Ulm selbst erwischte es vor einer neuen Folge von „Sherlock“, der BBC-Krimireihe, die den legendären Ermittler ins London des 21. Jahrhunderts bringt. Der Spoiler: Mary Watson ist eine Spionin. Das habe sie dazu gebracht, die Folge sofort zu schauen. „Ich dachte, es sei die spannende Enthüllung dieser Folge, in Wirklichkeit gab es aber noch eine weitere überraschende Wendung.“
Dass Spoiler die Spannung steigern können, haben Wissenschaftler der University of California 2011 mit einem Experiment nachgewiesen. Die Versuchspersonen fanden jene Version einer Geschichte am spannensten, in der ihnen bereits zu Beginn der Ausgang verraten wurde.
Das Phänomen Spoiler ist keine Erfindung des Internets. „Als „Dallas“ populär war und die deutsche Fassung ein halbes Jahr später ausgestrahlt wurde als in den USA, verrieten manche Zeitungen auch, wer J.R. erschoss“, sagt der Potsdamer Medienwissenschaftlers Lothar Mikos. Einst blätterten Fans von „Verbotene Liebe“ oder „GZSZ“ ungeduldig die neuste Ausgabe der Fernsehzeitung durch. Woche für Woche, Folge für Folge lasen sie dort kurze Inhaltsangaben - samt entscheidender Details wie Todesfälle oder Trennungen.
Heute gibt es mehr Quellen für Spoiler. „Während das früher ausschließlich seitens der Produktion geschehen konnte, kann heute jeder spoilern. Ich selbst kann das auch tun, wenn ich mit einer Serie schon weiter bin“, sagt Ulm. Darin liege auch das Problem. „Es wird meistens jemanden geben, der die Serie schon gesehen hat. Das war früher nicht so, als alle zur gleichen Zeit vor dem Fernseher saßen.“ Als auf der offiziellen Facebook-Seite von „How I Met Your Mother“ ein Foto der Mutter auftauchte, löste das Entrüstung aus. In den USA war da gerade jene Folge ausgestrahlt worden, die das Geheimnis lüftete, in anderen Ländern warteten die Fans noch darauf.
Und warum sollte ich es für mich behalten, dass Brody (Damian Lewis) in der dritten Staffel von „Homeland“ stirbt, wenn ich es auch weitererzählen kann? Spoiler verleihen den Erzählern Macht, wie es der kanadische Anthropologe Grant McCracken in einer Studie des Videodienstes Netflix beschreibt.
McCracken unterscheidet dabei fünf Typen von Geheimnisverrätern. Der „ahnungslose Spoiler“ handelt demnach getreu dem Prinzip: „Wenn ich es schon gesehen habe, muss es auch jeder sonst schon gesehen haben.“ Dagegen brüste sich der „kodierte Spoiler“ damit, über wesentliche Plotelemente zu sprechen, von denen nur andere Serienjunkies wissen. Der „impulsive Spoiler“ wiederum sei einfach so begeistert von seiner Lieblingsserie, dass er in einem Atemzug Details der nächsten drei Staffeln ausplaudere.
Ganz anders, nämlich in voller Absicht handelt der „Power Spoiler“ nach McCrackens Definition: Er genieße es, Wendungen der Handlung zu verraten, um mit Leuten zu spielen. Und der „unverschämte Spoiler“ sei schlicht nicht mehr bereit, sich selbst zu zensieren: Er gehe davon aus, dass jeder nach seinem Schema schaut.
Hinter der Studie vermutet „Serienjunkies“-Redakteur Schmitt eine gezielte Marketingkampagne. „Netflix möchte wegen seines Vertriebsmodells den Begriff Spoiler neu besetzen und positiver klingen lassen“, sagt er.
Aber wie lange ist ein Spoiler überhaupt ein Spoiler? Ab wann kann ich davon ausgehen, dass alle, die sich Fan dieser Serie nennen, die Folge schon gesehen haben? „Daran zeigt sich eine der schönen Gruppendynamiken, die sich in den Fankulturen ergibt“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Ulm. Irgendwann bestehe Konsens darüber, ob etwas noch als Spoiler gekennzeichnet werden müsse. „'Lost' zum Beispiel ist abgedreht, da würde niemand mehr auf die Idee kommen, kleine Teile von Staffel vier als Spoiler zu kennzeichnen.“ Und das Ende von „Breaking Bad“? Soll hier nicht verraten werden.
Maren Hennemuth, dpa