1. Startseite
  2. TV

Corona-Talk bei Anne Will: Forscherin übt starke Kritik an Lockerungen

KommentareDrucken

Lockerungen, Altenheime und Bundesliga: Corona-Themen, die Potenzial für Zündstoff haben. Beim ARD-Talk mit „Anne Will“ suchte man hitzige Wortgefechte vergebens.

„Deutschland macht sich locker“ – ist die Devise im Mai 2020, im Zuge der vermeintlich auslaufenden Phase von Corona. Diesen Titel trägt auch die jüngste Ausgabe der TV-Polit-Talkshow „Anne Will“ (ARD). Zu Gast sind mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) und FDP-Vize Wolfgang Kubicki zwei ranghohe Politiker, die Runde wird erweitert von einer Wissenschaftlerin, der Vorsitzenden eines Bundesärzteverbandes sowie einem Theologen/Soziologen.

Worum es geht: Wie weit können Lockerungen gehen, wenn das Coronavirus weiter da ist*? Schließlich haben weite Teile der Bevölkerung den Faden verloren, in welchem Bundesland wie die Maßnahmen gelockert wurden. Sogar Urlaubspläne an Pfingsten sind gar nicht mehr verpönt.

„Anne Will“ (ARD): Malu Dreyer schlägt warnende Töne an

Kanzlerin Angela Merkel mahnt bei den Lockerungen in der Corona-Pandemie zur Vorsicht und mimte zuletzt ein wenig die Spielverderberin. „Wir haben mit Umsicht gelockert“, beteuert dagegen Malu Dreyer (SPD) zu Beginn und appelliert an das Volk, dass es nur gemeinsam geht. Dann sorgt sie für fragende Blicke in der ARD: „Wir haben auch ein bisschen den Kopf wieder auf die Füße gestellt“, erläutert die Sozialdemokratin.

Bei der studierten Physikerin Viola Priesemann erinnert nicht nur ihr beruflicher Werdegang an die wohl mächtigste Frau der Welt: Auch optisch sieht sie ein bisschen aus wie die junge Angela Merkel. In ihrer Sichtweise schlägt sie Töne an, wie man sie zuletzt ebenfalls der Bundeskanzlerin entnommen hat: zur Vorsicht mahnend und nicht zufrieden mit den Alleingängen der Bundesländer. Sie sieht zwei Zutaten für eine erfolgreiche Bewältigung der Corona-Krise:

Talkshow im Ersten (ARD): Anne Will und Gäste diskutieren über Lockerung der Corona-Maßnahmen

Politiker und Jurist Wolfgang Kubicki tummelt sich öfter in TV-Politik-Talks: Wie ist seine Meinung zu Lockerungen und Infektionsgefahr? Er erwähnt das Thema Grundrechte und vertraut der Bevölkerung bei der Einhaltung der Kontaktbegrenzung: „Wenn man daran zweifeln würde, dürfte man Menschen auch nicht mehr wählen lassen.“ Der FDP-Vize nennt ein Beispiel vom Timmendorfer Strand, wo er festgestellt habe, dass jeder den Abstand einhält: "Sonne, Luft und Bewegung ist ja auch gut für das Immunsystem“, resümiert er schmunzelnd und trägt dazu bei, dass manchem TV-Zuschauer einfällt, sich langsam an die Urlaubsplanung zu begeben.

Allerdings ist es vorbei mit dem sonnigen Flair, als es um flächendeckende Tests in Alten- und Pflegeheimen geht: Hier gibt er der Bundesregierung eine mit, welche seiner Meinung nach „acht Wochen nicht in die Puschen gekommen sei“...

TV-Talk bei „Anne Will“ (ARD): „Warum eins verbieten, weil das andere nicht möglich ist“?

Die TV-Debatte kommt schwer in Gang, weil sie öfter ins Detail (z.B. Infiziertenraten) abdriftet – und sich ein bisschen im Kreis dreht. Wenn die Mehrheit der Deutschen darauf wartet, alle Corona-Fesseln abzulegen, wer möchte sich da schon mit trockenen Berechnungen aufhalten?

