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Ministerium: Keine Häufung von Fehlbildungen bei Babys in NRW

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Eins von 1000 Babys hat eine Hand-Fehlbildung. So wie die drei Babys, die in Gelsenkirchen ohne Hände geboren wurden. (Symbolbild)
Eins von 1000 Babys hat eine Hand-Fehlbildung. So wie die drei Babys, die in Gelsenkirchen ohne Hände geboren wurden. (Symbolbild) © picture alliance / Uli Deck/dpa

In Gelsenkirchen kommen innerhalb kurzer Zeit drei Babys ohne Hand zur Welt, es soll weitere Fälle in ganz Deutschland geben. Mediziner rätseln über die Ursache - und fordern ein Register für Fehlbildungen.

Update, 30.09.2019: Nachdem in einer Gelsenkirchener Klinik im Sommer drei Säuglinge mit einer Hand-Fehlbildung zur Welt gekommen sind, hatte das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium die Situation aller Kliniken abgefragt. Nun liegt das Ergebnis vor: Es seien „keine offensichtlichen Trends und regionalen Häufungen erkennbar“, teilte das Ministerium mit.

Alle rund 140 Geburtskliniken in Nordrhein-Westfalen wurden nach Fehlbildungen in den Jahren 2017, 2018 und 2019 gefragt. Bei deutlich weniger als 0,1 Prozent aller Neugeborenen wurden in diesen drei Jahren nach Angaben des Ministeriums fehlgebildete Hände festgestellt. „Für die Jahre 2017, 2018, 2019 wurden mit Stand vom 27. September 2019 insgesamt 72, 64 beziehungsweise 61 Fehlbildungen der oberen Extremitäten in Nordrhein-Westfalen gemeldet“, heißt es in der Mitteilung des Gesundheitsministeriums. Bezogen auf die Anzahl der Geburten entfiel damit beispielsweise im Jahr 2017 NRW-weit eine Fehlbildung auf rund 2260 Geburten.

Die Rückmeldungen der Krankenhäuser sollen jetzt eingehend analysiert und mit Daten aus anderen Erhebungssystemen und Datensammlungen abgeglichen werden. Zu prüfen sei dabei auch, ob bei den vergleichsweise geringen Zahlen weiterführende, belastbare statistische Analysen machbar seien, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Abfragen bei Geburtskliniken gab es auch in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg. Dort gab es ebenfalls keine auffälligen Häufungen von Fehlbildungen.

Alptraum für Eltern in Gelsenkirchen: Babys ohne Hände geboren

Erstmeldung, 17.09.2019: Unmittelbar nach der Geburt eines Babys führt ein Arzt - meist noch im Kreißsaal - die allererste Untersuchung durch. Bei der so genannten „U1“ wird der allgemeine Gesundheitszustand des Babys überprüft, es wird der Sauerstoffgehalt im Blut des Babys gemessen und auch geprüft, ob alle Körperteile vorhanden sind. Die frischgebackenen Eltern wollen in dieser Situation natürlich nur eines: Hören, dass mit ihrem Baby alles in Ordnung ist und dass alle Gliedmaßen vorhanden sind. Wie groß muss der Schreck für die Eltern sein, wenn sie nach den Strapazen der Geburt hören, dass dem Baby eine Hand fehlt oder die Hand fehlgebildet ist?

Dieser Alptraum für Eltern ist in einer Gelsenkirchener Klinik innerhalb von zwölf Wochen gleich drei Mal aufgetreten. Zwischen Juni und Anfang September 2019 sind nach Angaben des Sankt-Marien-Hospitals Buer drei Kinder mit „isolierten einseitigen Handfehlbildung“ zur Welt gekommen. Bei zwei der Neugeborenen sei die linke Hand, bei einem Baby die rechte Hand betroffen. Während der Unterarm normal sei, seien Handteller und Finger nur rudimentär angelegt, so die Klinik weiter.

