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Debatte um Corona-Krise: Boris Palmer klingt wie Christian Lindner

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Bei der TV-Talkshow Maybrit Illner im ZDF ging es um die Corona-Proteste. Boris Palmer kritisiert die Regierung - und zieht einen kühnen Vergleich.

Es ist der Redaktion von Maybrit Illner positiv zu bescheinigen: Sie hatte keinen Verschwörungs-Schwurbler eingeladen – anders als Sandra Maischberger am Tag zuvor. Da durfte der selbsternannte „Satiriker“ Matthias Richling dummes Zeug daherbrabbeln, ohne dass ihm die Moderatorin Einhalt geboten hätte. Vor lauter Eitelkeit taub, grätschte er permanent in die Argumente und klugen Erläuterungen der Wissenschaftsredakteurin Pia Heinemann hinein. 

Doch gab er so ein Beispiel für einen Teil der Protestler, die jetzt bei Demonstrationen ihren Unmut über die Maßnahmen der Regierung äußern – eine heterogene Menge aus Leuten, die Angst um ihre Existenz haben und Figuren, die statt eines Hirns einen Aluhut benutzen, um sich gegen vermeintliche Manipulationen zu schützen.

Maybrit Illner im ZDF: Sind das alles Verrückte?

Sind das alles Verrückte, fragte Maybrit Illner bei ihrer Sendung mit dem Thema „Pandemie und Protest – kann Corona das Land spalten?“ Gewiss nicht, schließlich sind derzeit viele verzweifelt, weil sie nicht wissen, was morgen wird. Aber die da vorne auf der Bühne stehen, „das sind echt Irre“, urteilte Nikolaus Blome, ehemals „Bild“-Vize und neuerdings Kolumnist beim Spiegel. 

Und da würde eben auch Missbrauch mit der Angst und der Not von Menschen getrieben, befand Christiane Woopen, die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates. Zu den Demonstranten gehörten viele Leute, die mit dem Begriff Veränderung ihre Probleme hätten, und die größten Sorgen mache sich „die alte Mitte“ , so Woopen.

ZDF-Talk Maybrit Illner: Boris Palmer zieht historischen Vergleich

Boris Palmer war zugeschaltet , der Tübinger Oberbürgermeister. Der Grüne hält die Maßnahmen der Regierung für falsch und befürchtet, sie mache „den gleichen Fehler wie 2015“, als man „moralisierende Alternativlosigkeit“ gepredigt habe – eine eigenwillige Sichtweise, der Michael Meyer Hermann widersprach. Der Epidemiologe betonte, Deutschland könne stolz sein auf den flachen Verlauf der Infektionskurve. 

Die nicht ausgelasteten Krankenhausbetten seien ein Indiz , dass man alles richtig gemacht habe. Dass jetzt die Proteste anwuchsen, während zugleich die Lockerungen in Kraft treten, sei ein Beispiel für das „Präventions-Paradoxon“: Wer genügend Vorsorge getroffen habe, muss sich später, wenn die erwartete schlimme Lage nicht eintritt, anhören, dass er es übertrieben habe. 

Maybrit Illner (ZDF): Schulöffnungen als großes Risiko

Meyer Herrmann verwies auf die Verantwortung der Jüngeren, die zwar selber seltener infiziert würden, aber fünf Mal so viele Kontakte hätten wie die Älteren. Deswegen er sehe er in den Schulöffnungen ein großes Risiko.

Das führte recht unmittelbar zu Fragen über Leben und Tod. Denn der Tübinger OB musste sich noch einmal seinen Satz vorhalten lassen, man rette Menschen, die womöglich in wenigen Monaten ohnehin stürben. Palmer wollte einen „dummen Satz“ auf die Bewohner von Altenheimen bezogen wissen. Der Epidemiologe hatte zur Lebensdauer andere Statistiken parat. 

Boris Palmer kritisiert bei Maybrit Illner (ZDF) die Corona-Maßnahmen

Aber Christiane Woopen erklärte die Frage der Lebensdauer generell für nicht relevant. Was zur von Wolfgang Schäuble in die Debatte geworfene Frage führte, ob das Leben das oberste Prinzip des Handelns sei. Woopen schuf Klarheit: Das Leben sei ein „fundamentales Gut“. Freiheit und Würde des Menschen aber seien „das höchste Gut“. Sie wiederholte ihren schon einmal bei Illner vorgebrachten Hinweis, dass man die alten Menschen in ihrer Selbstbestimmung achten solle.

Palmer kritisiert „mangelnde Zielgenauigkeit“ der Maßnahmen und warnte, recht ähnlich wie FDP-Chef Christian Lindner, vor den Folgen wirtschaftlicher Schäden; die würden „weltweit“ mehr Menschenleben kosten.

ZDF-Talk Maybrit Illner: Eine fast perfekte Lockerungsstrategie?

Meyer-Hermann vertrat die Linie der Vorsicht und hat eine Studie erarbeitet, der zufolge Deutschland recht nah an der idealen Lockerungsstrategie agiert. Und als Blome monierte, nicht alle Wissenschaftler würden mit einer Stimme sprechen, konnte der Mediziner darauf verweisen, dass die vier größten Forschungsinstitute eben das getan hätten. Überhaupt hat Virologe Christian Drosten den entscheidenden Satz dazu gesagt, dass sich alle möglichen „Fachleute“ zur Pandemie auslassen: Er als Virologe würde sich niemals über das Gebiet eines Bakteriologen äußern ...

Auch Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) zeigte sich zufrieden. Man habe doch soviel gelernt seit Beginn der Krise. Möglicherweise habe man es partiell übertrieben – aber die Todeszahlen seien niedrig, und die Gesellschaft sei weitaus stabiler als in den Nachbarländern. Der schwedische Weg jedenfalls sei für Deutschland zu riskant. „Wir haben es bisher gut überstanden.“ 

Maybrit Illner (ZDF): Angst vor dem Sterben oder Angst vor dem wirtschaftlichen Kollaps

Andererseits werde man nicht alles kompensieren können, räumte er ein, dazu werde es nicht reichen. Blome warnte: Wenn es länger dauere, würden die Proteste zunehmen, und womöglich müsse sich Kanzlerin Merkel eines Tages anhören müssen: „Das sind Ihre Arbeitslosen.“ 

Meyer-Hermann hofft, dass mit dem eingeschlagenen Weg das Virus soweit zurückgedrängt werden könne, dass damit auch die Angst besiegt werde. Dann hätte sich die unheilvolle Alternative; Angst vor dem Sterben oder Angst vor dem wirtschaftlichen Kollaps erledigt.

Von Daland Segler

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Die Corona-Proteste beschäftigen auch die Gäste bei Anne Will (ARD). Dabei übertrumpfen sich die Anwesenden gegenseitig im „Nicht-Pauschalisieren“. Die TV-Kritik. Gäste bei „Maischberger. Die Woche“ versprechen hitzige Diskussionen.

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