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Arte-Doku: „Forever and a Day – Scorpions“ - Kampfjets als Showelement

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TV-Kritik (Arte): „Forever and a Day – Scorpions“ - Der Abschied war nur ein Intermezzo
Arte-Dokumentation: "Forever and a Day Scorpions": Nach knapp 50 Jahren sollte Schluss sein. © © Arte/DOKfilm

Feinfühlig, gut beobachtet und nicht nur für Fans: Ein Dokumentarfilm von Regisseurin Katja von Garnier über das Tourleben und den Aufstieg der Scorpions.

Es soll vorkommen, dass Menschen den Sender wechseln, wenn Klaus Meine, Sänger der Scorpions, im Radio die Ballade „Wind of Change“ zu pfeifen beginnt. Aber so hassenswert ist die Hannoveraner Rockband nun auch wieder nicht, dass von einer Begegnung mit ihr zwingend abzuraten wäre. Die Regisseurin Katja von Garnier, einst mit dem Studentenfilm „Abgeschminkt!“ Hoffnungsträgerin der deutschen Kinokomödie und mit Filmen wie „Ostwind“ an der Kinokasse erfolgreich, hat sich der Mühe unterzogen, die Scorpions für einen abendfüllenden Dokumentarfilm auf einer mehrmonatigen Welttournee zu begleiten, die eigentlich ihre letzte werden sollte. 

Darum blendet Garnier immer wieder einen Countdown ein, der die Zeit bis zum Abschlusskonzert benennt. Zugleich aber fängt sie feinfühlig ein, dass den Musikern unter dem Eindruck des Erfolges – sie spielen fast durchweg in ausverkauften Hallen und Stadien sowie auf großen Festivals und immer vor begeistertem, auffallend jungem Publikum – der annoncierte Abschied von der Bühne zusehends schwerfällt. Inzwischen, der Film kam 2015 in die Kinos, wissen wir, dass die Scorpions noch immer für einen Auftritt zu haben sind.

Arte Doku über Scorpions - Die Eckkneipe als Sprungbrett zur Weltkarriere

Zu den besonderen Vorzügen dieses Films gehört es, dass er diese Entscheidung begreiflich macht. Dabei verzichtet Garnier gänzlich auf einen eigenen Kommentar. Sie fängt Bilder der Konzerte ein, lässt die Musiker erzählen, blendet mittels Archivmaterialien zurück in die Geschichte der Band, die noch in den 1960ern in Sarstedt bei Hildesheim in einer Eckkneipe begann. Die erste LP-Veröffentlichung beim legendären Label Brain bot noch zeitgenössischen, durchaus stimmigen Krautrock. Der Schwenk zum härteren Genre brachte den Durchbruch und verursachte eine staunenerregende Weltkarriere. 

In Deutschland eher bespöttelt, erfahren die Musiker Respektsbekundungen von Genrekollegen wie Paul Stanley von Kiss, Danko Jones, Alex Skolnick von Testament. Die dokumentierte Tour führte sie an Orte, mit denen sich Meilensteine ihrer Karriere und denkwürdige Begegnungen verbanden. Die erste Japantour, Auftritte im noch vom Bürgerkrieg geprägten Beirut, Konzerte in der damaligen Sowjetunion. Ein Verlustgeschäft, aber ein besonderes Anliegen der Band, das sich, was nicht zu erwarten war, auszahlen sollte. Die Stimmung dort inspirierte Sänger Klaus Meine zur Ballade „Wind of Change“, dem wohl größten Hit der Band, der auch auf Russisch eingesungen wurde und den Musikern eine Einladung zum damaligen ZK-Generalsekretär und Reformpolitiker Michail Gorbatschow und dessen Gattin Raissa einbrachte.

Arte: Doku über Scorpions - Van Halen, Judas Priest und Ozzy Osbourne mit dabei

Ein Kapitel für sich ist die Etablierung der Marke Scorpions in den USA. Der erste Plattenvertrag verdankte sich dem international renommierten Produzenten Dieter Dierks, der wesentlichen Anteil hatte am Sound der frühen Alben. Das US-Management, aber auch die Band selbst leistete dann kontinuierlich Aufbauarbeit, gipfelnd in einem Auftritt beim „Metal Day“ des viertägigen „US Festivals“ im Mai 1983 neben Van Halen, Judas Priest und Ozzy Osbourne: Die Scorpions ließen von Himmelsschreibern den Bandnamen an den Himmel malen und zu Beginn ihres Auftritts fünf Kampfjets übers Gelände donnern. Man muss solchen Wahnsinn nicht gut finden. 

