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VW-Kunden können sich wohl Ende November für Musterklage eintragen

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Musterfeststellungsklage gegen VW
Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, steht vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. © dpa / Yasmina Aust

246 Seiten, eingereicht per Fax: Die erste Musterfeststellungsklage soll Volkswagen das Fürchten lehren. Dieselfahrer kämpfen gemeinsam um Schadenersatz.

Update vom 15. November: VW-Kunden können sich voraussichtlich noch im November der Musterfeststellungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und des ADAC anschließen. "Wir rechnen mit der letzten Novemberwoche", sagte eine Sprecherin des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig dem "Tagesspiegel" vom Freitag. Nach Einschätzung der Sprecherin wird es dann das Klageregister geben, in das sich Verbraucher eintragen können.

Alle Neuigkeiten zum Diesel-Streit erfahren Sie in unserem News-Ticker.

Das Klageregister wird zwar beim Bundesamt für Justiz geführt, allerdings muss das OLG Braunschweig grünes Licht geben. Die Musterfeststellungsklage gegen VW sei inzwischen zugestellt, sagte die Sprecherin der Zeitung. Ab Zustellung läuft eine zweiwöchige Prüffrist, während der das Gericht die Voraussetzungen der Klage prüft und anschließend das Bundesamt für Justiz informiert.

Erstmeldung: Dieselfahrer verbünden sich gegen VW - wird es jetzt eng für den Konzern?

Berlin /Braunschweig - Sie wollten ein umweltfreundliches, sparsames Auto - und bekamen eine Dreckschleuder. Hunderttausende Dieselfahrer fühlen sich von Volkswagen betrogen. Jetzt ziehen viele von ihnen gemeinsam vor Gericht - mit Hilfe von Verbraucherschützern. Stellvertretend für die Betroffenen des Dieselskandals reichte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) am Donnerstag die bundesweit erste Musterfeststellungsklage ein. Das Ziel: Schadenersatz. „Autofahrer wurden von Volkswagen lange genug hingehalten. Jetzt reicht's“, sagt Verbandschef Klaus Müller.

Mit der Musterfeststellungsklage will er VW das Fürchten lehren. „Der 1. November 2018 wird Volkswagen als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem auf die Samthandschuhe der Politik die Boxhandschuhe der Verbraucherschützer folgten“, hatte Müller schon im Vorfeld gedroht. Jetzt sagt er: „Volkswagen hat betrogen und schuldet geschädigten Verbraucherinnen und Verbrauchern dafür Schadenersatz.“

VW hatte im September 2015 Manipulationen an Dieselmotoren einräumen müssen. US-Umweltbehörden hatten festgestellt, dass die Abgasreinigung nur bei Tests voll aktiviert war, auf der Straße lag der Ausstoß viel höher. Volkswagen musste 2,5 Millionen Autos zurückrufen.

Schon 26.000 haben geklagt - mit oder ohne Erfolg?

Mehr als 26.000 Dieselfahrer sind deshalb schon allein vor Gericht gezogen. 7400 Urteile gab es. Laut VW hatten die meisten Kläger an den Landgerichten keinen Erfolg. Rechtsanwalt Tobias Ulbrich widerspricht. Seine Kanzlei vertritt 15 000 Kläger, zwei Drittel der Fälle gehe in der ersten Instanz zu ihren Gunsten aus. Alle Mandanten hätten „im Ergebnis das bekommen, was wir geltend gemacht haben“ - entweder durch ein Urteil oder einen Vergleich. „Jeder, der einen Anspruch geltend macht, wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch erhalten“, sagt Ulbrich.

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Die Verbraucherzentralen wollen jetzt zehntausende Autofahrer vertreten, die gern klagen wollen, das bisher aber gescheut haben, weil sie zum Beispiel keine Rechtsschutzversicherung haben. Das Instrument der Musterfeststellungsklage gibt es in Deutschland erst seit Donnerstag. Mit ihr können Verbraucherschützer im Namen von vielen Betroffenen gegen Unternehmen vor Gericht gehen. Die Verbraucher selbst tragen dabei kein finanzielles Risiko.

