Der nicht-invasive Pränataltest (NIPT) wird seit 2012 angeboten. Dabei wird der Schwangeren eine Blutprobe aus der Armvene entnommen und im Labor untersucht. Im Blut findet man DNA-Fragmente des Fötus, die herausgefiltert und analysiert werden. Gesucht wird nach den häufigsten Chromosomen-Abweichungen Trisomie 21 (Down-Syndrom), Trisomie 13 und Trisomie 18, die mit sehr hoher Sicherheit festzustellen sind.
In Deutschland gibt es mittlerweile mehrere Anbieter solcher Bluttests. Die Erkennungsrate für Trisomie 21 liegt bei diesen Tests bei mehr als 99 Prozent, die falsch positiven Befunde liegen im Bereich von 0,1 bis 0,2 Prozent. Für Trisomie 18 (Erkennungsrate von 98 bis 100 Prozent) und Trisomie 13 (Erkennungsrate von 80 bis mehr als 99 Prozent) gibt es ähnliche Werte.
Zwischen der zehnten und 20. Schwangerschaftswoche ist der Anteil der DNA des Babys im Blut der Mutter besonders hoch. Ist der Befund auffällig, muss eine Fruchtwasseruntersuchung zur Bestätigung des Befunds durchgeführt werden. Der Bluttest kann die invasive Diagnostik also nicht komplett ersetzen.
Die Kosten für den Bluttest auf Trisomien wie das Down-Syndrom betragen derzeit etwa 130 bis 430 Euro, einige private Krankenkassen übernehmen die Kosten für den Test bereits. 2014 kostete ein Bluttest noch zwischen 485 und 925 Euro. Das Unternehmen LifeCodexx, das mit „PraenaTest“ den ersten nicht-invasiven Bluttest auf den Markt brachte, hat nach eigenen Angaben inzwischen mehr als 150.000 Tests verkauft.
Entscheidet sich der Gemeinsame Bundesausschuss so, wie vorab durchgesickert ist, müssten künftig weniger Frauen den Test bezahlen. Gleichzeitig würde jedoch verhindert, dass der Test in der Schwangerschaft zum Standard wird, weil er jeder Frau kostenlos zur Verfügung steht.
Der pränatale nicht-invasive Bluttest auf Trisomien ist schon alleine aus ethischen Gründen umstritten*. Kritiker befürchten, dass die Bluttests, die einfach zu handhaben und ohne Risiko für Mutter und Baby sind, zu einem Automatismus bei der Schwangerschaftsvorsorge führen. Werdende Mütter würden quasi dazu gedrängt, den kostenfreien Test durchführen zu lassen. Der Druck auf eine Frau, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, steige noch mehr. Es wird befürchtet, dass Babys, bei denen vor der Geburt beispielsweise Trisomie 21 diagnostiziert wird, „aussortiert“ werden.
Seit Monaten demonstrieren immer wieder Menschen mit Trisomie 21 und deren Angehörige unter dem Motto „Inklusion statt Selektion“. Sie befürchten, dass durch einen Bluttest, den die Krankenkassen bezahlen, Kinder mit Trisomie 21 vermehrt abgetrieben werden. In Island, wo der Bluttest weit verbreitet ist, kommen beispielsweise kaum noch Kinder mit Down-Syndrom zur Welt.
Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) fordert, die Entscheidung des G-BA auszusetzen, bis eine gesellschaftliche Debatte geführt wurde.
Die Befürworter der nicht-invasiven Bluttests verweisen genau darauf: Der Bluttest ist nicht-invasiv und dadurch wesentlich risikoärmer für das Baby als beispielsweise die Fruchtwasseruntersuchung, die immer auch mit dem Risiko einer Fehlgeburt einhergeht. Ein weiteres Argument für die Bluttests ist, dass so die am häufigsten auftretenden Auffälligkeiten bei Chromosomen - Trisomie 13, 18 und 21 - festgestellt oder ausgeschlossen werden können. Außerdem führen die Befürworter ins Feld, dass der Bluttest bei einer Kassenzulassung auch Menschen zur Verfügung stünde, die ihn sich sonst nicht leisten könnten.
