Bei allen kriegerischen Konflikten, die Rick und Shane zuletzt miteinander hatten (Rick hatte Shane damals nahe der Ranch in Staffel 2 letztlich erstochen), so hat Rick doch auch eine Menge von Shane gelernt. Mut, Stärke, harte Entscheidungen treffen, wenn es nötig ist. Shane redet ihm ebenso gut zu wie Maggies Vater Hershel und Sasha, die sich in Staffel 8 beim Versuch, Erzfeind Negan zu töten, geopfert hatte.
Hershel macht deutlich, dass dank Rick Maggie und auch ihr Baby noch am Leben sind. Sasha versichert ihm, dass er seinen Teil zum Überleben aller beigetragen hat und dass sich so alle gegenseitig Kraft gegeben haben. Am Ende jeder Traumsequenz wird Rick nochmals ermahnt: Er muss aufwachen.
Nur so kann er weiterkämpfen. Genau wie in Staffel 1 ist er auch jetzt auf der Suche nach seiner Familie, zu der er um jeden Preis gelangen muss. Statt Lori und Carl sind es Partnerin Michonne und die kleine Judith.
Es ist wirklich eine schöne Würdigung für den Charakter von Rick Grimes, der ja schon so einiges durchgemacht hat. Von Anfang an hat der Zuschauer ihn und seinen Weg mitverfolgt, hat die Apokalypse durch seine Augen gesehen, mitgefiebert, gelitten und geweint. „What Comes After“ lässt viele frühere Momente und Kulissen noch einmal kurz aufleben, allen voran das berühmte Krankenhaus, in dem Rick damals inmitten der Zombie-Apokalypse aufwachte.
Allerdings ist es wenig nachvollziehbar, warum er im Delirium gerade Sasha begegnet und nicht etwa Glenn, seinem Weggefährten seit der ersten Stunde damals in Atlanta. Glenn hatte eine immens wichtige Rolle für Rick gespielt, war so etwas wie sein Gewissen und einer seiner engsten Vertrauten, bis er Negan und den Saviors zum Opfer fiel. Nicht einmal Ricks verstorbene Familie, Lori und Sohn Carl, taucht auf.
Mit letzter Kraft schafft es Rick schließlich zur Brücke, nachdem er sich sogar noch selbst mehrfach gegen die ihn nach wie vor verfolgende Zombieherde wehren konnte. Schon seit Beginn der Folge, als sich der aufgespießte Held selbst befreien und entkommen konnte, muss man hier zwei Augen zudrücken. Rick hätte schon fünfmal tot sein müssen. Nun aber trifft er bei der Brücke auf seine Gruppe, die ihm sofort helfen will.
Doch Rick will das Problem lieber selbst in klassischer Selbst-Opferungsmanier lösen, ohne die anderen zu gefährden. Während die Zombies über die Brücke schlurfen, schießt Rick auf eine Ladung Sprengstoff. Warum diese in Kisten mitten auf der gerade neugebauten Brücke lagert, läuft wohl ebenfalls unter „einfach so hinnehmen“.
Das Bauwerk explodiert und reißt die brennenden Untoten in die Tiefe. Zugegeben, die Reaktionen gerade von Michonne und Daryl gehen schon zu Herzen, schließlich sieht es ganz so aus, als habe sich Rick in einer letzten Heldentat geopfert.
Aber nein: In der nächsten Szene kommuniziert Jadis am Walkie-Talkie mit der mysteriösen Gruppe im Helikopter, von der sie unbedingt evakuiert werden will. Und siehe da: Rick wird genau an dem Flussufer angespült, an dem sie gerade steht. Und er lebt noch.
Aufgespießt, aus dem Unterleib blutend, ein langer Ritt, eine wilde Zombiemeute und eine schwere Explosion... Rick Grimes scheint unkaputtbar. Nunja, das Ganze bewegt sich doch sehr an der Grenze des Absurd-Übertriebenen, also liebe Autoren: Weniger ist oft weitaus mehr.
Jadis schafft es jedenfalls, die Hubschraubergruppe von seinem Potenzial zu überzeugen und die beiden mitzunehmen. Und da ist er nun, der letzte Blick auf Rick in „The Walking Dead“. Schwerverletzt wird er zusammen mit Jadis weggeflogen. Wohin? Wie es aussieht direkt in ein weiteres Zombie-Format.
Gleich nach Ausstrahlung der letzten Folge gab der Sender AMC bekannt, dass drei Filme rund um Rick Grimes' weitere Geschichte geplant sind. Ex-Showrunner Scott Gimple soll die Drehbücher schreiben, wobei das Universum noch ein wenig erweitert wird.
Somit scheint der Hype der vergangenen Monate um den groß angekündigten Ausstieg von Hauptdarsteller Andrew Lincoln eine einzige PR-Strategie gewesen zu sein. Bei aller Freude darüber, dass Ricks Schicksal doch noch nicht besiegelt ist, hinterlässt die ganze Aktion doch einen faden Beigeschmack.
Hinzu kommt, dass es am Ende der Folge nochmals einen Zeitsprung gibt. Eine neue Gruppe Überlebender trifft auf eine mehrere Jahre gealterte Judith Grimes – mit Pistole, Hut und Katana. Während das absolut Lust auf mehr macht, bleibt doch die Frage: Was ist mit Rick? Hat er seine Familie etwa wirklich jahrelang nicht gesehen? Wird er noch immer für tot gehalten? Wenn er überlebt, würde er doch nichts unversucht lassen, zur Gruppe zurückzukehren. Wie die Serie das lösen will, bleibt abzuwarten.
Bei dem ganzen Wirbel um Rick Grimes fällt der Nebenstrang um Maggie und Negan fast hinten über. Maggie taucht in Alexandria auf, um den Gefangenen Negan endlich umzubringen. Eine Konfrontation, die schon lange überfällig war, schließlich hat der ehemalige Savior-Boss Maggies Ehemann Glenn auf brutalste Weise den Schädel eingeschlagen.
Doch als er wimmernd vor ihr auf dem Boden kauert und Maggie sogar darum bittet, ihn zu töten, damit er wieder mit seiner Frau Lucille vereint ist, lässt sie von ihrem Vorhaben ab. Weiterhin hinter Gittern dahin zu vegetieren, ist für Negan eine weitaus größere Strafe als der Tod. Seine Zukunft steht also ebenso in den Sternen wie Ricks.
„What Comes After“ markiert einen weiteren Wendepunkt in der Geschichte von „The Walking Dead“, lässt den Zuschauer aber doch verwirrt und ahnungslos mit keiner eindeutigen Richtung zurück. Der Zeitsprung von mindestens rund fünf Jahren ist ein großes Wagnis, vor allem wenn Ricks Schicksal weiterhin ungeklärt bleibt. Man darf gespannt sein, was die kommenden drei Folgen bis zum Halbstaffelfinale noch bringen.
Die Episode „What Comes After“ ist am Sonntag, 11. November, um 22.40 Uhr auf Fox Channel zu sehen. Auch der Bezahlsender Sky/Skyticket hat „The Walking Dead“ im Angebot.
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Von Britta Buntemeyer