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Corona in Schweden: Experten vermuten „Dry-Tinder-Effekt“ hinter den hohen Todeszahlen

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In Schweden wählten Regierung und Experten einen lockeren Weg im Kampf gegen das Coronavirus. Die Todeszahlen sind hoch - doch Wissenschaftler sehen andere Gründe.

Eine schwedische Flagge weht an einem Fahnenmast
Schweden ging im Kampf gegen Corona seinen eigenen Weg. © Jonas Ljungdahl/Bildbyran via ZUMA Wire/dpa/picture alliance

Stockholm - Nach Ausbruch der Corona-Pandemie berieten sich Politiker und Wissenschaftler in vielen Ländern über geeignete Maßnahmen im Kampf gegen das tückische Virus. In Deutschland griff man zeitweise zu verhältnismäßig harten Mitteln, die in einem vorübergehenden Lockdown gipfelten.

Einen ganz anderen Weg beschritt Schweden. In dem skandinavischen Land blieben unter anderem auch Geschäfte und Restaurants offen. Menschen trafen sich dort trotz Coronavirus* weiterhin, das öffentliche Leben ging weitgehend unberührt weiter.

Der schwedische Sonderweg galt hierzulande für viele Kritiker harter Corona-Maßnahmen als vorbildlich. Später mehrten sich allerdings auch kritische Stimmen, da sich in Schweden im Verhältnis zur Einwohnerzahl aktuell etwa fünfmal mehr Menschen infiziert haben als in Deutschland. Zudem liegt die Gesamtzahl der Corona-Infektionen* auf die Bevölkerungszahl gerechnet um ein Vielfaches höher als in der Bundesrepublik, ebenso die Todeszahlen.

Wissenschaftler: Corona-Todeszahlen in Schweden durch „Dry-Tinder-Effekt" besonders hoch

Trotzdem glauben drei Wissenschaftler aus den USA und Dänemark, dass neben den lockeren Corona-Maßnahmen auch weitere Faktoren die relativ hohe Anzahl an Todesopfern begünstigt haben könnten. So soll dem Thesenpapier zufolge etwa der sogenannte „Dry-Tinder-Effekt“ zu 25 bis 50 Prozent der Corona-Todesfällen beigetragen haben.

Dieses Phänomen stammt aus der Forschung zu Waldbränden. Verkürzt erklärt geht es davon aus, dass einem Jahr mit wenigen Waldbränden eines mit umso mehr Bränden folgt, da aus dem Vorjahr viel trockener Zunder in den Wäldern liegenbleibt.

Die Wissenschaftler übertragen dies auf Schwedens Sterbestatistiken der vergangenen Jahre. So starben dort 2019 viel weniger Menschen als 2018 sowie weniger als in jedem anderen Jahr seit 1977, obwohl die Bevölkerung seither um rund 25 % angewachsen ist. Die Schlussfolgerung der Forscher: Anfang 2020 hatte Schweden statistisch gesehen extrem viele Menschen, die sehr anfällig für Krankheiten, wie eine Grippewelle oder eben auch eine Corona-Pandemie waren.

Coronavirus: Schwedisches Altenpflegesystem begünstigte Ausbreitung

Auch dem schwedischen Altenpflegesystem ordnen die Wissenschaftler in ihrem Arbeitspapier eine entscheidende Rolle zu. Etwa 70 Prozent aller Covid-19-Todesfälle gab es in Pflegeeinrichtungen für Senioren. In Schweden arbeiten viele Pflegekräfte in mehreren Einrichtungen gleichzeitig. Dies begünstige die Verbreitung des Virus.

Als weiteren Grund der hohen Todeszahlen durch Covid-19 in Schweden nennt das Papier den Umstand, dass in der Hauptstadt Stockholm der engmaschige und viel genutzte öffentliche Nahverkehr als Superspreader gewirkt haben könnte. Von allen Corona-Todesfällen in Schweden ereigneten sich etwa 42 Prozent in Stockholm – und dass, obwohl dort lediglich 20 Prozent der Landesbevölkerung leben.

Insgesamt kommen die Wissenschaftler zu einem überraschenden Schluss. „Wir glauben, dass Schwedens Covid-19-Todesrate mit ähnlichen Lockdown-Maßnahmen wie in Dänemark, Norwegen oder Finnland, mindestens 75 Prozent der aktuellen betragen würde“, schreiben sie.

Eine These, die Fragen aufwirft. Mit Berlin, Hamburg, München und Köln gibt es beispielsweise in Deutschland vier Städte, die (zum Teil deutlich) mehr Einwohner haben, als Stockholm (knapp eine Million). Auch dort wird das Nahverkehrssystem von vielen Bewohnern genutzt, jedoch unter deutlich strengeren Auflagen. So gilt in Schweden etwa keine generelle Maskenpflicht, wofür das Land erneut in der Kritik steht. (kh) *Merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerkes

Video: Bringen Masken überhaupt etwas? Anders Tegnell will wissenschaftliche Beweise

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