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Covid-19: Killerzellen können helfen, den Krankheitsverlauf vorherzusagen

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T-Zellen gehören zu den weißen Blutkörperchen.
T-Zellen gehören zu den weißen Blutkörperchen. © Getty Images/MedicalRF.com

Ein deutsch-chinesisches Forscherteam findet einen Marker im Blut, an dem sich früh erkennen lässt, wie sich die Erkrankung mit Covid-19 entwickelt.

Es ist eines der charakteristischen Merkmale von Covid-19, dass die Erkrankung so unterschiedlich verlaufen kann, wie man es von Atemwegsinfekten bisher kaum kannte. Manche Menschen merken gar nicht, dass sie sich infiziert haben, manchen kratzt nur ein bisschen der Hals, andere hingegen fühlen sich elend, bekommen eine schwere Lungenentzündung und kaum noch Luft. Von Schädigungen weiterer Organe und Thrombosen wird berichtet. Einigen Patienten geht es so schlecht, dass sie intensivmedizinisch versorgt werden müssen. Und einige sterben sogar.

Coronavirus: Geschwächtes Immunsystem begünstigt Covid-19 

Schwere Verläufe von Covid-19 haben viel mit Risikofaktoren wie Grunderkrankungen und einem geschwächten Immunsystem zu tun – und vermutlich auch mit der Menge der Viren, der jemand bei der Ansteckung ausgesetzt war. Trotzdem blieb es bislang schwierig, zu prognostizieren, wie sich die Krankheit bei einem Infizierten entwickeln würde. 

So kann es auch bei Menschen, die anfangs vielleicht nur Halskratzen und leichten Husten hatten, zu einer plötzlichen Verschlechterung kommen. Ein Team von Wissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen und des Wuhan Union Hospital hat jetzt festgestellt, dass die T-Zellen des Immunsystems ein wichtiger Indikator sind, um gefährdete Patienten für einen schweren Verlauf zu identifizieren. Die deutsch-chinesische Studie ist online vorab im Fachmagazin „The Lancet EBioMedicine“ erschienen. Beide Forschungseinrichtungen kooperieren bereits seit vielen Jahren und betreiben auch ein gemeinsames Labor in Wuhan.

Coronavirus: Anzahl der T-Zellen ist deutlich reduziert 

„Wir möchten den Krankheitsverlauf besser verstehen, um schwere Infektionsverläufe rechtzeitig zu erkennen und neue Ansätze für Therapien zu entwickeln“, erklärt Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsmedizin Essen und China-Beauftragter der Medizinischen Fakultät der Uni Duisburg-Essen. Gemeinsam haben die deutschen und chinesischen Forscher sich die Krankheitsverläufe von 40 Frauen und Männern angeschaut, die seit Anfang des Jahres im Wuhan Union Hospital stationär behandelt worden waren.

Dabei stellten sie fest, dass bei nahezu allen Patientinnen und Patienten, die im Verlauf der Infektion schwer an Covid-19 erkrankten, die Anzahl der T-Zellen deutlich reduziert war – und das auch bereits dann, wenn diese Menschen zunächst noch keine starken Beschwerden hatten und sich nur vorsorglich im Krankenhaus untersuchen ließen, wie Dittmer berichtet.

Covid-19: „Diese Abwehrzellen sind hochspezialisiert“

Die sogenannten zytotoxischen T-Zellen, auch Killerzellen genannt, zählen zu den weißen Blutkörperchen und sind Teil des Immunsystems; ein Mensch verfügt durchschnittlich über 400 Milliarden davon. „Um eine Virusinfektion abzuwehren, braucht unser Körper zwei Komponenten: die Antikörper und die zytotoxischen T-Zellen“, erläutert der Essener Virologe: „Die Antikörper alleine reichen nicht aus, da sie nur direkt an Eiweißstrukturen auf der Virushülle binden. Damit können sie verhindern, dass die Viren Zellen befallen, wenn sie in den Körper gelangt sind“. Haben es die Erreger aber bereits in die Zellen – etwa in die der Schleimhäute im Rachen – geschafft und zwingen diese, weitere Viren zu produzieren, dann können Antikörper nichts ausrichten. Denn im Zellinneren sind die Viren für sie nicht mehr sichtbar.

Die Killerzellen hingegen sind in der Lage, gekaperte Zellen an Veränderungen auf der Außenseite zu erkennen. „Diese Abwehrzellen sind hochspezialisiert“, erklärt Dittmer, „unser Körper verfügt über eine große Bandbreite verschiedener T-Zellen, die sich bei Bedarf explosionsartig vermehren und die infizierten Zellen abtöten.“

„Es gibt einen Wettlauf zwischen dem Virus und dem Immunsystem“

Diese herausragenden Fähigkeiten machen die wachsamen Killerzellen allerdings gleichzeitig potenziell gefährlich – dann, wenn sie eigenes Gewebe zu stark angreifen. Das kann passieren, wenn im Laufe einer Infektionskrankheit die Abwehrreaktion außer Kontrolle gerät und es zu massiven Entzündungen etwa der Lunge kommt. Auch bei Covid-19 wird dieser Prozess beobachtet; er kann lebensbedrohlich werden.

