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Frau im Vollrausch überfahren: Wende im Berufungsprozess?

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Der Vater (r) des Unfallopfers sitzt im Gerichtssaal in Würzburg hinter dem Angeklagten. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Der Vater (r) des Unfallopfers sitzt im Gerichtssaal in Würzburg hinter dem Angeklagten. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa © Karl-Josef Hildenbrand

Eine 20-Jährige musste sterben, weil ein betrunkener Fahranfänger sie überfuhr. Als Strafe musste er 5000 Euro zahlen - das sorgte für Empörung. Nun wird das Urteil nochmal überprüft. Schon am ersten Verhandlungstag deutet sich eine mögliche Wende an.

Würzburg (dpa) - In der Hoffnung auf eine umfangreiche Aufklärung hat der Berufungsprozess um eine totgefahrene 20-Jährige durch einen betrunkenen Fahranfänger begonnen.

Man wolle dieses Mal das Urteil verstehen, sagte der Vater der Verstorbenen am Mittwoch. In einem schwarzen Kapuzenpullover mit einem Pfeil auf dem Rücken saß er als Nebenkläger im Gerichtssaal des Landgerichts Würzburg. Das Symbol ist angelehnt an eine Tätowierung seiner Tochter und bedeute: Immer nach vorne schauen.

Die Familie hofft auf eine sorgfältige Aufklärung des Unfalls vom April 2017, denn nach dem ersten Verfahren, im Oktober 2019, seien viele Fragen offen geblieben. Und auch zu diesem Prozessauftakt sah es zunächst so aus, als komme man nicht weiter: Die vier Angeklagten wollten zum Auftakt am Mittwoch zunächst nicht erneut aussagen und verwiesen auf die Angaben, die sie während der Ermittlungen und bei der Verhandlung im vergangenen Oktober gemacht hatten.

Der Vorsitzende Richter Reinhold Emmert bat daraufhin eindringlich, diese Strategie noch einmal zu überdenken - auch um den Angehörigen die Trauerarbeit zu erleichtern. Er unterbrach die Sitzung, um den Angeklagten und ihren Verteidigern Zeit zum Nachdenken zu geben. Anschließend sagten die drei Mitfahrer aus, hatten aber demnach wegen des starken Alkoholkonsums viele Filmrisse von der Unfallnacht.

Was ist also in der Nacht passiert, als die junge Frau zusammen mit ihrem Freund an der Seite einer Ortsstraße nach Hause ging? Die beiden hatten mit Freunden in seinen Geburtstag hineingefeiert, bevor sie sich auf den Heimweg bei Untereisenheim (Landkreis Würzburg) machten. Ihr Freund musste an seinem Geburtstag zusehen, wie sie von einem Auto erfasst und 13 Meter weit geschleudert wurde. Alleine in der Dunkelheit leistete er Erste Hilfe, wartete laut eigenen Angaben rund zwanzig Minuten auf den Notarzt.

Der Fahrer des Wagens war ein damals 18-Jähriger. Er kam von einem unterfränkischen Weinfest, fuhr mit erhöhter Geschwindigkeit und hatte knapp drei Promille im Blut. Ihm wird von der Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung vorgeworfen. Drei Mitfahrer müssen sich ebenfalls vor Gericht wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten. Sie legten sich nach dem Unfall schlafen, hatten nach dem Aufprall keine Hilfe geleistet. Die junge Frau starb wenige Tage nach der Unfallnacht im Krankenhaus.

«Der Aufklärung, die man den Hinterbliebenen schuldet, wird aus meiner Sicht von den Angeklagten nicht nachgekommen», sagte Anwalt Philipp Schulz-Merkel, der Angehörige des Opfers in der Nebenklage vertritt. Er bemängelte, dass die Fragen der Kammer von den jungen Männern nur sehr knapp beantwortet wurden. Für den Vater der Verstorbenen sei es dennoch «fast wie eine Erleichterung» gewesen, dass die Angeklagten sich doch den Fragen der Kammer stellten.

Die jungen Männer wurden bereits im Oktober 2019 vor dem Amtsgericht Würzburg zu Geldstrafen verurteilt. Der 21-jährige Hauptangeklagte bekam wegen fahrlässiger Volltrunkenheit nach Jugendstrafrecht (Paragraf 323a des Strafgesetzbuches) eine Geldstrafe von 5000 Euro und ein Jahr Fahrverbot auferlegt. Das milde Urteil hatte in der Öffentlichkeit für Empörung gesorgt. Die Staatsanwaltschaft und die Familie in der Nebenklage legten Berufung gegen das Urteil ein. 

Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrer Begründung eine Verurteilung des Hauptangeklagten wegen fahrlässiger Tötung nach Erwachsenenstrafrecht. Vergangenen Oktober plädierte sie ebenfalls dafür und forderte eine Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren. Damals stufte ein Gutachten den jungen Mann zum Tatzeitpunkt als schuldunfähig ein - wegen seines Vollrausches. 

Im Mittelpunkt der weiteren Verhandlung stehen nun zwei Gutachten, die die Schuldfähigkeit des Hauptangeklagten beurteilen sollen. Eines vom selben Gutachter wie im Oktober 2019: Er verlässt sich eigenen Angaben zufolge vor allem auf die Aussagen eines Notarztes, der am Mittwoch detailliert aussagte und den Hauptangeklagten in der Unfallnacht behandelte. Demnach lag nur eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Hauptangeklagten vor, sprich: Dieser Gutachter tendiert inzwischen zu einer Schuldfähigkeit.

Ein anderes Gutachten stammt von Psychiater Hans-Ludwig Kröber, einem bekannten Experten aus Verfahren wie um die verschwundene Peggy Knobloch, Gustl Mollath oder Jörg Kachelmann. Sein Gutachten wird voraussichtlich zum Fortsetzungstermin am 24. September vorgetragen. Sollte auch er zu dem Schluss kommen, dass der Hauptangeklagte schuldfähig war, ist eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung zu erwarten. Ein Urteil könnte zur letzten vorgesehenen Sitzung am 25. September fallen.

Für die Angehörigen stehen bis zur Urteilsverkündung weiterhin schmerzhafte Stunden im Gerichtssaal bevor. Seit dem Unfall kämpft die Familie mit einer Kampagne gegen Alkohol am Steuer. «Für mich war es das Schlimmste, was mir jemals passiert ist», sagte der Freund des Opfers am Mittwoch vor Gericht. Seither leide er unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Den Pfeil trägt er mittlerweile als Tattoo. Auch die Halbschwester und der Vater ließen sich den Pfeil als Tattoo stechen, auf die Ferse, so wie die junge Frau.

© dpa-infocom, dpa:200909-99-496119/2

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