Beim TV-Talk mit Anne Will in der ARD diskutieren die Gäste über die Corona-Lockerungen.
Beim TV-Talk mit Anne Will in der ARD diskutieren die Gäste über die Corona-Lockerungen. © Screenshot: ARD-Mediathek

So bekommen wir bei „Anne Will“ (ARD) einen Talk mit zuweilen wenig greifbarem Inhalt zu sehen. Physikerin und Krankheitsforscherin Priesemann findet die aktuellen Lockerungen voreilig und befürchtet, dass die absolute Zahl der Infektionen wieder in die Höhe schnellt.

Bundesliga nimmt Spielbetrieb wieder auf: Der Talk bei Anne Will (ARD)

Mehr Leben bekommt der Polit-Talk, als es um die Wiederaufnahme des Bundesliga-Spielbetriebs geht. Der leidenschaftliche Fußballfan Kubicki sagt zur Ungleichbehandlung zwischen Kitas/Altenheime vs. Fußball: "Warum soll man das eine verbieten, nur weil das andere nicht möglich ist?"

Theologe Peter Dabrock, ebenfalls Fußballfan, hält das grüne Licht für die DFL "verheerend": "Wenn man sieht, dass jemand bevorzugt wird, bröckelt es gesellschaftlich". Malu Dreyer beschwichtigt, dass es nur funktioniert, weil auch in anderen Bereichen Lockerungen eingetreten seien.

Die zugeschaltete “Jung-Merkel“ Priesemann hält den Zeigefinger weiter hoch und wirft Worst-Case-Szenarien in die Runde. Die sind insgesamt jedoch etwas unpräzise und als der Talk ein bisschen einzuschlafen droht, klammert sich Anne Will nochmal an den Strohhalm Fußball: "Bums, die ganze Mannschaft in Quarantäne schicken?", sorgt die ARD-Gastgeberin für einen Paukenschlag.

„Anne Will“ im Ersten (ARD): Kein Popcorn-Faktor, aber wichtiger Appell

Eine richtige Antwort gibt es hierzu nicht und Malu Dreyer klärt noch zu den aktuellen Teststrategien der Bundesregierung auf: "Wir haben einen ausgeklüngelten Test", sagt die SPD-Politikerin und meint wohl ausgeklügelt. Ein weiterer Freudscher Versprecher der Pfälzerin, der zumindest für Belustigung sorgt. Am Ende geht es um Altenheimbesuche und dass es für Senioren „wie Einzelhaft“ sei, sieben Wochen eingesperrt zu sein (Kubicki).

Eine sinnvolle Forderung bringt am Ende Dabrock hervor: Pflegepersonal nach der Corona-Krise nicht nur zu beklatschen, sondern „dass sich dann auch was an den Arbeitsbedingungen ändert“. Einig ist sich die Runde, dass der Staat dafür zu sorgen hat, dass flächendeckend Tests finanziert werden können - und nicht nur reiche Menschen sich einen leisten. Klar, dass hier niemand zu widersprechen wagt und das „Zoff-o-meter“ dieses „Anne Will“-Talks insgesamt im Minusbereich liegt. Der sachlich geführte TV-Talk hat zwar keinen Popcorn-Faktor - zeigt jedoch, dass ein Konzept für flächendeckende Corona-Tests in Deutschland längst noch nicht ausgereift zu sein scheint.

Von Patrick Freiwah 

Alle aktuellen Entwicklungen zur Corona-Krise in Deutschland lesen Sie auch in unserem News-Ticker.

Die wirtschaftliche Zukunft nach der Corona-Krise könnte verheerend sein. TV-Investor Frank Thelen fordert bei Markus Lanz (ZDF) von Politik und Wirtschaft mehr Mut zur Innovation.

*fr.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks. 

Auch interessant

Kommentare