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Coronavirus: Übersterblichkeit in Deutschland? Zahlen einer Risikogruppe überraschen

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Ein deutsches Forscherteam hat die Todesfallzahlen in Deutschland während der ersten Welle der Coronavirus-Pandemie untersucht. Die Ergebnisse überraschen.

Essen - Ein Forscherteam der Universitätsklinik Essen hat in einer Studie untersucht, ob während der ersten Welle der Coronavirus-Pandemie in Deutschland mehr Menschen gestorben sind als in den Jahren zuvor. Andreas Stang, Leiter des Zentrums für klinische Epidemiologie und Leiter des Instituts für Medizinische Informatik, analysierte zusammen mit seinen Kollegen die Zahl der Covid-19-Todesopfer und verglich sie mit entsprechenden Daten der Vorjahre. Die Erkenntnis der Studie für eine Corona-Risikogruppe überraschte dabei.

Corona: Studie zur Übersterblichkeit in Deutschland

Um herauszufinden, ob das Coronavirus* in Deutschland zu einer sogenannten Übersterblichkeit geführt hat, untersuchten die Forscher Daten von Anfang März bis Anfang Juni und betrachteten dabei die verschiedenen Altersgruppen. Innerhalb dieses Zeitraums registrierte das Robert-Koch-Institut (RKI) 8.674 Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 und eine Gesamtzahl von 183.978 bestätigten Infektionen. Die Wissenschaftler zogen zur Einordnung die Zahlen der entsprechenden Zeiträume der Jahre 2016 bis 2019 heran. Stang und sein Forscherteam veröffentlichten ihre Ergebnisse im Fachmagazin Journal of Infection.

Corona-Studie: Todesfallzahlen einer Risikogruppe überraschen

Die Forscher fanden heraus, dass die Todesfallzahlen während der ersten Welle, aktuell rollt die zweite Welle*, für die Altersgruppen der 60- bis 69-Jährigen, der 80- bis 89-Jährigen und die über 90-Jährigen höher waren, als statistisch erwartet. Einen Höchststand der Todesfälle konnten die Forscher jeweils Ende März und Ende April feststellen. Die Zahl der Todesopfer in der Altersgruppe der 70- bis 79-Jährigen überraschte die Forscher. Hier war keine Übersterblichkeit erkennbar, obwohl Menschen dieses Alters zur Corona-Risikogruppe zählen. Bereits ab dem Alter von 60 Jahren steigt das Risiko für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung.

Insgesamt konnten die Wissenschaftler für den Untersuchungszeitraum, also die Kalenderwochen 10 bis 23, 8.071 Todesfälle mehr feststellen, als statistisch erwartet. Die Abweichung von den 8.674 Covid-19-Toten, die vom RKI gemeldet wurden, erklären die Forscher damit, dass das RKI alle Toten „im Zusammenhang mit Covid-19“ zählt.

Corona: Forscher erkennen Übersterblichkeit in Deutschland für zwei Monate

Eine geringere Todesfallzahl als statistisch erwartet, konnte das Forscherteam der Universitätsklinik Essen für die Altersgruppen der 0- bis 29-Jährigen, 30- bis 49-Jährigen und 50- bis 59-Jährigen feststellen. Die deutlichste negative Zahl lieferte die Altersgruppe der 70- bis 79-Jährigen. Mit 3.848 weniger Todesfällen als statistisch erwartet, überraschte die Corona-Risikogruppe* die Wissenschaftler.

Eine Übersterblichkeit errechneten die Essener Forscher für die Altersgruppen der 60- bis 69-Jährigen, der 80- bis 89-Jährigen und die älter als 90-Jährigen. Der deutlichste Wert ergab sich bei den 80- bis 89-Jährigen. Hier fanden die Wissenschaftler heraus, dass im untersuchten Zeitraum 7.287 Menschen mehr gestorben sind als statistisch erwartet.

Im Vergleich zur Grippesaison 2017/2018, der schlimmsten der vergangenen 30 Jahre, während der mehr als 25.000 Menschen starben, sei Deutschland relativ gut durch die erste Corona-Welle gekommen, erklärten die Forscher. Die Übersterblichkeit existierte zwar für zwei Monate, sei allerdings in anderen Ländern wie Spanien, Italien, Großbritannien und den USA wesentlich höher gewesen.

Corona-Studie: Wissenschaftler erklären geringe Todesfallzahlen

Die Wissenschaftler erklärten die vergleichsweise geringen Todesfallzahlen in Deutschland mit mehreren Faktoren. Zu Beginn der Corona-Pandemie* haben sich vor allem junge Menschen mit Sars-CoV-2 infiziert. Zudem pflegten die Menschen in Deutschland weniger Sozialkontakte als in vielen anderen Ländern. Darüber hinaus spielten das gut ausgestattete Gesundheitssystem und das frühe Pandemie-Management eine entscheidende Rolle. Um jedoch herauszufinden, welche Rolle der Lockdown mit Blick auf die Todesfallzahlen spielte, sei weitere Forschung notwendig, berichtete das Essener Forschungsteam.

Ein interessanter Aspekt der Studie ist, dass es nach Einberechnung der demografischen Faktoren keine Übersterblichkeit in Deutschland gibt, sondern 4.926 Todesfälle weniger als statistisch erwartet. Die Wissenschaftler bereinigten die Daten in einem weiteren Schritt um die Veränderung der Altersstruktur in Deutschland, da die Menschen im Zeitraum von 2016 bis 2020 immer älter geworden sind. Die Altersgruppe der über 80-Jährigen, die ein höheres Risiko hat, an Covid-19 zu sterben, sei dadurch beispielsweise stark gewachsen.

Corona: Chef des Frankfurter Gesundheitsamtes sieht keine Übersterblichkeit

Der Chef des Frankfurter Gesundheitsamtes, Prof. Rene Gottschalk, und seine Co-Autorin Prof. Ursel Heudorf haben im Hessischen Ärzteblatt ebenfalls eine Bilanz der bisherigen Corona-Pandemie gezogen. Gottschalk sagt: „Eine Übersterblichkeit ist weder in der Gesamtbevölkerung noch in der Gruppe der Hochrisikopatienten (Bewohner von Altenpflegeheimen) zu verzeichnen.“ Die Sterbestatistik zeige im ersten Halbjahr 2020 keine Auffälligkeiten, im Gegensatz zur höheren Sterbezahl während der Grippewelle 2017 und 2018, sowie der Hitzeperiode im Juli 2018. (ph) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks

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