Spüren Sie ihn schon?

Ich habe nicht das Gefühl, dass da viel Druck ist. Vielleicht ändert sich das ja noch. Ich habe das bislang immer ganz gut hingekriegt, weil ich immer nur meine eigenen Erwartungen erfüllen will. Wenn mir das gelingt, ist es mir doch total egal, was jemand von außen sagt. Solange ich glücklich bin mit dem, was ich tue, ist alles gut. Aber klar: Mein eigener Anspruch ist nicht gerade niedrig und einfach zu erfüllen.

Letztlich werden Sie vermutlich erst während des Wettkampfs merken, was diese äußeren Einflüsse mit Ihnen machen?

Es ist auch immer die Frage, wie reagiert so ein Umfeld auf so einen Erfolg? Da hat sich bei mir in der Trainingsgruppe oder bei meinen Eltern nichts geändert. Genau so muss es sein. Das ganze Drumherum kann man mitnehmen, da macht man, worauf man Lust hat. Aber Zuhause darf sich nichts ändern.

Wie sieht Ihr Wettkampfplan bis zu den Olympischen Spielen aus?

Ich muss mich ja erstmal qualifizieren. Die Norm liegt bei 8350 Punkte. Mein erster großer Wettkampf wird Ende Mai in Götzis sein. Danach weiß man, ob es reicht oder ob ich noch mal in Ratingen antreten muss. Davor aber geht’s ins Trainingslager: Wir sind erst in Südafrika, ein zweites Trainingslager wird es dann in Belek geben.

Es ist viel auf Sie eingestürzt seit ihrem WM-Sieg. Gab es in den zwei Monaten neben den sicher vielen tollen Nachrichten auch unseriöse Angebote?

Nein, das nicht. Klar gibt es Leute, die jetzt an einen herantreten. Da muss ich natürlich schon herausfiltern, worauf ich Lust habe und für was ich stehe. Ich werde beispielsweise nicht für irgendeinen Hersteller Nahrungsergänzungsmitteln Werbung machen, weil ich da nicht dahinter stehe. Ich nehme diese Produkte nicht zu mir, denn ich weiß, dass ich perfekt performen kann, wenn ich mich ganz normal ernähre.

Du musst schon Usain Bolt heißen, um reich zu werden

Bislang haben Ihre Eltern und Sie alles selbst gemanagt. Wird sich das ändern?

Ich werde im neuen Jahr einige Dinge an ein Management abgeben. Nach Doha gab es viele Anfragen von Beratern und Managern. Ich habe damals ganz bewusst alles von mir ferngehalten. Ich habe mir die Zeit genommen, die Leute richtig kennenzulernen, um entscheiden zu können, ob es passt oder nicht.

Was war eigentlich schwerer: Den WM-Zehnkampf zu gewinnen oder die Abschlussklausur in Physik zu bestehen?

Boah (lacht). Das ist böse. Wenn ich sage, beides war eine Überraschung, ist es auch blöd (lacht). Das Problem bei der Physikklausur nach der WM war für mich, sich wieder hinzusetzen und zu lernen. Eigentlich hatte ich gar nicht den Kopf dafür. Letzten Endes habe ich aber nicht so lange für die Klausur gelernt, wie ich für den WM-Titel trainiert habe. Es war herausfordernd auf eine ganz eigene Art und Weise. Das war auch ein Grund, warum ich unbedingt studieren wollte. Von der Leichtathletik kann ich momentan schon ganz gut leben. Aber wenn diese Zeit vorbei ist, reicht es nicht, ein, zwei Mal Experte im Fernsehen zu sein. Du musst schon Usain Bolt heißen, um reich zu werden. Deswegen ist es für mich wichtig, auch an die Zeit danach zu denken. Meine Eltern haben das Training so gestaltet, dass es um das Studium herum passt. Außerdem tut es mir gut, auch ein Leben abseits des Sport zu haben. Ich spüre, dass ich diese andere Herausforderung brauche und mich mit Menschen umgebe, die nichts mit Sport zu tun haben. Für die bin ich ein ganz normaler Kommilitone. Das hilft mir auch, um nach so einem WM-Titel auf dem Boden zu bleiben.

Wie wurden Sie nach dem WM-Sieg in der Uni empfangen?

