So auch der 102 Jahre alte Feinsilber. „Ich war in zehn verschiedenen Lagern, in fünf Todeslagern“ berichtet er. Trotzdem hat er überlebt, hat später mit seiner Frau zwei Söhne und eine Tochter bekommen, und inzwischen 21 Enkelkinder. In vier Generationen lebe seine Familie jetzt in Israel. „Das sehe ich als Rache an den Nazis an.“ Menschen wie Feinsilber, die über das Grauen der Schoah noch aus erster Hand berichten können, wird es bald nicht mehr geben.
Die Zahl der Zeitzeugen sinkt altersbedingt stetig. Im vergangenen Jahr starben nach Angaben des Finanzministeriums in Israel rund 14.800 Holocaust-Überlebende. Im jüdischen Staat leben demnach heute noch rund 192.000 Überlebende und Opfer antisemitischer Übergriffe während des Holocaust. 16 Prozent sind den Angaben zufolge über 90 Jahre alt, 839 von ihnen sogar schon über 100. Schon 92 Jahre alt ist Giselle Cycowicz, die den Holocaust überlebt hat, weil die Nazis sie im Lager als Zeichnerin einsetzten.
Sie berichtet dem Bundespräsidenten und seiner Frau Elke Büdenbender auch von stundenlangen Fußmärschen im Schnee und in eisiger Kälte, ohne Socken. Die Kälte ist bis heute in ihr: „Nie, nie ist mir warm.“ Und obwohl sie der Holocaust bis heute verfolgt, sagt die Psychologin zu Steinmeier und seiner Frau: „Es freut mich sehr, Sie hier zu sehen.“
Wie schauen die Israelis heute auf Deutschland - angesichts der Übergriffe auf Juden, angesichts von Halle? „Die Wahrnehmung ist sehr positiv“, sagt die Meinungsforscherin Dahlia Scheidlin im Gespräch mit deutschen Journalisten. Der Historiker David Witzthum führt das vor allem auf das hohe Ansehen der Kanzlerin zurück. „Angela Merkel ist in Israel viel populärer als in Deutschland.“
In Yad Vashem muss Steinmeier am Donnerstag lange warten. Schon weil Russlands Präsident Wladimir Putin und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit der Einweihung eines Denkmals für die Opfer der Blockade von Leningrad durch deutsche Truppen September 1941 bis Januar 1944 so lange brauchen, dass sich der Beginn des Holocaust Forum um eine Stunde verzögert. Und schon Rivlin spricht gut 15 statt der vorhergesehenen 5 Minuten. „Am 27. Januar 1945 wurden die Tore der Hölle geöffnet. Auschwitz wurde befreit“, sagt er.
„Wir werden keinen weiteren Holocaust zulassen“, ergänzt anschließend Netanjahu und betont die Fähigkeit seines Landes, sich selbst zu verteidigen. Zugleich warnt er mit Blick auf den Antisemitismus heute: „Was mit Judenhass beginnt, hört mit Judenhass nicht auf.“ Auch deshalb sagt Steinmeier später: „Es darf keinen Schlussstrich unter das Erinnern geben." Am Ende braucht er für seine Botschaften elf Minuten. Mehr wird Steinmeier am kommenden Mittwoch im Bundestag sagen.
dpa
Frank-Walter Steinmeier hat sich beim Holocaust-Gedenken in Israel zur historischen Schuld Deutschlands bekannt. Das ist keine allzu schwere Übung. Aber der Bundespräsident hat mehr getan: Er hat die Kräfte des „Bösen“ im heutigen Deutschland offen benannt. Das macht sein Bekenntnis so wertvoll. Ein Kommentar.