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Talk bei Maybrit Illner im ZDF: „Eine enorme Wut auf diesen Staat“

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Der TV-Talk mit Maybrit Illner im ZDF zeigt, wie tief die Gräben zwischen den braven Bürgern und denen sind, die sich ausgegrenzt fühlen. Um die Polizei ging es auch.

Randale, Plünderungen, Angriffe auf Polizisten – was und wer steckt hinter der nächtlichen Gewaltwelle in der Stuttgarter Innenstadt? Ist daran auch ein „polizeifeindliches Klima“ schuld? Die Angriffe gegen Polizisten und Rettungskräfte nehmen zu. Ist das ein Zeichen für eine allgemeine „Verrohung“?

Maybrit Illner im ZDF: Stuttgarter Krawalle als Anlass der TV-Sendung

Sie war (und ist) einfach wütend. Idil Baydar, Schauspielerin und Kabarettistin, in Celle geboren, machte bei Maybrit Illner kein Hehl daraus, dass Ihresgleichen „permanent unter Generalverdacht“ stehe bei Begegnungen mit der Staatsmacht. Und deshalb mochte sie das übliche gepflegte Spiel mit Rede und Gegenrede bei solch einer Talkshow auch irgendwie nicht mitspielen.

Feindbild Polizei – Hass, Gewalt und Machtmissbrauch?" lautete das Thema bei Maybrit Illner, und als Antwort auf diese Frage böte sich an: „Ja, alles!“ Denn selbstverständlich kommt all das vor, nicht erst seit gestern, nicht erst seit den Stuttgarter Krawallen, aber die boten den Anlass für die Sendung. Und Idil Baydar vertrat derart kompromisslos ihre Auffassung, dass Gräben zwischen ihr und den anderen Gästen, und damit auch zwischen Menschen mit einer Migrationsgeschichte (einem „Migrationsvorteil“, wie der Journalist Hasnain Kazim jüngst vorschlug) und den braven Bürgern erkennbar wurden.

Cem Özdemir bei Maybrit Illner (ZDF): Die Jugend verloren 

Die waren gleich mehrfach vertreten, und sie gaben entsprechend Staatstragendes von sich. Dabei tat sich der Grüne Cem Özdemir besonders hervor, indem er zunächst fragte, warum „uns die Jugendlichen verloren“ gegangen seien. „Uns“ ? „Verloren“? Wegen einer Randale in einer Nacht? Sebastian Fiedler, Chef des „Bundes Deutscher Kriminalbeamter“, setzte noch eins drauf. Die Täter lehnten den Staat ab und hätten sich „die Polizei als Feindbild erkoren“. Wolfgang Bosbach, Ex-Fraktionsvize der CDU, stieg drauf ein: Da zeige sich „eine enorme Wut auf diesen Staat“. Idil Baydar monierte zu Recht, das Wort von der „Staatsfeindschaft“ sei übertrieben. Und erntete Kopfschütteln bei Fiedler.

Dass die Angriffe auf Polizisten zugenommen haben, lässt sich belegen (das gilt auch für Feuerwehrleute und Sanitäter). Man kann daraus eine Verrohung der Gesellschaft (oder Teilen davon) ablesen. Das ist ja auch in den nur noch als „asozial“ zu bezeichnenden Medien erkennen, deren Eigner wie Facebook-Chef Mark Zuckerberg ihren Honig daraus saugen. Seinesgleichen hilft mit, dass die einst „schweigende Mehrheit“, zu einer pöbelnden Minderheit verkommen, umso lauter von sich reden macht.

Idil Baydar im ZDF-Talk von Maybrit Illner: Mehr Migranten an Unis als im Gefängnis

Früher, so merkte Özdemir zu Recht an, habe man erst die Polizei ihre Arbeit machen lassen, dann in Kenntnis der Ergebnisse eine Analyse vorgenommen. Heute sei das anders, auch wegen der sozialen Medien (Talkshows nannte er nicht). Und Fiedler antwortete auf Illners Frage, seit wann es diese Art von Mobilisierung gebe: „Seit sich die Gesellschaft polarisiert hat.“

Aber Idil Baydar hatte Beispiele. So fand sie, dass das Phänomen „Clan-Kriminalität“ aufgebauscht worden sei. „Wir haben mehr Migranten an Unis als im Gefängnis!“ Und gerade einmal zwei Prozent der Fälle von Polizeigewalt landeten vor Gericht. Dabei sei laut EU „racial profiling“ verboten (in Deutschland gibt es keine Statistiken dazu); sie verwies aber auch darauf, dass die Polizei überfordert sei, weil viele Stellen abgebaut worden seien. Und schloss: „Die deutsche Polizei schützt uns nicht“.

TV-Talk von Maybrit Illner (ZDF): Natürlich geht es auch um die „taz“-Kolumne

Erwartungsgemäß kam auch der Text von Hengameh Yaghoobifarah zur Sprache, die in der taz in ihrer die Kolumne „all cops are berufsunfähig“ geschrieben hatte, eine geeignete Verwendung für Polizisten in einem Land ohne Polizei sei „die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“ 

Özdemir fand den Text kurzerhand „widerlich“, Fiedler „konnte keine Satire erkennen“ (womit er nicht falsch liegt), während Idil Baydar ihn mit dem Hinweis verteidigte, es sei auch niemand aufgestanden, als AfD-Politiker Gauland gesagt habe, man solle die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özuguz, in Anatolien „entsorgen“.

Horst Seehofer - überfordert

Innenminister Horst Seehofer, wieder einmal überfordert*, verzichtete dann doch noch auf eine Anzeige, lud aber die „taz“-Redaktion ins Ministerium ein. Es ist nicht bekannt, dass er das bei der „Bild“ oder der „Jungen Freiheit“ auch einmal getan hätte ...

Wenn aber Fiedler „Hochschaukel-Effekte in der Gesellschaft“ befürchtete, die am Ende „in Konflikten auf der Straße“ endeten, sei ihm ein Blick in die Archive empfohlen, wo er den Text eines „Mescalero“ fände, der einst seine „klammheimliche Freude“ über die Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback geäußert hatte. Auch Özdemir erinnerte an die RAF und wünschte sich, dass der Staat gegenüber Rechtsradikalen in der Polizei mit derselben Härte vorginge.

Die Polizei will sich von schwarzen Schafen trennen

Sendung vom Donnerstag, 25. Juni, 22.15 Uhr. Die Sendung im Netz in der Mediathek.

Da sah Polizist Fiedler kein Problem. Man fordere doch Untersuchungen solcher Fälle* wie etwa der rechtsextremen Prepper-Gruppe „Nordkreuz“: „Wir haben Interesse, uns von schwarzen Schafen zu trennen.“ Diese „Subjekte“ müsse man aus dem Polizeidienst entfernen. Aber wen ruft man um Hilfe, wollte Illner listig wissen. „Wir haben etablierte Beschwerdewege“, beruhigte sie Fiedler, und Bosbach schlug in die gleiche Kerbe. Idil Baydar erinnerte hingegen an den Fall der Rechtsanwältin, die von einem Netzwerk rechtsextremer Polizisten aus Frankfurt bedroht worden war.

Letztlich aber verteidigte Fiedler natürlich den Großteil seiner Kollegen; viele gingen aus Idealismus oder einem positiven Staatsverständnis zur Polizei. Man müsse für bessere Qualifizierung sorgen. Und den Dialog mit den Kritikern suchen. Es liege ihm am Herzen, dass „der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält, möglichst groß ist.“ (Daland Segler)

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