FAZ-Jubiläum: Die FAZ bewegt sich mit der Einladung von Alexander Gauland ganz weit nach rechts. Ein Kommentar.
Oha, eine Steilvorlage. Natürlich sagt kaum ein AfD-Politiker offen, er sei völkisch. Aber die Gleichsetzung von Volk und Nation, das Kerngeschäft der AfD, ist Basis des Völkischen – wobei zum Volk natürlich nur gehört, wer sich in der achten Generation als deutsch behaupten darf.
Tina Hassel ging nicht darauf ein, ließ Gauland hingegen erneut seinen „Vogelschiss“ ins rechte Licht rücken und Björn Höcke zum Missinterpretierten verklären. Stichwort war unter anderem „Bevölkerungsaustausch“. Es sei nicht alles, was „Herr Höcke sagt“ auch seine Meinung, so Gauland, der 2018 in Frankfurt-Oberrad* zu Wahlkampfzwecken den „Bevölkerungsaustausch solchen Ausmaßes“ als „irreversibel“ bezeichnet hatte. Und dort sicherlich nicht zum ersten und letzten Mal. Hätte man anmerken können, stattdessen: „Gut, dann kommen wir zu…“
Ist das das berüchtigte Entlarven, Stellen, Nachhaken? Gauland dürften die Knie geschlottert haben. Der äußerte dann weiter, dass der Verfassungsschutz missbraucht werde, „um uns aus der politischen Diskussion auszuschließen“, Bezug nehmend auf die Tatsache, dass immer mehr Verbände im Visier des selbigen stehen. Auf die Frage, wer denn missbrauche, konnte Gauland zwar keine Antwort geben, aber schließen: „Ich akzeptiere den Verfassungsschutz nicht als unabhängige Behörde.“ Und Hassel: „Das haben wir jetzt verstanden. Kommen wir zu Sachthemen.“
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Hier arbeitete Gauland die ihm gestellten Fragen nach dem üblichen Schema ab. So sei die AfD in Punkto Energie „grundsätzlich“ gegen Subventionen, Bahnfahrten müssten „grundsätzlich“ billiger sein als Flüge, und sowieso sei man sehr skeptisch, „ob in der Klimafrage überhaupt etwas zu machen ist“. „Genau, deshalb habe ich diese Diskussion jetzt gar nicht angesprochen.“ Aber warum nicht? Die AfD leugnet explizit den von Menschen gemachten Klimawandel. Da gilt es doch bei einem der Hauptprotagonisten nachzuhaken.
Was er gegen rechte Gewalt zu tun gedenke, fragte Tina Hassel schließlich im Namen einer Zuschauerin. Er, Gauland, könne gar nichts gegen rechte Gewalt tun, er übe keine aus, sowieso sei die AfD eine rechtsstaatliche Partei. Dass rechte Straftaten gegen nicht ins AfD-Raster passende Menschen, insbesondere gegen Flüchtlinge, eine Folge von Hetze und Ausgrenzung sind, wie sie die AfD und auch Gauland betreiben, geschenkt. Beziehungsweise eigentlich nicht, denn auch hier hätte nachgefragt werden müssen. Stattdessen bleibt „wir sind rechtsstaatlich“ haften, ok, weiter im Text.
„Identitäre Bewegung“, wie das denn sei mit der Unvereinbarkeit? „Ihre Positionen sind mit den Unseren unvereinbar“, ansonsten kenne er keine „Identitären“. Die teilweise personellen und logistischen Überschneidungen zwischen „Identitären“ und der AfD sind vielfach nachgewiesen, ebenso ist gerade die von Gauland selbst verbreitete Verschwörungstheorie der angeblichen „Umvolkung“ Kern des „identitären“ Ethnopluralismus.
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Wieso darf Gauland gänzlich ohne Widerspruch solche Behauptungen verbreiten? Dass er schließlich Andreas Kalbitz noch widerspruchslos zum „bürgerlichen Menschen“ quasselte, ist nur noch eine Randnotiz.
„Kann ich Ihnen nicht sagen“, „Ich weiß es nicht“, „habe ich kein Meinung zu“ – auffallend häufig (die „Zeit“ zählt 17 Mal) offenbarte der AfD-Chef seine Ahnungslosigkeit ungehemmt dem Zuschauer. Das dürfte nicht reichen, um ihn und seine Partei zu „entzaubern“, wie es so gerne als Rechtfertigung für den Talk mit den Rechten vorgebracht wird. Die Botschaften kamen nämlich trotzdem an.
Gauland generierte sich als verständiger Gesprächspartner, der sämtlichen Rechtsextremismus*, der de facto in Verbindung mit der AfD steht und zu ihr gehört, reinwaschen durfte. Womöglich hatte sich Tina Hassel an die Formatvorgaben zu halten. Umso mehr stellt sich die Frage, was ein 19-minütiges Speeddating mit Alexander Gauland sonntags zur besten Sendezeit bringen soll, wenn auf offensichtliche Widersprüche nicht eingegangen wird. Entsprechend war es genau die Bühne, die Rechtsextreme für ihre Propaganda brauchen.
„Ich glaube, wir können gegen die Rechte reden, wir können auch über sie reden, das halte ich für die reflektierteste Form, … ansonsten sehe ich in unseren heutigen Diskursformen ein absolutes Systemversagen“, formuliert Philipp Ruch vom „Zentrum für politische Schönheit“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Das ARD-Sommerinterview, Das Erste, Sonntag, 14. September, 18.30 Uhr. Infos im Netz.
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