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Schwere Vorwürfe gegen RTL und Team Wallraff

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Ein Screenshot der Undercover-Aufnahmen von „Team Wallraff“.
Ein Screenshot der Undercover-Aufnahmen von „Team Wallraff“. © RTL / Stefan Gregorowius

Leverkusen - Am Montag veröffentlichte RTL schockierende Szenen aus Behinderteneinrichtungen. Doch die Aufnahmen sind über ein Jahr alt. Unverständnis bei Verantwortlichen: Warum hat RTL so lange gewartet?

Caro Lobig ist Reporterin des „Team Wallraff“ von RTL. Getarnt als Praktikantin „Steffi“ arbeitete sie im Dezember 2015 in einer Behinderteneinrichtung der Lebenshilfe Leverkusen. Die RTL-Investigativ-Journalisten sind wirklich einiges gewohnt, es ist schließlich nicht das erste Mal, dass das „Team Wallraff“ schockierende Missstände aufdeckt: In der Vergangenheit berichtete das „Team Wallraff“ beispielsweise über ekelhafte Zustände an Autobahnraststätten und prekäre Sicherheitsmängel in Fernbussen. Was Praktikantin „Steffi“ allerdings in der Behindertenwerkstatt in Leverkusen erlebte, hätte sie wohl nicht für möglich gehalten.

Die Reporterin musste beispielsweise mit ansehen, wie eine 20-jährige Bewohnerin der Einrichtung der Lebenshilfe Leverkusen von zwei Betreuern schikaniert und gedemütigt wurde: Witze über Sperma, ein Umgang mit der jungen Frau, als sei sie ein Hund, und ein Sabber-Tuch, dass ihr um den Kopf gebunden wurde. Das alles filmte „Steffi“ mit einer getarnten Kamerabrille, um die Szenen über ein Jahr später in einer RTL-Sendung öffentlich zu machen. 

Warum erst ein Jahr später?

Warum erst jetzt? Das fragt sich heute auch die Geschäftsführung der Einrichtung in Leverkusen. Eva Lux, Vorstandsmitglied der Lebenshilfe-Werkstätten, wirft RTL gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger grobe Fahrlässigkeit vor. So waren die Schutzbefohlenen ihren Peinigern noch viele weitere Monate ausgesetzt, ohne dass etwas dagegen getan werden konnte. Der Sender habe Vorstand und Geschäftsführung erst kurz vor Ausstrahlung der Sendung über die Vorfälle informiert. Erst jetzt konnten die beiden Mitarbeiter vom Dienst freigestellt werden. Für rechtliche Schritte gegen die Beschuldigten gebe es immer noch keine verwendbaren Fakten, so Lux. Alles, was die Geschäftsführung gegen die Mitarbeiter in der Hand habe, seien verpixelte Bilder.

Wie die Welt berichtet, bezeichnet RTL das Vorgehen des TV-Teams als „pflichtbewusst“. Demnach hätten die Reporter bereits Anfang 2016 Kontakt zu Eltern von betroffenen behinderten Personen aufgenommen, um wenigstens sie über die Probleme in Kenntnis zu setzen. Dies sei bei investigativen Recherchen nicht unbedingt üblich, da die weitere Recherchearbeit gefährdet werden könnte, sagte Pressesprecher Matthias Bolhöfer. Dennoch habe man im Juni 2016 noch ein zweites Mal bei der Familie einer Betroffenen nachgefragt, wie die Lage sich entwickelt habe. Die Eltern hätten zu dem Zeitpunkt versichert, dass alles gut sei.

Mitarbeiter verunsichert

Die Dreharbeiten wurden nach dem Besuch von „Steffi“ in den Lebenshilfe-Werkstätten Leverkusen noch in vielen weiteren Einrichtungen fortgesetzt. Beispielsweise auch in der St. Nikolaus-Förderschule in Erding. Den Mitarbeitern der Erdinger Einrichtung für behinderte Kinder blieb die seltsame Brille von Praktikantin „Steffi“ allerdings nicht verborgen. Als einige Monate später ein Fragebogen von RTL ins Haus flatterte, war der Belegschaft alles klar. Statt resigniert auf die Ausstrahlung zu warten, entschied sich die Schulleitung der St. Nikolaus-Schule, dem Sender zuvorzukommen. Deshalb ging die Schule vorsorglich mit einem Bericht bei merkur.de an die Öffentlichkeit. Letztendlich wurde die Erdinger Einrichtung in dem Beitrag mit keinem Wort erwähnt. Das mag bedeuten, dass dort gute Arbeit geleistet wird. Dennoch lebten die Mitarbeiter monatelang mit der Furcht davor, von RTL unangemessen dargestellt zu werden.

Auch in der Leverkusener Behinderten-Werkstatt ist seit der Ausstrahlung der RTL-Sendung am Montag die Verunsicherung groß. Dabei leisten „198 von 200 Mitarbeitern einen ganz hervorragenden Job“, so Geschäftsführer Harald Mohr gegenüber rp-online. Immerhin: Am darauffolgenden Dienstag blieb keiner der Menschen mit Behinderung zu Hause. Mohr wertet das als Vertrauensbeweis.

lg

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