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Nach Betriebsschließung wegen Listerien: Will Wilke Schadenersatz? Ähnlicher Fall in Oberbayern

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Wurstwaren Wilke in Berndorf: Das Unternehmen hat einen Eilantrag gegen die Schließung beim Verwaltungsgericht in Kassel eingereicht.
Wurstwaren Wilke in Berndorf: Das Unternehmen hat einen Eilantrag gegen die Schließung beim Verwaltungsgericht in Kassel eingereicht. © Stefanie Rösner

Mit einem Eilantrag wehrt sich nach dem Fund verkeimter Wurst die Firma Wilke gegen die Schließung des Betriebs. Soll die Produktion tatsächlich wiederaufgenommen werden?

Update vom 04.11.2019 um 8.53 Uhr - Mit vermeintlichen Bio-Waren und einer vielversprechenden Eigenmarke hat die Firma Wilke Wurstwaren in Twistetal versucht, Qualitätsprodukte zu vermarkten. Doch in der Wurst war nicht immer das, was drauf stand. Doch woher kam die Wurst wirklich?

Update vom 13. Oktober 2019: Einen entsprechenden Eilantrag gegen den Landkreis Waldeck-Frankenberg hat Wilke Wurstwaren am Donnerstag beim Verwaltungsgericht Kassel eingereicht. Doch angesichts der Tragweite des Listerien-Skandals ist der Name „Wilke“ als Marke verbrannt. Dass wieder Wurst in der Berndorfer Firma produziert wird, scheint abwegig. Die Frage ist: Was bezweckt das Unternehmen dann mit dem Antrag?

Die Antwort könnte ein vergleichbarer Fall aus Süddeutschland geben: Die oberbayerische Großmetzgerei Sieber musste nach einem Listerien-Skandal 2016 Insolvenz anmelden. Insolvenzverwalter Josef Hingerl hält das Produktionsverbot jedoch für rechtswidrig und will den Freistaat auf mehr als zwölf Millionen Euro Schadenersatz verklagen. Er ist der Ansicht, dass der Freistaat „überreagiert“ habe.

Im März 2016 hatten behördliche Kontrolleure in Produkten der Metzgerei extrem überhöhte Listerienwerte gefunden. Wochen später musste der Betrieb auf Anordnung des Freistaates Bayern schließen. Der Skandal wird in Verbindung mit mehreren Todesfällen nach dem Verzehr von listerienverseuchten Produkten gebracht.

Der frühere Chef der Firma Sieber, Dietmar Schach, war im April 2017 wegen fahrlässigen Inverkehrbringens gesundheitsgefährdender Lebensmittel* zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt worden. Ein relativ milder Schuldspruch, der inzwischen rechtskräftig ist, weil beide Seiten auf eine Berufung verzichtet haben. Die Schadensersatzklage läuft indes seit Anfang dieses Jahres* vor dem Landgericht München I.

Die Vermutung liegt nahe, dass Wilke Wurstwaren und der vorläufige Insolvenzverwalter Dr. Mario Nawroth eine ähnliche Strategie verfolgen: Der Eilantrag des Insolvenzverwalters könnte offenbar dazu dienen, gerichtlich prüfen zu lassen, ob der Landkreis Waldeck-Frankenberg einen bei der Schließung des Betriebs Formfehler begangen hat. Das nämlich wäre die Voraussetzung für eine aussichtsreiche Schadensersatzklage.

Landkreis hatte der Firma Wilke noch Anfang September ein "positives Zeugnis" ausgestellt

„Ein Großteil der Mängel“ wurden „abgestellt“: So lautet ein Eintrag über Wilke Wurstwaren auf der Internetseite „Verbraucherfenster Hessen“ vom 16. September. An diesem Tag bekamen die Behörden – so hatte es Umweltministerin Priska Hinz vor einigen Tagen gesagt – die Information vom Robert-Koch-Institut, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Wilke-Produkten und mindestens zwei Todesfällen.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch hatte am Freitag berichtet, dass der Landkreis dem Wursthersteller noch Anfang September „ein positives Zeugnis“ ausgestellt hatte.

