Die Wirksamkeit von Hydroxychloroquin bei bestehender Erkrankung wird derzeit in zahlreichen Studien getestet. Bisherige Untersuchungen brachten keinen gesicherten Hinweis, dass es die Symptome bessert oder die Erkrankungsdauer verkürzt. Das Mittel steht auch deshalb unter besonderer Beobachtung, weil US-Präsident Donald Trump es wiederholt als Wundermittel gepriesen und angegeben hatte, es prophylaktisch einzunehmen, um sich vor dem Virus zu schützen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte am Mittwoch (3. Juni) mitgeteilt, dass ausgesetzte Tests mit dem Malaria-Medikament bei Covid-19-Erkrankten wieder aufgenommen werden. Das Mittel ist Bestandteil einer von der WHO koordinierten Forschungsreihe mit mehr als 3500 Patienten in 35 Ländern. Die Versuche waren Ende Mai vorübergehend ausgesetzt worden, nachdem es in einem Bericht in der Fachzeitschrift The Lancet hieß, Hydroxychloroquin erhöhe womöglich die Todesrate. Auch der Berliner Virologe Christian Drosten hat sich skeptisch gegenüber dem Malaria-Medikament Chloroquin als Wirkstoff gegen Corona im NDR-Podcast geäußert.
An der Publikation gibt es allerdings inzwischen erhebliche Zweifel. „Lancet“ selbst veröffentlichte einen offiziellen Warnhinweis („Expression of Concern“). Es gebe „ernsthafte wissenschaftliche Fragen“ zu den von den Forschern angegebenen Daten. Die Zeitschrift forderte die Autoren auf, die Studie erneut zu prüfen. Jedoch teilten der Studienleiter Mandeep Mehra von der Harvard-Universität und die Ko-Autoren Frank Ruschitzka vom Universitätsklinikum Zürich und Amit Patel von der University of Utah mit, die Firma Surgisphere, die die Daten geliefert hatte, lehne eine unabhängige Überprüfung ab. "Auf Grundlage dieser Entwicklung könnten wir nicht länger für die Richtigkeit der Primärdaten bürgen", erklärten die Autoren und entschuldigten sich bei der Fachzeitschrift und ihren Lesern.
Dem Science Media Center zufolge zählt zu den Ungereimtheiten, dass sich die Studie auf eine höhere Anzahl von im Krankenhaus verstorbenen Covid-19-Patienten in Australien bezieht als in Australien tatsächlich insgesamt gemeldet wurden. Zudem hätten die Autoren behauptet, 4402 Patienten in Afrika eingeschlossen zu haben - es sei Kritikern zufolge aber unwahrscheinlich, dass afrikanische Krankenhäuser detaillierte elektronische Gesundheitsakten für so viele Patienten zur Verfügung stellen konnten.
Von der in Chicago ansässigen Firma, auf die die Datenerhebung zurückgeht, stammten auch Daten für eine Studie im The New England Journal of Medicine über andere Wirkstoffe, bei der es ebenfalls Zweifel gebe. Der Prozess des sogenannten Peer Review durch Gutachter sei weder dazu gedacht noch in der Lage, die Qualität zugrundeliegender Daten zu prüfen, sagte Ulrich Dirnagl, Direktor der Abteilung Experimentelle Neurologie an der Charité in Berlin, der an keiner der beiden Studien beteiligt war. Sie lägen den ehrenamtlich tätigen Reviewern auch gar nicht vor, zudem hätten die Gutachter auch nicht die Zeit, sie zu prüfen.
„Häufig bleibt es bei einer Art „Reality Check“ der wissenschaftlichen Frage, der verwendeten Methodik und der Resultate“, erklärte Dirnagl. „Nur wirklich grobe Verstöße fallen da mit großer Wahrscheinlichkeit auf.“ In Zeiten einer Pandemie, in der Wissenschaftler und Journale unter extremem Zeitdruck zu publizieren versuchten, sei der Review-Prozess noch weniger in der Lage, Fehler und Manipulationen zu erkennen. Es gebe momentan jede Menge Studien mit schlecht erhobenen oder unzureichenden Daten, kritisierte Dirnagl. „Wie unter einem Vergrößerungsglas und zeitlich komprimiert führt uns die Corona-Krise gerade vor, wie wichtig Qualitätssicherung in der Wissenschaft ist.“
dpa/ml