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Geschichten aus der Diabetes-Industrie

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Die Reportage beschäftigt sich mit dem heutzutage weit verbreiteten Phänomen der Übergewichtigkeit.
Die Reportage beschäftigt sich mit dem heutzutage weit verbreiteten Phänomen der Übergewichtigkeit. © Nilaya Productions

Zucker verursacht in den USA mehr Todesfälle als die Kriminalität. Eine Arte-Dokumentation über Ernährung und Profitstreben.

Zu wenig Bewegung? Na klar, wer viele Kalorien zu sich nimmt, muss sich bewegen, damit er nicht übergewichtig wird. Trotzdem sind Übergewicht, Adipositas sowie damit einhergehende Leiden wie Bluthochdruck oder Diabetes nicht einfach selbstverschuldete Folgen mangelnder Disziplin. Wenn Mediziner und Statistiker damit rechnen, dass bis 2030 die Hälfte der Weltbevölkerung übergewichtig oder fettleibig sein wird, dann ist das Problem kein individuelles mehr. Und Bewegung ist kein Allheilmittel, wenn man sich vergegenwärtigt, dass man zweieinhalb Stunden joggen müsste, um die Kalorien einer einzigen Fertigpizza zu verbrennen.

Die Situation ist viel komplizierter, ähnlich wie beim Rauchen: Über Jahrzehnte nahm die Tabakindustrie billigend in Kauf, dass sie Suchtmittel verkaufte. Und ebenfalls über Jahrzehnte konnte sie ungehindert und überall eine verlogene Werbung betreiben. Es kann sein, dass die Sache mit dem Zucker ähnlich liegt.

Ein zu hoher Zuckerkonsum ist zuerst bei den Ärmeren feststellbar

Macht Zucker süchtig? Es gibt Anhaltspunkte dafür, die Thierry Lestrade und Sylvie Gilman in ihrer Dokumentation dingfest machen können. Und es gibt eine historische Entwicklung und eine internationale Ausbreitung von Ernährungsgewohnheiten, die auf dem massenhaften Einsatz von Kohlenhydraten basieren.

Die historische Entwicklung verlief so, dass irgendwann in den 1950-er Jahren Fett als Dickmacher angeprangert wurde. Kohlenhydrate dagegen galten, warum auch immer, als gesunde Energielieferanten, die geradezu schlank machten. Die etwas Älteren erinnern sich vielleicht noch an den Slogan „Zucker zaubert“ aus der schwarzweißen Ära der Fernsehwerbung. Für die Lebensmittelindustrie ist der enorme Vorteil von Kohlenhydraten: Sie sind billiger. Das bedeutet, dass sie auf dem Markt preiswerter erscheinen als höherwertige Lebensmittel.

Daraus folgt wiederum, dass ein zu hoher Zuckerkonsum zuerst bei den Ärmeren feststellbar ist. Das hängt oft, wie der Film am Beispiel von US-amerikanischen Städten zeigt, zusätzlich auch damit zusammen, dass dort, wo die ärmeren Menschen wohnen, das Angebot an billigen, industriell verarbeiteten Lebensmitteln viel leichter erreichbar ist als frische Lebensmittel. Und stark gezuckerte Limonade ist oft teurer als Mineralwasser. 

Zucker verursacht in den USA mehr Todesfälle als die Kriminalität

„Dick, dicker, fettes Geld“, Arte, Dienstag,14. April, 20:15 Uhr

In den Vereinigten Staaten gibt es mittlerweile eine politisch und ethisch markierte Widerstandsbewegung gegen die Lebensmittelkonzerne, die die Welt der Ernährung so gestaltet haben, dass tendenziell die Hälfte der Menschen davon krank wird. Schon jetzt verursacht Zucker in den USA mehr Todesfälle als die Kriminalität.

Unverdrossen lancieren die Lebensmittelkonzerne Werbung mit falschen Informationen und irreführenden Inhalten und finanzieren Forschungsprojekte, die die Ungefährlichkeit von Zucker nachweisen; käme die Forschung zu anderen Ergebnissen, gäbe es eben kein Geld mehr. Und die American Beverage Association, ein Verband der industriellen Hersteller von aromatisiertem Zuckerwasser, ist in ihrer Perfidie der National Rifle Association, dem Verband der Feuerwaffen-Hersteller, durchaus ebenbürtig.

Bei uns ist zum Glück alles anders. Unsere Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Julia Klöckner weiß Bescheid. Sie sagt öffentlich, dass industriell hergestellte Lebensmittel viel zu viel Kohlenhydrate und gesättigte Fette enthalten und dass das sehr ungesund ist. Sie ist aber gegen Verbote und höhere Zucker-Besteuerung. Sie vertritt die Meinung, dass die Industrie alles freiwillig ändern sollte. Sie ist nicht die erste, die diese Position vertritt, aber vielleicht könnte man für diese Art von Politiker*innen-Untätigkeit das Wort „klöcknern“ einführen?

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