Damit bezieht sich die Organisation auf das „Verbraucherfenster“, ein Serviceportal des hessischen Umweltministeriums. Dort ist ein Eintrag zu Wilke zu finden, der sich auf einen festgestellten Verstoß am 28. August bezieht. Demnach seien „nicht unerhebliche Mängel (Allgemein, Arbeitshygiene, Bauhygiene)“ festgestellt worden, die „eine nachteilige Beeinflussung“ der Lebensmittel darstellten. Die Mängel gab es demnach „im Gesamtbetrieb“. Als Bemerkung ist hinzugefügt: „Im Rahmen der 1. Nachkontrolle am 5.9.2019 wurde festgestellt, dass ein Großteil der Mängel abgestellt war.“ Als verantwortliche Stelle wird im „Verbraucherfenster Hessen“ der Landkreis Waldeck-Frankenberg benannt.

Listerien-Skandal bei Wilke: Was wir wissen - und was nicht

Im Fall Wilke Wurstwaren sind viele Fragen noch ungeklärt, auch vonseiten des Landkreises Waldeck-Frankenberg. Ein Überblick über das, was wir bisher wissen – und über die Fragen, die vonseiten des Landkreises bislang nicht beantwortet wurden.

Diese Auskünfte gab es vom Landkreis zum Skandal

Am 20. August habe das Umweltministerium den Landkreis darüber informiert, dass Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) ergeben hatten, dass Produkte der Firma Wilke im Verdacht stehen, Listerien zu enthalten, teilt der Landkreis mit. Danach habe man „unverzüglich“ die Nachforschungen des RKI und des Bundesinstitutes für Risikobewertung unterstützt.

Eine Konsequenz daraus, so der Landkreis: Der Fachdienst Lebensmittelüberwachung habe „sowohl die angemeldeten als auch die unangemeldeten Kontrollen“ intensiviert, „und diese danach nochmals deutlich verschärft“. Vor der Schließung am 2. Oktober sei der Betrieb „zuletzt sogar täglich persönlich vor Ort“ von Lebensmittelkontrolleuren des Kreises überwacht worden.

Zwei Mal seien bereits Bußgelder gegen Wilke verhängt worden, teilt die Verwaltung auf Nachfrage mit. Die Gründe: hygienische und bauliche Mängel im Betrieb. „Rechtlich ist aber vorgeschrieben, einem Unternehmen, bei dem Missstände festgestellt werden, die Möglichkeit zu geben, die erkannten Mängel abzustellen – also eine Grundreinigung und Desinfektion der Räumlichkeiten und Gerätschaften in der Produktion vorzunehmen. Dem mussten wir nachkommen und dem sind wir nachgekommen.“

Arbeitsrechtliche Verstöße, weder zum Einsatz von Leiharbeitern, noch zur Beschäftigung der anderen Mitarbeiter, seien der Kreisverwaltung „nicht bekannt geworden. Es hat uns auch gewundert, dass diese Vorwürfe dann unmittelbar nach der Schließung erhoben wurden, denn selbstverständlich hätten wir uns darum gekümmert“.

Wilke hatte jetzt einen Eilantrag auf den Weg gebracht, um den Betrieb wieder aufnehmen zu können. Diesem Antrag „sehen wir gelassen entgegen und sind gemeinsam mit den anderen Behörden fest davon überzeugt, dass die Schließung geboten war“. Nach „umfassender Ermittlung, sorgfältiger Abwägung und nach Abstimmung mit den anderen Behörden“ sei dies entschieden worden. Im Sinne des Verbraucherschutzes „war diese Maßnahme absolut zwingend“. Zudem gebe es stets eine enge Abstimmung zwischen dem Regierungspräsidium und dem Ministerium. „Wir sind davon überzeugt, dass der Kreis Waldeck-Frankenberg seine Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen erledigt hat, die in die Schließung des Unternehmens mündeten.“