Wovon hängt es ab, ob Menschen bei einer Infektion mit dem Sars-Coronavirus-2 viele oder wenige T-Zellen bilden? An dieser Stelle kommen wieder die bekannten Risikofaktoren ins Spiel; aber nicht alleine. Grundsätzlich verfügten Patienten mit einem geschwächten Immunsystem über weniger T-Zellen, sagt Ulf Dittmer. Zu dieser Gruppe gehören Menschen, die zum Beispiel nach einer Organtransplantation das Immunsystem unterdrückende Medikamente einnehmen müssen, oder auch Krebspatienten, die eine Chemotherapie durchlaufen oder gerade eine hinter sich haben. Auch bei älteren Menschen funktioniert die körpereigene Abwehr oft nicht mehr so gut.

Corona: Menge an Viren als Erklärungsmuster

Allerdings, so der Virologe, könne es auch sein, dass jemand aufgrund seiner Genetik lediglich auf einige Erreger nicht gut reagiert. Diese Menschen haben dann kein grundsätzlich schlecht arbeitendes Immunsystem, aber eben eine anlagebedingte Schwachstelle, die sie für bestimmte Infektionen anfällig macht. Anders als bei bekannten Vorerkrankungen wissen die meisten Betroffenen von dieser Labilität nichts. 

Auch die Frage, ob man bei der Ansteckung viele Viren abbekommen hat, lässt sich nicht leicht einschätzen. „Eine große Virenlast könnte erklären, warum auch junge Menschen, die sich bei der Kappensitzung in Gangelt oder beim Après Ski in Ischgl infiziert haben, schwer erkrankt sind“, sagt Dittmer. Bei beiden Anlässen seien sehr viele Viren verbreitet worden.

Corona: T-Zellen-Population als „prognostischen Marker“

„Es gibt einen Wettlauf zwischen dem Virus und dem Immunsystem. Ist der Erreger schneller, als die Abwehr reagieren kann, kommt es zu einer schweren Erkrankung, denn von vielen Viren werden viele Körperzellen infiziert und geschädigt. Das kann passieren, wenn entweder besonders viele Viren am Start sind oder das Immunsystem geschwächt ist. Gelingt dem Abwehrsystem hingegen sofort die Kontrolle, kommt es zu gar keiner oder nur einer leichten Erkrankung.“

Die Studienergebnisse zeigten, dass gerade am Anfang einer Infektion die T-Zellen des Immunsystems bei diesem Wettlauf eine wichtige Rolle spielten. Dittmer sieht es deshalb als sinnvoll an, bei Infizierten möglichst früh Blut zu entnehmen und die T-Zellen-Population als „prognostischen Marker“ für den weiteren Verlauf zu nutzen.

T-Zellen sind es auch, die nach überstandener Krankheit für Immunität sorgen: „Gedächtnis-T-Zellen können Jahrzehnte überdauern und bei einer erneuten Konfrontation mit einem Erreger sehr schnell wieder aktiv werden“, sagt Dittmer. Solche Gedächtnis-T-Zellen könnten möglicherweise Menschen, die bereits eine Infektion mit einem der harmlosen Corona-Erkältungsviren durchgemacht haben, eine Teilimmunität auch für das neuartige Coronavirus verschaffen: „Das wäre ein weiterer Faktor, der milde Verläufe erklären könnte“, sagt der Essener Wissenschaftler.

Coronavirus: Antikörper haben eine kürzere Lebenszeit als T-Zellen 

Antikörper hingegen hätten in der Regel eine kürzere Lebenszeit als T-Zellen. So deuteten Beobachtungen von Wissenschaftlern aus Wuhan darauf hin, dass die Antikörper der ersten Infizierten, die sich im Dezember oder Januar mit Sars-CoV-2 infiziert hatten, bereits allmählich verschwinden, berichtet Dittmer. Das heißt auch, dass Antikörpertests nach einer gewissen Zeit dann nicht mehr aussagekräftig wären. Dass Antikörper nach relativ kurzer Zeit zerfallen, bedeute aber nicht zwangsläufig, dass die Immunität verloren geht, sagt Dittmer: „In unserem Immunsystem gibt es auch Gedächtnis-B-Zellen, die wie die T-Zellen jahrzehntelang erhalten bleiben können. Sie merken sich, welche Antikörper sie bei einer erneuten Infektion mit einem Erreger produzieren müssen und können das auch schnell wieder tun.“

Von Pamela Dörhöfer 

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