Aber solche Maßnahmen lassen erkennen, wie das Geschäft funktioniert. Und auch das gehört zu den Vorzügen dieses Films. Die Musiker der Scorpions und diverse Weggefährten gewähren anhand der Band-Historie Einblick in die Mechanismen des Metiers. Wobei zu den Erkenntnissen gehört, dass die Band einen Einbruch erlitt, als sie sich untreu wurde, Anfang der 1990er mit elektronischen Klängen experimentierte und sich an die veränderten Hörgewohnheiten anzupassen suchte. Eigentlich eine spannende Musik, aber das Stammpublikum war nicht erbaut.

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„Forever and a Day – Scorpions“ - Arte-Doku: Frühe Vertragsfinessen

Mit psychologischem Gespür macht Katja von Garnier deutlich, warum die Scorpions trotz solcher Rückschläge über eine derart lange Zeit erfolgreich bleiben konnten. Sie liefert indes keine minutiöse Chronik der Band-Geschichte. Die hätte einen fürs Kino produzierten Film auch überfrachtet. Die weniger erfreulichen Phasen, darunter die Gründe für einige Personalwechsel, werden knapp abgehandelt, bleiben unterbelichtet. Krisen wie der vorübergehende Stimmverlust von Sänger Klaus Meine im Vorfeld eines wichtigen Pariser Konzertes kommen zur Sprache, und Garnier beobachtet sehr genau, wie sich ein solcher Vorfall auf den Betroffenen und die Musikerkollegen auswirkt. 

„Forever and a Day: Scorpions“, Freitag, 4.10., Arte, 21:50 Uhr. Bis 10.10. in der Arte Mediathek.

Der Film hat ein kinogerechtes Tempo und ist brillant montiert (Musikschnitt: Hans-Martin Buff); das geht jedoch schon mal zu Lasten der Präzision. Einer der Zeitzeugen, der Journalist Hollow Skai, ein früherer Schulfreund des Ex-Scorpions-Gitarristen Michael Schenker, berichtet an einer Stelle: „Die Scorpions hatten ja ganz früh in ihren Plattenverträgen darauf geachtet, dass dort, wo sie auch live auftreten, in dem Land ihre Platte veröffentlicht werden muss.“ Der Satz ist nun ganz und gar irreführend. Denn natürlich kann eine Band nicht einfach per Vertrag eine Plattenveröffentlichung in die Wege leiten. 

Die Scorpions wissen, wie man sich vermarktet

Vielmehr verlangte der Gastspielvertrag der Scorpions, das Beispiel stammt aus dem Jahr 1976: Der örtliche Veranstalter „sorgt, daß in allen Plattengeschäften im Umkreis sämtliche SCORPIONS-Platten auf Lager haben [sic!]: Lonesome Crow, Fly to the Rainbow, In Trance. Die Plattenläden sind mit SCORPIONS Posters und Infos zu bemustern.“ Der Vertrag verlangte ebenfalls, dass der Name Scorpions bei jeder öffentlichen Erwähnung in Versalien geschrieben wird. Sie haben (es) ganz raffiniert angefangen, die Jungs aus Hannover, die heute in internationaler Besetzung auftreten, mit dem Polen Paweł Mąciwoda am Bass und im Film noch mit dem mittlerweile abgelösten US-Amerikaner James Kottak am Schlagzeug. Am heutigen Freitag spielen die Scorpions beim „Rock in Rio“. Weiter geht es nach Chile, Kolumbien, Ecuador, dann nach Russland – der finale Dokumentarfilm über die Scorpions ist noch nicht gedreht.

Von Harald Keller

Die mit dem Filmstudenten-Oscar ausgezeichnete Dokumentation „Die Nomadenärztin“* ist ein erstaunlicher Film, findet unser Kritiker Hans-Jürgen Linke. Harald Keller kritisiert „Von Mexiko an den Neckar‟ und sagt: Kulturgeschichtlich informativ, bei politischen Themen mild formuliert: Der SWR begleitet eine spektakuläre Ausstellung über die Azteken mit einer Art Dokumentarfilm.

Hier lesen Sie die Kritik zum neuen „Dengler“-Krimi 

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