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Niemand hat die Absicht, Bullenkälber zu schreddern

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Grimme-Preisträger Andreas Pichler blickt hinter die Kulissen der Milchindustrie und zeigt die Konsequenzen für Mensch, Tier und Umwelt.
Grimme-Preisträger Andreas Pichler blickt hinter die Kulissen der Milchindustrie und zeigt die Konsequenzen für Mensch, Tier und Umwelt. © rbb/EIKON Media und MIRAMONTE

Milch ist nicht nur ein Nahrungsmittel, sondern Produkt eines hoch problematischen politisch-wirtschaftlichen Kontextes.

Die Milch macht’s! Das war ein nachhaltiger Slogans aus der Welt der Werbung, den fast jeder schon mal gehört hat und der Assoziationen wachruft: wertvolles Nahrungsmittel, weidende Kühe auf Almen und Marschwiesen, naturverbunden arbeitende Bauern. Stimmt davon (noch) etwas? Andreas Pichler geht dieser Frage mit beeindruckender Systematik nach in seinem Film „Das System Milch“, für den von den anderthalb Stunden Lebenszeit, die er seinen Zuschauern abfordert, keine Sekunde verschenkt ist.

Milch, so erfahren wir, wird nach wie vor von Kühen produziert, soweit stimmt die Sache also noch.

Im europäisch-landwirtschaftlichen Normalfall gehen Milchkühe allerdings nicht auf die Weide, das wäre unökonomisch, weil sie sich bewegen und nur Gras fressen würden. Milchkühe stehen bewegungsarm im Stall und bekommen Kraftfutter. Sie geben auch nicht mehr die bescheidenen Mengen Milch wie in den 1950er Jahren, wo man von einer Kuh 2500 Liter pro Jahr erwartete, sondern, je nach Züchtung und Futter, das Doppelte bis Vierfache. Dafür ist ihre Lebensspanne kürzer, und von artgerechter Haltung wollen wir lieber gar nicht erst anfangen. Das ist ein Topos, auf den der moderne Landwirt eher genervt reagiert. Er muss schließlich auf seine Kosten kommen.

Milch ist nicht nur Nahrungsmittel

Wie Milch eben nicht nur Nahrungsmittel ister das macht, erläutert der Film ausführlich und prägnant an mehreren Beispielen, von denen eines aus einem ökologisch/biologisch konzipierten Betrieb stammt.

Ein dänischer Milchwirt aber wundert sich, dass er in den späten 1970-er Jahren 140 Kühe hatte, heute dagegen 750, dass sie riesige Mengen Milch produzieren und er trotzdem nicht wirklich vom Ertrag seiner Arbeit leben kann, sondern von Agrarsubventionen abhängig ist. Das liegt an den Preisen, zu denen ihm die Milch abgekauft wird.

Die wiederum hängen damit zusammen, dass Milch eben nicht nur Nahrungsmittel ist, sondern Rohstoff für eine Milchindustrie, die allerlei Produkte für globalisierte Märkte produziert. Damit dieser Rohstoff billig bleibt, werden die Produzenten subventioniert. Firmenvertreter labern Glaubenssätze daher, preise Produkte an, werben und lügen das Blaue vom Himmel und erwähnen mit keinem Wort die Kehrseiten dieser Produktionsweise.

Die Landwirtschaftspolitik geht ihren Gang

Da wäre zum Beispiel die Produktion von Soja für das Kraftfutter auf brandgerodeten oder chemisch misshandelten Anbauflächen auf anderen Kontinenten; dann der so erfolgende Import von Stickstoff nach Europa und das Problem, dass die Milchwirtschaft nicht mehr weiß, wohin mit der Gülle, die das Trinkwasser belastet und schwere Folgeprobleme aufwirft. Dann ist da das Problem mit den Bullenkälbern, die unter milchwirtschaftlichen Aspekten überflüssig sind – wohin mit ihnen? Bei den Eierproduzenten darf ja immer noch in großem Maßstab geschreddert werden, das geht bei Bullenkälbern (zum Glück!) nicht.

Und dann die Frage, ob Milch wirklich so gesund ist wie seit zwei Menschenaltern propagiert. Auch da gibt es ernsthafte Bedenken.

Romantischer Käse und Selbstvermarktung

Zwischendurch kann man einem Landwirt zuschauen, der von so romantischen Dingen wie eigener Käseherstellung und Selbstvermarktung spricht. Das wärmt die Seele.

Aber in Brüssel geht Landwirtschaftspolitik unbeirrt ihren alten Gang. Lobbyisten sorgen für eine Subventionspolitik im Interessen der interessierten Industrien. Deren Strategie, riesige Märkte in China zu beliefern, hat nicht geklappt. Also wird jetzt der afrikanische Markt mit hoch subventionierten europäischen Milchprodukten überschwemmt. Und wenn heute auf dem Mittelmeer wieder ein Flüchtlingsboot untergeht, waren vielleicht auch einige afrikanische Bauern an Bord, denen diese Politik jegliche Existenzgrundlage entzogen hat.

Was die Milch alles macht!

(Hans-Jürgen Linke)

„Das System Milch“, ARD, Mittwoch., 26.6., 23.30 Uhr. Im Netz: ARD Mediathek.

*fr.de ist Teil der Ippen-Digital-Zentralredaktion.

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