In die Kritik geraten war auch Fritz Schäfer, Dezernent für Landwirtschaft und Verbraucherschutz, der selbst vor Jahren einmal Schweine an Wilke verkauft hatte. Einen Interessenskonflikt sieht die Kreisverwaltung nicht. Der landwirtschaftliche Betrieb des Dezernenten habe „nach unmissverständlicher Aussage Schäfers zu keiner Zeit geschäftliche Verbindungen zur Firma Wilke unterhalten. Zudem hat der Kreislandwirt übrigens seine Schweinehaltung bereits im Jahr 1992 aufgegeben.“

Diese Fragen im Wurst-Skandal sind noch ungeklärt

Nicht alle unsere Fragen, die wir im Laufe der vergangenen Tage an die Kreisverwaltung geschickt haben, wurden auch beantwortet. Offen geblieben sind folgende Fragen:

Wurden bei den Kontrollen die katastrophalen hygienischen Zustände bemerkt, die ehemalige Mitarbeiter schildern? Dies bleibt vorläufig unklar. Ebenso die Frage, ob diese Zustände ausgereicht hätten, den Betrieb (früher) zu schließen.

Beim ersten Pressegespräch am Mittwoch, 2. Oktober, als das Aus der Produktion bei Wilke bekannt gegeben wurde, sagte Amtsveterinär Dr. Martin Rintelen, dass es bereits seit 2018 verstärkt Fälle gab, „die Wilke zugeschrieben wurden“. Wir wollten daraufhin wissen: Inwiefern wurde diesen Fällen durch die Kreisverwaltung nachgegangen? Und wie sahen diese Hinweise konkret aus? Ging es dabei auch bereits um Listerien? Welche Konsequenzen folgten daraus? Die Antworten darauf stehen nach wie vor aus.

Noch nicht genau geklärt sind auch die zeitlichen Abläufe. Zwischen der Nachricht über das Ergebnis der Genomanalyse vom Robert-Koch-Institut am 24. September und der Schließung des Betriebs am 2. Oktober lagen mehrere Tage. Was genau in der Zwischenzeit passierte, wer mit wem sprach, welche Schritte vonseiten des Landkreises eingeleitet wurden: unklar.

Mehrere Telefonkonferenzen zwischen den Behörden gab es im Vorfeld der Schließung, unter anderem am 20. und 25. September. Um was es dabei genau ging, darüber erteilte der Landkreis keine Auskunft. Auf die Frage, was gegen einen Produktionsstopp bei Wilke direkt nach den Konferenzen sprach, ebenfalls nicht.

21 Listeriose-Fälle im Jahr 2018

Laut des aktuellen Bulletins der Robert-Koch-Instituts wurden die bekannten 37 Listeriose-Fälle aus zwölf Bundesländern gemeldet, die meisten (elf) aus Nordrhein-Westfalen, fünf aus Hessen. Gemeldet wurden sie 2014, 2016, 2017 und die meisten (21) in 2018, aus 2019 sind acht Fälle bekannt. Von einer „gemeinsamen Quelle“ sei auszugehen, „Lebensmittel eines nicht näher benannten Betriebs aus Hessen“ werden genannt. Die drei Todesfälle gab es laut RKI in NRW, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg.

Chronik des Wurst-Skandals - Verwirrung um Zahl der Todesopfer

Im Jahr 2018 sterben zwei Menschen – mutmaßlich durch den Verzehr keimbelasteter Wurst des Wurstherstellers Wilke. Was die Behörden wann wussten – und welche Schritte sie eingeleitet haben:

Gericht lehnt Foodwatch-Eilantrag ab

Das Verwaltungsgericht Kassel hat am Freitag einen Eilantrag von Foodwatch abgelehnt. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch aus dem Verbraucherinformationsgesetz treffe nicht zu, zudem sei eine Voraussetzung, dass dem Landkreis alle Abnehmer von Wilke-Produkten vorliegen. Dem Landkreis liege jedoch lediglich eine Übersicht über die Direktkunden der Firma vor und keine Liste mit den gesamten Verkaufsstellen aller Einzelhändler, so das Gericht.

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