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Angst vor dem „Herbsteffekt“: Haben die Kühlhaus-Temperaturen bei Tönnies den Corona-Ausbruch begünstigt?

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Nach Hunderten Corona-Fällen bei dem Fleischkonzern steht die Frage im Raum, ob niedrige Temperaturen die Ausbreitung verstärken. Doch es gibt noch einen weiteren wichtigen Faktor.

Nachdem sich Stand Mittwochmorgen 657 Beschäftigte des europaweit größten Schlachtkonzerns Tönnies mit dem Coronavirus angesteckt* haben, wächst die Angst vor einem „Herbsteffekt“. Wie ein Unternehmenssprecher erklärte, sei der Bereich Schweineschlachtung aufgrund der geringen Temperaturen in den Kühlhäusern so stark betroffen. 

Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen widersprach dem: „Das hat mit der Unterbringung von Menschen in Unterkünften und Arbeitsbedingungen in Betrieben zu tun.“ Nun stellt sich die Frage: Was ist dran an der „Herbsteffekt“-Theorie?

Coronavirus im Sommer: Aktuell verbreitet sich das Coronavirus langsamer

Denn wenn kühle Temperaturen die Ausbreitung des Coronavirus tatsächlich verstärken, vergrößert das die Gefahr einer zweiten Welle im Herbst. Tatsächlich stecken sich aktuell aufgrund der höheren Temperaturen weniger Menschen an. „Wenn es kälter wird, wird das Virus besser übertragen“, sagte auch Virologe Christian Drosten im NDR-Podcast. UV-Licht kann Viren schneller abtöten, die Wetterbedingungen beeinflussen, wie schnell infektiöse Tröpfchen verdunsten. Unerheblich ist die Temperatur offenbar dafür, wie lange Coronaviren auf Oberflächen infektiös bleiben.

Doch wie groß die direkten Auswirkungen des Wetters an sich auf das Coronavirus sind, ist unklar. Laut Drosten sinke das Ansteckungsrisiko im Sommer vor allem dadurch, dass wir uns im Winter eher in geschlossenen Räumen treffen. Studien zeigen, dass die Coronavirus-Konzentration innerhalb von Gebäuden meist höher ist als im Freien. An der frischen Luft verflüchtigen sich Aerosole und Tröpfchen wesentlich schneller. Häufiges Lüften ist deshalb womöglich wichtiger als Flächen zu desinfizieren*.

Coronavirus bei Tönnies: Dieser Faktor spielt ebenfalls eine wichtige Rolle

Offenbar kommt es in Regionen mit ähnlicher Luftfeuchtigkeit und Temperaturspanne zu besonders vielen Coronavirus*-Infektionen. Das ergab eine kürzlich vorgestellte Studie. 20 bis 30 Tage vor den ersten Todesopfern der Pandemie lagen die Temperaturen dort durchschnittlich zwischen fünf und elf Grad. Auch die spezifische Luftfeuchtigkeit (Wassermenge in einer bestimmten Masse feuchter Luft) spiele eine wichtige Rolle: Sie lag in den Regionen bei drei bis sechs Gramm pro Kilogramm Luft.

Erste Analysen geben Hinweise darauf, dass bei kühleren Temperaturen womöglich Luftbefeuchter in Innenräumen das Infektionsrisiko eindämmen können, wie Stephanie Pfänder von der Ruhr-Universität Bochum erklärt hatte. Von anderen Virenarten weiß man, dass sie bei niedriger Luftfeuchtigkeit trocknen und dadurch länger infektiös sind. Auch unsere Körperabwehr gegen Krankheitserreger funktioniert bei feuchter Luft besser. Aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit dürfte die Verbreitung in Schlachthöfen also eher vermindert statt verstärkt werden.

Ob die Angst vor dem Herbsteffekt begründet ist, hängt laut Experten hauptsächlich daran, wie gut die anderen Maßnahmen zur Eindämmung funktionieren und wie viele Coronavirus-Fälle es demnach im Spätsommer gibt.

dpa

*merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks

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