Statistik: Eins von tausend Babys hat eine Handfehlbildung

Statistisch gesehen weist etwa eins von 1.000 lebend geborenen Babys eine Handveränderung auf - das reiche von einem kleinen Ausmaß bis hin zu einer schweren Fehlbildung, erklärt Wiebke Hülsemann, Chefärztin der Handchirurgie des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmstift Hamburg. Doch was ist mit der Häufung von Fehlbildungen in Gelsenkirchen? Zufall? Oder gibt es einen Grund? „Das mehrfache Auftreten jetzt mag auch eine zufällige Häufung sein. Wir finden jedoch den kurzen Zeitraum, in dem wir jetzt diese drei Fälle sehen, auffällig“, teilt das Sankt-Marien-Hospital Buer auf seiner Website mit. Fehlbildungen dieser Art habe man in der Klinik viele Jahre nicht gesehen.

Die Fälle in Gelsenkirchen hat eine Hebamme öffentlich gemacht: Sonja Liggett-Igelmund. Die Kölner Hebamme berichtete nun gegenüber dem WDR, dass sich „die ganze Zeit Eltern mit betroffenen Kindern“ bei ihr melden. Von rund dreißig Fällen aus ganz Deutschland wisse sie mittlerweile, bei den Kindern sei jeweils eine Hand nicht vollständig ausgebildet. Die Kinder sind demnach bis zu zehn Jahre alt. Den Eltern der betroffenen Kinder sei eine Erklärung wichtig, so Liggett-Igelmund. „Ursachenforschung liegt allen am Herzen“, betont sie und erklärt: „Die Eltern möchten auch wissen, dass sie nicht schuld sind.“

Babys ohne Hände geboren - Mediziner rätseln über die Ursache

Doch die Ärzte stehen vor einem Rätsel*. „In Deutschland gibt es keine Meldepflicht und kein Fehlbildungsregister. Das ist aber Voraussetzung für einen Vergleich, ob die Fehlbildungen eventuell durch eine Noxe (Medikamente oder Umwelteinflüsse) gehäuft neu entstanden sind“, so Chefärztin Hülsemann. Auch der Bundessprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Hermann Josef Kahl, befürwortet ein Register. „Das würde uns auf jeden Fall weiterhelfen“, so Kahl.

Die Ursachenforschung hat bereits begonnen: Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium fragt derzeit bei allen Geburtskliniken des Bundeslandes nach Fehlbildungen bei Säuglingen und hofft Ende kommender Woche auf Ergebnisse. „Anschließend werden wir die wissenschaftliche Expertise suchen, um eine Ersteinschätzung zu erhalten, ob die erhobenen Zahlen auffällig sind“, erklärte eine Ministeriumssprecherin gegenüber dpa. Das Bundesgesundheitsministerium äußerte sich auf dpa-Anfrage nicht konkret zu einem Register für Fehlbildungen bei Neugeborenen. „Bevor wir jetzt über Ursachen und Konsequenzen spekulieren, warten wir die Untersuchungsergebnisse ab. Wo wir können, werden wir die Aufklärungsarbeiten unterstützen“, sagte ein Ministeriumssprecher.

Fehlbildungen bei Babys - in Frankreich bereits länger ein Thema

Während die Debatte um Fehlbildungen bei Babys in Deutschland langsam an Fahrt aufnimmt, ist sie in Frankreich bereits in vollem Gange. Dort hatten sich Fälle von Fehlbildungen bei Babys in einigen Regionen gehäuft. Die Kinder leiden an einer Deformation von Gliedmaßen. In Frankreich ist das Phänomen unter dem Schlagwort „Babys ohne Arme“ bekannt. Besonders im Département Ain im Osten des Landes, im Département Loire-Atlantique im Westen und in Morbihan in der Bretagne kommen seit mehreren Jahren besonders viele Babys ohne Arme zur Welt.

Obwohl eine Untersuchungskommission seit vergangenem Herbst insgesamt 143 Berichte von Menschen mit Fehlbildungen analysiert hat, konnten die Experten bisher keine Ursache finden. (mit dpa)

*fr.de ist Teil der bundesweiten Ippen-Digital-Zentralredaktion.

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