Die größte Menge Mikroplastik im Schnee fanden die Wissenschaftler in Proben an einer Landstraße in Bayern. Dort lag die Konzentration bei schier unglaublich klingenden 154.000 Partikeln pro Liter. Aber selbst der Schnee in der Arktis enthielt noch bis zu 14.400 Plastikpartikel pro Liter.
Je nach Standort fanden sich in den Schneeflocken ganz unterschiedliche Kunststoffe: In der Arktis waren es vor allem Nitrilkautschuk, Acrylate und Lackteilchen. Nitrilkautschuk etwa ist besonders beständig gegenüber vielen Kraftstoffen und großen Temperaturspannen. Die Industrie verarbeitet dieses Material deshalb häufig in Dichtungen und Schläuchen. Kunststoffhaltige Lacke werden vielseitig angewendet, zum Beispiel als letzte Schichte auf Oberflächen von Gebäuden, Schiffen, Autos und Offshore-Anlagen.
Die Probe mit den Rekordwerten aus Bayern enthielt vor allem verschiedene Arten von Kautschuk. Dieses Material wird vielfach eingesetzt, etwa in Autoreifen. Auffällig an der Studie des Alfred-Wegener-Instituts ist auch, dass die gefundenen Konzentrationen an Mikroplastik wesentlich höher ausfallen als zum Beispiel die Werte von Staubablagerungen, die früher untersucht wurden.
Das könnte zwei Gründe haben, sagt Gunnar Gerdts: „Zum einen wäscht der Schnee das Mikroplastik offensichtlich besonders effizient aus der Atmosphäre aus. Zum anderen liegt das vermutlich an der von uns verwendeten Infrarotspektroskopie, mit wir selbst kleinste Partikel nachweisen können.“ So fanden die Wissenschaftler mit diesem Verfahren sogar winzigsten Teilchen von nur elf Mikrometern Größe. Für ihre Analyse schmolzen die Forscher den Schnee und gossen das Schmelzwasser durch einen Filter. Den Rückstand bestrahlten sie dann im Infrarotmikroskop mit Infrarotlicht. Je nach Plastikart werden unterschiedliche Wellenlängen absorbiert und reflektiert, so dass sich am „optischen Fingerabdruck“ nachweisen lässt, um welches Material es sich handelt.
Mit diesem Verfahren sei es möglich, den gesamten Filterückstand zu untersuchen und dabei kaum ein Krümelchen zu übersehen, erklärt Gerdt. „Dieser zusätzliche Transportweg kann auch die hohen Mengen von Mikroplastik erklären, die wir in früheren Studien im arktischen Meereis und der Tiefsee gefunden haben“, sagt Melanie Bergmann.
Man weiß nun also, dass Mikroplastik im Wasser schwimmt und im Schnee enthalten ist. Meeresbewohner nehmen die Teilchen auf und wohl auch Landtiere – wenn sie Schnee lecken oder Insekten fressen, die das Mikroplastik geschluckt haben, während sie sich als Larven im Wasser befanden.
Über Tiere, die von Menschen gegessen werden*, gelangt Mikroplastik auch in unsere Nahrungskette. Mit der neuen Erkenntnis, dass die Partikel über die Luft transportiert* werden, stellt sich zudem die Frage, ob Menschen auch Plastik einatmen. Unklar ist ebenso, wie viel Mikroplastik in die Böden und das Trinkwasser gelangt, wenn belasteter Schnee taut. Vermutlich hänge das von der Beschaffenheit des Bodens ab, sagt Gerdts. Untersuchungen von Brunnenwaser hätten keine Hinweise auf Mikroplastik geliefert. Das lasse hoffen, dass die Partikel im Grundwasser nicht ankämen.
Bislang existieren auch kaum Studien, die Mikroplastik im menschlichen Körper untersuchen, sagt Melanie Bergmann. Ältere Ergebnisse aus der medizinischen Forschung lieferten allerdings bereits Anhaltspunkte für die Vermutung, dass Menschen durch Mikroplastik belastet werden. Laut einer noch nicht veröffentlichten Studie aus Österreich sollen die Partikel im menschlichen Kot nachgewiesen worden sein. Was genau die Plastikteilchen vorher im Körper tun, ob sich ein Teil ablagert und Schaden anrichtet – das alles, sagt Gunnar Gerdts, müsse erst noch erforscht werden.
Von Pamela Dörhöfer
Kunststoffpartikel, die kleiner als fünf Millimeter, fest und unlöslich sind, werden als Mikroplastik bezeichnet.
Sie entstehen entweder durch das Verwittern größerer Teile (das nennt man sekundäres Mikroplastik) oder werden bereits in Partikelform produziert (primäres Mikroplastik). Vor allem in vielen Kosmetik- und Körperpflegeprodukten und in Reinigungsmitteln ist primäres Mikroplastik enthalten, in großer Menge etwa in Peelings und Duschgels mit Massageperlen*. Mikroplastik kann sich aber unter anderem auch beim Abrieb von Autoreifen* bilden oder wenn synthetische Fasern aus Kleidung beim Waschen ins Abwasser gelangen.
Mit den Abwässern aus den Haushalten schwimmen die Kunststoffe in die Kläranlagen. Dort können die winzigen Partikel nicht vollständig herausgefiltert werden. Was im Wasser bleibt, fließt mit ihm in Meere und Flüsse. Hinzu kommt nach den neuen Erkenntnissen noch die Belastung von oben, über die Atmosphäre. Im Wasser nehmen die Teilchen Umweltgifte auf. Die Schadstoffkonzentration in Mikroplastik ist oft vielfach höher als im Wasser.
Jährlich gelangen allein in Deutschland aus Kosmetik, Wasch- und Putzmitteln 977 Tonnen Mikroplastik ins Abwasser, wie eine Studie des NABU ergab.
Im Meer lagern sich die Partikel in den Sedimenten ab. Außerdem werden sie Teil der Nahrungskette. Kleinstorganismen wie Plankton nehmen sie samt den enthaltenen Schadstoffen auf und geben sie an größere Tiere weiter, wenn sie von diesen gefressen werden. Mikroplastik wurde unter anderem bereits in See-hunden, Vögeln und Muscheln nach-gewiesen. Ein Viertel der Fische, die für eine Studie in Kalifornien und Indonesien untersucht wurden, hatten Kunststoff und Textilfasern in ihren Eingeweiden.
Im Körper der Tiere können sie toxische Reaktionen, Entzündungen und innere Verletzungen auslösen. Ein Teil wird vermutlich wieder ausgeschieden.
Jeder Mensch nimmt laut einer Studie der Umweltorganisation WWF durchschnittlich bis zu fünf Gramm Mikroplastik pro Woche auf – zum Beispiel über den Verzehr von Meeresfischen. Das entspricht etwa dem Gewicht einer Kreditkarte.
Umweltorganisationen wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) setzen sich für ein Verbot von Mikroplastik und anderen Kunststoffformen in Kosmetikartikeln ein. (pam)
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