Wer sich auf das vielschichtige Spiel einlässt, wird mit fantastischen Schauspielerleistungen, spektakulären Bildern (mit 100 Millionen Dollar ist die erste Staffel ebenso wie die sechste Staffel von „Game of Thrones“ eine der teuersten TV-Produktionen aller Zeiten) und konsequenter Hochspannung belohnt. Denn obwohl der Zuschauer hinter die Kulissen blicken darf, muss auch er die Geheimnisse von „Westworld“ und seiner Strippenzieher nach und nach entschlüsseln. Und immer, wenn er sich auf der sicheren Seite glaubt, lässt ein überraschender Plot-Twist seine Theorie wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Denn hier ist nichts so wie es scheint.
Paradoxerweise scheinen die künstlichen Menschen in „Westworld“ menschlicher als die aus Fleisch und Blut. Sie sind es, mit denen wir uns identifizieren, wenn wir schließlich erkennen, dass auch wir eigentlich nur „programmierten“ Mustern folgen, die unserer täglichen Routine ihre Struktur verleihen. Und wie schwer es ist, aus diesen Mustern auszubrechen und ein wahrhaft freier Mensch zu werden. Das macht die eigentliche Faszination von „Westworld“ aus.
Die erste Staffel von „Westworld“ lief ab Februar in der deutschen Synchron-Fassung jeweils als Doppelfolge auf Sky Atlantic HD. Die erste Staffel wird ab dem 25. Dezember wiederholt.
Diese TV-Kritik schrieb Haakon Nogge.
Der Göttinger Bernd Flessner (60) ist Autor (u. a. Science Fiction), Medienwissenschaftler und Zukunftsforscher. Wir sprachen mit ihm über Künstliche Intelligenz (KI).
Herr Dr. Flessner, was ist das Besondere an „Westworld“?
Dr. Bernd Flessner: Es ist die Interaktion zwischen Menschen und Robotern – und dass die Menschen völlig enthemmt mit diesen Robotern umgehen.
Das Thema „Mensch erschafft Maschine, die ihr eigener Herr wird“ ist ja uralt. Was ist die Faszination?
Dr. Flessner: Schon der griechische Philosoph Aristoteles hat im 4. Jahrhundert vor Christus vorgeschlagen, die Sklaverei durch Maschinensklaverei zu ersetzen, um von allen moralischen Verfehlungen frei sein zu können. Die Faszination des Themas liegt aber auch in der Erhabenheit.
Wie meinen Sie das?
Dr. Flessner: Es wird suggeriert, dass der Mensch eine göttliche Schöpferkraft besitzt, die ihm eigentlich nicht gegeben ist. Dass er also Gott gleichgestellt ist.
Dennoch bleibt es immer ein Sklaven-Szenario.
Dr. Flessner: Ja. Und in Westworld kommt hinzu, dass die Maschinen im Laufe der Handlung ein Bewusstsein erlangen. Damit spielt das Thema der moralischen Verfehlung wieder eine große Rolle.
Was heißt das?
Dr. Flessner: Wenn ich bei einem Bagger gegen die Raupen trete, ist das nicht verwerflich. Wenn die Maschine aber Intelligenz bekommt, ihre Umwelt reflektiert und ein Bewusstsein entwickelt, dann ist die Distanz zwischen Mensch und Maschine aufgehoben: Darf ich den Bagger immer noch treten, auch wenn er denken und fühlen kann?
Der Mensch verliert Kontrolle über seine Schöpfung. Ist das eine Urangst unserer Spezies?
Dr. Flessner: Voll und ganz, auch aufgrund der Kulturgeschichte des Menschen. In dem Moment, wo ich einen Golem, einen Roboter oder Replikanten erschaffe, ist der befürchtete Kontrollverlust gegeben.
Zumal in „Westworld“ die Roboter nicht von uns unterscheidbar sind.
Dr. Flessner: Und da wird eine vollkommen neue Thematik eröffnet. Der Mensch hat in Westworld eine zweite Spezies geschaffen. Zu sagen: „Das sind nur Roboter, die schicken wir jetzt in den Ruhestand“, funktioniert hier nicht mehr.
Was auch das Spiel zwischen Gut und Böse intensiviert, oder?
Dr. Flessner: Richtig. Zumeist ist der Android, der Roboter, der Antagonist. In Westworld jedoch ist die Maschine nicht mehr als solche zu erkennen. Daher wird die Frage nach Gut und Böse neu verteilt.
Wie sehr beeinflusst uns künstliche Intelligenz denn schon heute?
Dr. Flessner: Früher hat ein Schachcomputer lediglich das Schachbrett analysiert und mit Tausenden abgespeicherten Spielzügen verglichen. Heute reicht es, dem Schachcomputer die Regeln des Spiels beizubringen. Den Rest erledigt er von selbst.
Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Gefahr, dass sich eine künstliche Intelligenz tatsächlich über ihren Schaffungszweck hinwegsetzt?
Dr. Flessner: Es kommt darauf an, wie viele Freiheiten wir unseren Künstlichen Intelligenzen gestatten. Wenn der Möglichkeitsraum für eine KI geschaffen wird, dann wird diese den Raum maximal ausnutzen und im Zweifel auch ein eigenes Bewusstsein entwickeln – wie eben in Westworld gezeigt wird.
Wie lange wird es dauern, bis diese Zukunft Realität wird?
Dr. Flessner: Von solchen Prognosen halte ich mich in der Regel fern. Was da alles derzeit so gesagt wird, ist teilweise spekulativ und teilweise albern. Dennoch: Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Denn wenn eine Künstliche Intelligenz Aufgaben im Bewusstseinsrahmen eines Menschen oder auch darüber lösen möchte, dann braucht sie auch die nötigen Freiheitsgrade. Die können zu einer Bewusstseinsschaffung führen und zu einem Szenario ähnlich wie in Westworld. Dass die KI also zu dem Schluss kommt: Mein Schöpfer hat mich gebaut, weil er etwas ohne mich nicht schaffen kann – von daher kann mein Schöpfer ja nicht so viel auf dem Kasten haben.
Das Interview führte Dominik Laska.