Wenn es um Leben - ob geboren oder ungeboren - geht, reden in Deutschland immer auch die Kirchen mit. Die katholische Kirche lehnt die Kassenzulassung der pränatalen Bluttests ab. Alle empirischen Forschungen zeigten, „dass der Praena-Test als reines Selektionsinstrument wirkt“, schrieb der für bioethische Fragen zuständige Bischof Gebhard Fürst bereits 2016 an den G-BA. Die evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich dagegen für die Kassenzulassung des Bluttests ausgesprochen - bei Risikoschwangerschaften und nach einer psychosozialen und ethischen Beratung der Schwangeren.
Bei Menschen mit Trisomie 21 ist das Chromosom 21 dreifach (statt zweifach) vorhanden. Die Verdreifachung des Chromosoms geschieht bei der Zellteilung. Mit zunehmendem Alter der Mutter steigt das Risiko von Trisomie 21 (Down-Syndrom) beim Kind. Es gibt verschiedene Formen der Trisomie 21. Bei den meisten Menschen führt das dreifach vorhandene Syndrom unter anderem zu einer geistigen Behinderung unterschiedlich starker Ausprägung. Mehr als die Hälfte der Menschen mit Down-Syndrom ist schwerhörig, viele haben eine Sehstörung. War die Lebenserwartung mit Down-Syndrom in den 1930er Jahren gering, ist sie mittlerweile auf 60 Jahre und mehr gestiegen.
Eine Trisomie 21 tritt bei etwa 24 von 10.000 Schwangerschaften auf. Mit dem Alter der Schwangeren steigt auch das Risiko: Mit 25 Jahren beträgt die Wahrscheinlichkeit 1:1000, mit 40 Jahren dagegen 1:100. In Deutschland leben 30.000 bis 50.000 Menschen mit Down-Syndrom.
Bei Trisomie 13 ist das Chromosom 13 dreifach vorhanden. Das so genannte Pätau-Syndrom geht mit einer überdurchschnittlich hohen Kindersterblichkeit und vielen Fehl- und Totgeburten einher. Trisomie 13 ist die dritthäufigste Trisomie nach dem Down-Syndrom und Trisomie 18. Viele betroffene Kinder sterben noch vor der Geburt. Die meisten Kinder, die lebend zur Welt kommen, sterben in den ersten zwölf Monaten nach der Geburt. Zu den häufigsten Todesursachen zählen Atemstillstand, Lungenentzündungen, Herzversagen und Kreislaufversagen. Trisomie 13 tritt bei etwa einem von 15.000 bis einem von 4.000 Kindern auf.
Bei Trisomie 18 liegt das 18. Chromosom dreifach vor. Das so genannte Edwards-Syndrom führt zu einer überdurchschnittlich hohen Sterblichkeit der Babys während der Schwangerschaft oder nach der Geburt. Die Hälfte der Neugeborenen stirbt innerhalb von etwa sechs Tagen.
Der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken betonte im Vorfeld immer wieder, dass sein Ausschuss nur den Auftrag habe, wissenschaftlich-technisch zu prüfen, ob mit den Bluttests bestimmte Gendefekte zuverlässig erkannt werden können. Ethische Debatten* forderte Hecken von der Politik - die im April 2019 im Bundestag darüber diskutierte, aber keine Beschlüsse verabschiedete. Eine Mehrheit der Politiker sprach sich damals allerdings dafür aus, dass der Bluttest als Kassenleistung zugelassen wird.
Die Sozialwissenschaftlerin und freie Journalistin Kirsten Achtelik fordert bei fr.de*, dass der Gesetzgeber nicht nur die Entscheidungskompetenzen des G-BA überprüfen sollte, sondern auch andere gesellschaftliche Bedingungen schaffen müsse: Eine Gesellschaft, in der Menschen mit Behinderung gut leben können und Schwangere nicht wissen, warum sie vor einem Kind mit Behinderung Angst haben sollten.
*fr.de ist Teil der bundesweiten Ippen-Digital-Zentralredaktion.