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TV-Kritik: Schweiger-Tatort überrascht mit Witz und Geschichte

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„Tatort“: Schuld an Pattis (Laura Tonke) Blessuren: Nick (Til Schweiger)
„Tatort“: Schuld an Pattis (Laura Tonke) Blessuren: Nick (Til Schweiger) © NDR/Christine Schroeder

Der neue Tschiller will auch mal über was reden: Die Wattenmeer-Action-Folge des „Tatort“ bietet Witz und eine spannende Geschichte.

Nick Tschiller kann einem den Abend verderben, weil die einen Til Schweigers Tatort-Polizisten zwischen Eitelkeit und Action nicht gut aushalten können, die anderen aber die Abwechslung mögen. Was denn genau hierbei mit Abwechslung gemeint sei, fragen dann die einen, und die anderen finden schon die Frage perfide und so weiter. Abwechslungsreichtum ist auch sicher nicht die Stärke der Tschiller-Folgen, deren „24“-Haftigkeit vor allem daran erinnert, warum auch „24“ auf Dauer schwer zu ertragen ist. 

Tatort mit Till Schweiger: Tschiller ist engagiert und rennt viel

Unter anderem deshalb, weil einfach keine der Figuren auf Jack Bauer hört, dem die eklatante Unvernunft seiner Umgebung, namentlich seiner zu Tode nervenden Tochter, seinen so schon beträchtlichen körperlichen und psychischen Strapazen bei der Verbrechensbekämpfung immer noch einen Tuck draufsetzt. Auch dieses Motiv greift die neue, sechste Tschiller-Folge auf, die den pfiffigen Titel „Tschill Out“ trägt: Wie entsprungene Flöhe umhüpfen die Figuren den natürlich gar nicht chillenden, sondern engagierten Tschiller und gefährden ihr Leben und lassen Tschiller rennen, hauen, retten. Aber das ist nicht alles, und selbst dieser Teil wird von einem Hauch selbstironischer Routine umgeben. Es gehört dazu wie die Kleine-Jungen-Witze des Kollegen Yalcin Gümer.

Tatort mit Till Schweiger: Tschiller hat sich weitgehend ruiniert

Diesmal aber gesellt sich ein Fall dazu, der interessiert und geradezu erfrischend ist, geschrieben von Anika Wangard und dem Regisseur Eoin Moore, die derzeit vornehmlich mit Rostocker Polizeirufen befasst sind und künftig aus Tschiller etwas mehr machen sollen als eine Til-Schweiger-Show. Das war offenbar klug, oder um mit Yalcin Gümer zu reden: Guter Move.

Der Stand der Dinge: Tschiller, dem es in fünf Tschiller-Folgen gelungen ist, seine private und berufliche Existenz weitgehend zu ruinieren, hilft in der sechsten nun bei einer Außenstelle für Jugendliche in schwierigen Lebenslagen aus, die auf der Insel Neuwerk zu sich kommen sollen. Er ist nicht im Dienst (das Disziplinarverfahren steht bevor), aber anstatt zu reflektieren und um seine tote Frau zu trauern, schmeißt er renitente Kinder ins Wasser und besorgt ihnen Paintball-Ausrüstungen. Man muss sagen, das hat was, vor allem die Szene mit dem Wasser. Außerdem finden die Jugendlichen ihn zwar cool, aber so cool dann auch wieder nicht. Sie führen ihr eigenes Leben, sofern das auf einer Wattinsel, auf die sie nicht gehören, in der Nebensaison möglich ist.

Tatort mit Till Schweiger: Tschiller droht Disziplinarverfahren

Tschiller hat auch unterirdische Lebenshilfetipps, die aber nur gegenüber Erwachsenen, denn Kinder sind in diesem Film für Faxen Tabu. „Du darfst einfach nicht dran denken“, sagt Tschiller also zum Beispiel zu dem Mann, dessen Bruder tot ist, und da rollt jeder mit den Augen, aber diese Wirkung ist auch einkalkuliert. Im Film vertritt das augenrollende TV-Publikum eine vernünftige, wenngleich nicht abgeneigte Betreuerin der Jugendlichen, stoisch gespielt von Laura Tonke. Außerdem gehört der Mann zum Fall.

Auch ohne Tschiller ist beim LKA in Hamburg etwas schiefgegangen. Der Überlebende von zwei Kronzeugen, Ben Münchow, wird von dem gewitzten, aber auch geforderten Gümer, Fahri Yardim, auf Neuwerk untergebracht. Man ahnt es, aber spannend ist es trotzdem. Wie immer ist niemandem zu trauen, und kriminalistisch hat „Tschill Out“ einige Wendungen zur Hand. Da müssen auch Tschiller und Gümer ganz schön mitdenken!

Tatort mit Till Schweiger: Tschiller ist plötzlich total nachdenklich

Auch irgendwie rührend: Nicht nur Schweigers Tochter Luna wird als Tschillers Tochter Lenny zugeschaltet (etwas inaktuell aus Australien). Auch die Tochter von Regisseur Moore, Zoe Moore, spielt mit. Sie ist die neue Partnerin von Gümer, die fantastisch aussieht, schlau und fit ist. Natürlich kann man sie nicht ausstehen, Gümer kann es auch nicht, aber jetzt hat sie schon wieder was Schlaues gemacht.

Die besten Szenen sind zugleich die beiläufigsten. Gümer benutzt das Bild vom „kleinen Fisch“ und sucht ein Beispiel aus der Natur. Lohnt sich, drauf zu achten. Am Ende bricht auf Neuwerk der Frühling aus, das ist im Januar auch hart, aber trotzdem schön. Tschiller ist durch die Ereignisse total nachdenklich geworden und will jetzt auch weiterhin nachdenken, über „Gefühle und so“.

„Tatort: Tschill Out“, ARD, So., 20.15 Uhr.

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