Das Oberlandesgericht Braunschweig bestätigte am Morgen den Eingang der Klage. Die Anwälte der Verbraucherschützer hatten sie noch in der Nacht an das Gericht gefaxt. 246 Seiten. Die Übertragung dauerte 36 Minuten. Zweimal schlug sie fehl, gegen 2 Uhr nachts dann gingen die Unterlagen doch noch durch.

VW im Fokus: Wenn die Klage angenommen ist, können Sie weitere Dieselfahrer anschließen

Sobald das Gericht die Klage geprüft und angenommen hat, können sich alle vom Rückruf betroffenen Dieselfahrer anschließen, die noch nicht selbst geklagt haben - auch wenn sie ihr Auto inzwischen verkauft oder verschrottet haben. Mitte des Monats wird dafür ein Register beim Bundesamt für Justiz eröffnet.

Die Verbraucherschützer wollen, dass die Dieselfahrer für den Wertverlust ihrer Fahrzeuge entschädigt werden. Maximalziel ist, dass sie den Kaufpreis erstattet bekommen. VW sieht dafür wenig Chancen: „Die neue Klagemöglichkeit ändert nichts an unserer Position: Kunden in Deutschland haben keine Ansprüche aufgrund der Verwendung der Umschaltlogik in Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA 189“, erklärt der Branchenprimus. Die Fahrzeuge seien genehmigt, technisch sicher und fahrbereit.

Wer sich der Musterfeststellungsklage anschließe, müsse sich außerdem auf ein jahrelanges Verfahren einstellen, warnt VW. Wenn die Verbraucherzentralen im Musterfeststellungsprozess Erfolg haben, müssen die Dieselfahrer außerdem noch selbst vor Gericht ziehen, um die Höhe des Schadenersatzes festzulegen. Hat die Musterklage keinen Erfolg, dürfen sie nicht nochmals alleine klagen. Die Anwälte der Verbraucherschützer raten Mandanten mit Rechtsschutzversicherung deswegen weiter zur Einzelklage.

ADAC behauptet: VW bot Schweigegeld-Abkommen an

Sie berichten auch, dass Volkswagen spätestens auf der Ebene der Oberlandesgerichte den Vergleich suche. Bei Einzelklagen mit Erfolgsaussicht bot der Konzern Klägern laut ADAC sogar Geld für ein Stillschweige-Abkommen an. VW dagegen betont, die Zahl der Vergleiche sei relativ gering. Die genaue Zahl wollte das Unternehmen nicht nennen.

Für viele Unternehmen sind Sammelklagen mit hohen Schadensersatzforderungen, wie man sie aus den USA kennt, ein Schreckgespenst. Genau das sei die Musterfeststellungsklage aber nicht, betont Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD). „Wir wollten ausdrücklich nicht amerikanische Verhältnisse“, sagte sie im ARD-„Morgenmagazin“. Deshalb dürften in Deutschland auch nur bestimmte Verbraucherschutzverbände klagen und nicht jede Anwaltskanzlei. Es gehe nicht drum, dass Anwälte und Verbände das große Geld machten, der Schutz der Verbraucher stehe im Mittelpunkt.

Kritikern ist die deutsche „Einer-für-alle-Klage“ trotzdem viel zu kompliziert. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sieht darin „keinen funktionierenden Rechtsschutz“. „Wenn sich kein Verband findet, der die Interessen der Betroffenen vertritt, bleiben sie wie bisher auf sich gestellt“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Auch die FDP meldete Zweifel an. Versprochen sei, dass Verbraucher ihr Recht einfacher und schneller durchsetzen könnten. „Die betroffenen Verbraucher, als erstes die geschädigten Dieselfahrer, werden feststellen, dass sich keines dieser Versprechen realisieren wird - allerdings erst in einigen Monaten“, sagte die FDP-Fachpolitikerin Katharina Willkomm dem „Handelsblatt“.

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dpa

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