Im Physikseminar sind wir nicht so viele. Da kennt jeder jeden. Natürlich haben mir alle gratuliert, aber dann ging´s auch normal weiter. So ist es auch richtig. Ich bin ja durch zwei Tage Wettkampf kein anderer Mensch geworden.

Welchen Berufswunsch haben Sie eigentlich nach Ihrer Karriere?

Lehrer, das ist das Ziel. Stand heute.

Sind Sie ein politischer Mensch?

Durchaus. Ich habe leider nicht so viel Zeit dafür, wie ich gerne hätte. Es gibt auch ein, zwei Dinge aus dem Sozialkunde-Leistungskurs, die ich wieder vergessen habe. Aber man macht sich vor jeder Wahl schon seine Gedanken darüber, was man wählt.

Leichtathlet trifft Breitensportler: Niklas Kaul (rechts) im Gespräch mit Timur Tinç (links) und FR-Sportchef Jörg Hanau.
Leichtathlet trifft Breitensportler: Niklas Kaul (rechts) im Gespräch mit Timur Tinç (links) und FR-Sportchef Jörg Hanau. © FR

Die Zehnkämpfer sind ja eine große Familie – viele unterschiedliche Kulturen treffen bei einem Wettkampf aufeinander. Sie leben das Miteinander. Nicht nur in Deutschland hat sich das gesellschaftliche Klima verändert. Beschäftigten Sie sich damit?

Ja, natürlich. Ich finde, der Sport zeigt, wie eine Gesellschaft funktionieren kann und sollte. Unsere Trainingsgruppe besteht aus Athleten unterschiedlichster Herkunft, einem Halb-Italiener, einem Halb-Jamaikaner, einem Türken, einem Halb-Rumänen – und ich bin ein halber Österreicher. Wir verstehen uns alle gut. Jeder kriegt mal einen doofen Spruch, und dann lachen alle drüber. Ich verstehe nicht, wie man nicht für eine bunte, multikulturelle Gesellschaft sein kann. Der Grundsatz ist natürlich immer, friedlich zusammenzuleben.

Haben die Österreicher eigentlich mal angefragt, ob Sie für das Land Ihrer Mutter starten wollen?

Die Diskussion gab es tatsächlich mal kurzzeitig. Aber nicht dieses Jahr, sondern vor ein paar Jahren. Damals war ja noch nicht abzusehen, wie es läuft. Es wäre leichter gewesen, für Österreich zu starten. Auf der anderen Seite habe ich gesagt: Ich wohne hier, ich bin hier aufgewachsen, es wäre schön, wenn ich für Deutschland starten könnte. Außerdem kann ich die österreichische Hymne nicht (lacht).

Das Thema Doping ist in der Leichtathletik allgegenwärtig. Wie gehen Sie damit um?

Im Gegensatz zu den Läufern haben wir den Vorteil, dass auch die Technik ein leistungslimitierender Faktor ist. Aber es ist ganz klar, mit den entsprechenden Substanzen kannst du was erreichen, weil die Regeneration eine ganz andere ist und man viel mehr trainieren kann. Ich bin seit 1. Dezember im höchsten Testpool. Mehr als getestet werden, kann ich auch nicht. Wer mir nicht glaubt, soll sich meinen Werdegang und die Punktzahlentwicklung ansehen. Dann wird man nie irgendwo etwas finden, was große Unregelmäßigkeiten aufweist. Die einzigen Leistungssprünge hatte ich mit 16, 17 – das ist ein Alter, in dem diese Leistungssprünge auch normal sind. Auf der anderen Seite nimmt der Sport einen großen Platz in meinem Leben ein. Ich möchte mir aber danach nicht 40, 50 Jahre vorwerfen, dass ich damals betrogen habe und deswegen die Titel gewonnen habe, die ich gewonnen habe. Und man weiß ja mittlerweile auch, dass Doping gesundheitliche Schäden verursachen kann. Das wäre es mir nicht wert.

Erfolg um jeden Preis ist also keine Losung für Sie?

Auf gar keinen Fall.

Interview: Jörg Hanau und Timur Tinç

*fr.de ist Teil der bundesweiten Ippen-Digital-Zentralredaktion.

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