Die Killerzellen hingegen sind in der Lage, gekaperte Zellen an Veränderungen auf der Außenseite zu erkennen. „Diese Abwehrzellen sind hochspezialisiert“, erklärt Dittmer, „unser Körper verfügt über eine große Bandbreite verschiedener T-Zellen, die sich bei Bedarf explosionsartig vermehren und die infizierten Zellen abtöten.“
Diese herausragenden Fähigkeiten machen die wachsamen Killerzellen allerdings gleichzeitig potenziell gefährlich – dann, wenn sie eigenes Gewebe zu stark angreifen. Das kann passieren, wenn im Laufe einer Infektionskrankheit die Abwehrreaktion außer Kontrolle gerät und es zu massiven Entzündungen etwa der Lunge kommt. Auch bei Covid-19 wird dieser Prozess beobachtet; er kann lebensbedrohlich werden.
Wovon hängt es ab, ob Menschen bei einer Infektion mit dem Sars-Coronavirus-2 viele oder wenige T-Zellen bilden? An dieser Stelle kommen wieder die bekannten Risikofaktoren ins Spiel; aber nicht alleine. Grundsätzlich verfügten Patienten mit einem geschwächten Immunsystem über weniger T-Zellen, sagt Ulf Dittmer. Zu dieser Gruppe gehören Menschen, die zum Beispiel nach einer Organtransplantation das Immunsystem unterdrückende Medikamente einnehmen müssen, oder auch Krebspatienten, die eine Chemotherapie durchlaufen oder gerade eine hinter sich haben. Auch bei älteren Menschen funktioniert die körpereigene Abwehr oft nicht mehr so gut.
Allerdings, so der Virologe, könne es auch sein, dass jemand aufgrund seiner Genetik lediglich auf einige Erreger nicht gut reagiert. Diese Menschen haben dann kein grundsätzlich schlecht arbeitendes Immunsystem, aber eben eine anlagebedingte Schwachstelle, die sie für bestimmte Infektionen anfällig macht. Anders als bei bekannten Vorerkrankungen wissen die meisten Betroffenen von dieser Labilität nichts.
Auch die Frage, ob man bei der Ansteckung viele Viren abbekommen hat, lässt sich nicht leicht einschätzen. „Eine große Virenlast könnte erklären, warum auch junge Menschen, die sich bei der Kappensitzung in Gangelt oder beim Après Ski in Ischgl infiziert haben, schwer erkrankt sind“, sagt Dittmer. Bei beiden Anlässen seien sehr viele Viren verbreitet worden.
„Es gibt einen Wettlauf zwischen dem Virus und dem Immunsystem. Ist der Erreger schneller, als die Abwehr reagieren kann, kommt es zu einer schweren Erkrankung, denn von vielen Viren werden viele Körperzellen infiziert und geschädigt. Das kann passieren, wenn entweder besonders viele Viren am Start sind oder das Immunsystem geschwächt ist. Gelingt dem Abwehrsystem hingegen sofort die Kontrolle, kommt es zu gar keiner oder nur einer leichten Erkrankung.“
Die Studienergebnisse zeigten, dass gerade am Anfang einer Infektion die T-Zellen des Immunsystems bei diesem Wettlauf eine wichtige Rolle spielten. Dittmer sieht es deshalb als sinnvoll an, bei Infizierten möglichst früh Blut zu entnehmen und die T-Zellen-Population als „prognostischen Marker“ für den weiteren Verlauf zu nutzen.
T-Zellen sind es auch, die nach überstandener Krankheit für Immunität sorgen: „Gedächtnis-T-Zellen können Jahrzehnte überdauern und bei einer erneuten Konfrontation mit einem Erreger sehr schnell wieder aktiv werden“, sagt Dittmer. Solche Gedächtnis-T-Zellen könnten möglicherweise Menschen, die bereits eine Infektion mit einem der harmlosen Corona-Erkältungsviren durchgemacht haben, eine Teilimmunität auch für das neuartige Coronavirus verschaffen: „Das wäre ein weiterer Faktor, der milde Verläufe erklären könnte“, sagt der Essener Wissenschaftler.
Antikörper hingegen hätten in der Regel eine kürzere Lebenszeit als T-Zellen. So deuteten Beobachtungen von Wissenschaftlern aus Wuhan darauf hin, dass die Antikörper der ersten Infizierten, die sich im Dezember oder Januar mit Sars-CoV-2 infiziert hatten, bereits allmählich verschwinden, berichtet Dittmer. Das heißt auch, dass Antikörpertests nach einer gewissen Zeit dann nicht mehr aussagekräftig wären. Dass Antikörper nach relativ kurzer Zeit zerfallen, bedeute aber nicht zwangsläufig, dass die Immunität verloren geht, sagt Dittmer: „In unserem Immunsystem gibt es auch Gedächtnis-B-Zellen, die wie die T-Zellen jahrzehntelang erhalten bleiben können. Sie merken sich, welche Antikörper sie bei einer erneuten Infektion mit einem Erreger produzieren müssen und können das auch schnell wieder tun.“
Von Pamela Dörhöfer
Corona-Krise: Analysten warnen vor einem Anstieg der Infektionskurve. Mit einer Corona-Studie mit 8000 Teilnehmern startet das RKI ab Mittwoch (20.05.2020).
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